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27.08.2023 / Interview / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Claas Kaeseler

„Der Kampf zeigt, wo ich stehe“

Schwertkampf und Glaube? Ja, das passt sehr gut zusammen, sagt Christian Bott.

Christian Bott ist Fechtlehrer für mittelalterlichen Fechtkampf. Darüber hinaus bietet er seine Erkenntnisse aus dem Schwertkampf als Coach an. Er bezeichnet sich als "der mit dem Schwert coacht". Wir sprechen mit ihm darüber, wie der Schwertkampf dabei helfen kann, besser mit Konflikten umzugehen.

 

ERF: Christian, was ist für dich der Kern des Fechtens?

Christian Bott: Der Kern des Fechtens ist eine Begegnung mit mir selbst. Wenn ich mit dem Schwert fechte, dann begegne ich den Themen, die ich mitbringe. Mit dem Fechten begebe ich mich in eine formale Konfliktsituation. Die Art und Weise, wie ich im Fechten meinen Gegner überwinde, kann ich generell übertragen auf meinen Umgang mit Herausforderungen. Das taktische Vorgehen im Schwertkampf lässt sich gut auch auf innere Prozesse übertragen.
 

ERF: Was ist für dich überhaupt Fechten – und wie siehst du das Image des Fechtens?

Christian Bott: Ich unterscheide zwei Begriffe. Die meisten Menschen verbinden heute das Fechten mit dem olympischen Wettkampf, also dem Sportfechten. Ich selbst verbinde damit alle Varianten der Kampfkunst mit Blankwaffen. Bei Schwertkampf denken die Leute sofort an Ritter, an Gewalt und Brutalität. Deswegen sage ich persönlich: Ich übe Schwertfechten aus.

Wenn man sich das Fechten in seiner Entstehungszeit anschaut, geht es natürlich auch um Selbstverteidigung und um Konfrontation. Es geht aber auch um einen Reifeprozess, den der Fechter oder die Fechterin durchlaufen sollte.

Die Idee war und ist es:

Wenn du lernst, mit dir selbst in Einklang zu kommen, lernst du auch mit einem Gegner umzugehen. Du kannst einem Gegner nur so klar begegnen, wie du mit dir selbst auch klar bist.

Volle Hingabe!

ERF: Du setzt den Schwertkampf schon viele Jahre als Trainer und Coach ein. Wie bist du zum Schwertfechten gekommen?

Christian Bott: Mich haben das Mittelalter und das Rittertum schon immer sehr interessiert. Ich mochte diese Ambivalenz: Du hast auf der einen Seite den Ritter. Es ist erschreckend, wie gut die kämpfen konnten. Das waren Eliteeinheiten. Und auf der anderen Seite waren es Menschen, die hoch spirituell waren. Auch das Gebet hat für viele eine große Rolle gespielt. Hier kommt also Gott ins Spiel. Wie beide Aspekte in diesen Personen zusammenkamen, fand ich total faszinierend.

Außerdem habe ich über die Jahre immer wieder festgestellt, dass in mir und in anderen, die Schwertkampf machen, ein Veränderungsprozess stattfindet. Das fasziniert mich bis heute. Es gab noch keinen Tag, wo ich am Ende des Tages dachte: Das hätte ich heute nicht gebraucht. Das Schwert lässt uns nie so zurück, wie wir angefangen haben.

 

ERF: Du sagst auch: „Fechten verlangt dein ganzes Herz.“ Ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen?

Christian Bott: Das Schöne ist ja, ich kann es zitieren. Das hat ein Kollege von mir im 15. Jahrhundert gesagt. Fechten ist „all in“, alles oder nichts. 100 Jahre zuvor sagte ein anderer Fechtmeister: „Umlauere den Gegner“. Und dann fügt er hinzu: „Wenn du siehst, dass du ihn erreichen kannst, wenn der richtige Moment gekommen ist, dann haue zu, als hätte er kein Schwert.“

Es geht also um einen starken Entscheidungsprozess: Wenn die Gelegenheit da ist, musst du es auch durchziehen. Mit ganzem Herzen.

Das heißt für mich: Wenn du wirklich Erfolg haben willst, in einer Situation unter Feuer stehst und in Angst vor einer Herausforderung, dann musst du dich voll reinbegeben. Ansonsten wirst du überrollt. Das klingt jetzt sehr dramatisch, aber manchmal ist es so.

Wenn du wirklich Erfolg haben willst, dann musst du dich voll reinbegeben. Ansonsten wirst du überrollt.

Schwertkampf lehrt Fokus

ERF: Du bist über die Beschäftigung mit dem Rittertum auch in Kontakt mit dem christlichen Glauben gekommen. Wie ist das denn passiert?

Christian Bott: Ich war schon davor in Berührung gekommen mit dem Glauben. Aber durch das Fechten habe ich Johannes Warth kennengelernt, der mir damals eine Seite des Glaubens gezeigt hat, die ich bis dahin nicht kannte. In der Kirche, in der ich damals war, wurde Glaube formal und distanziert gelebt.

Da dachte ich mir immer: Wenn du so ein Kämpfer bist, der am Vorabend einer Schlacht betet, dann weißt du doch vor lauter Aufregung nicht mehr, wo dir der Kopf steht. Du gibst dich also völlig hin, in die Kontrolle und in die Fürsorge Gottes. Das gilt auch heute, während wir zwar in der Regel keine Kämpfe im damaligen Sinne auszufechten haben, aber durch innere und äußere Herausforderungen gehen, die sich nicht selten wie Kämpfe anfühlen.

Durch Johannes Warth habe ich diese andere Intensität von Glauben gefunden. Er hat mir auch die Bibel anders gezeigt. Mich tiefer hineingeführt in Gottes Wort. Dadurch ist der Glaube mir viel nähergekommen und praktischer für mich geworden.

Im Glauben steckt die Hingabe. Ich glaube ja nicht nur, dass es morgen regnet oder so. Glaube verlangt mein ganzes Herz, es geht um mein Leben. All in. Es rührt mich an, dass ich diese Hingabe auf so vielen Ebenen in meinem Leben kennenlernen durfte.
 

ERF: Was kann ich beim Fechtkampf ansonsten für mein Leben lernen?

Christian Bott: Du kannst lernen, wie du Ziele verfolgst. Beim Fechten und in der Begleitung mit Coaching oder anderen Bereichen. Du lernst, dich zu fokussieren. Wie du ein Ziel definierst – und nicht nur einer Richtung folgst. Manchmal verwechseln wir die beiden Begriffe.

Du kannst lernen, wie du dich strategisch auf den Weg machst. Also wie du Stolpersteinen begegnest, wie du von diesem Weg nicht abkommst, sondern dich immer wieder darauf einschwörst.

Außerdem lernst du dich auf eine tiefere Art und Weise kennen, weil du dich beim Schwertkampf mit Situationen auseinandersetzt, dir im übertragenen Sinne auch im Alltag begegnen. Das regt an, darüber nachzudenken: „Was war das denn? Ich habe da Angst erlebt! Oder ich hatte auf einmal so ein erhebendes Gefühl, als ich einen Angriff gemacht habe. Warum war das so?“

Diese Reflexion macht uns stabiler. Ich werde nicht mehr so schnell umgehauen den Dingen. Denn ich weiß, warum ich in welchen Situationen fest stehen kann oder auch anfange zu schwanken.
 

ERF: Beim Fechten lerne ich also viel über mich selbst?

Christian Bott: Fechten deckt auf. Man erkennt schnell Prozesse, die im Hintergrund oder unbewusst ablaufen. Viele Menschen sind zum Beispiel oft zu passiv. Aus Angst vor dem Gegenüber oder weil sie sich unsicher oder wie gelähmt fühlen von der Frage, was der Gegner als nächstes macht. Sie kommen in ihrem Leben überhaupt nicht zu eigenen Bewegungen. Aus dem Fechten kann ich mir anschauen: Warum ist das so?

Andere rennen einfach los, hauen alles weg und werden auch selbst dabei getroffen. Sie haben die gleiche Angst, aber sie reagieren anders. Diese Angst kommt ebenfalls beim Schwertkampf zum Vorschein.

Schwertfechten zeigt ganz direkt, wo ich innerlich stehe.

So gerät der Kampf nicht außer Kontrolle

ERF: Das klingt sehr intuitiv. Besteht Fechten aber nicht auch viel aus Übung und Erfahrung, jeder Angriff aus guter Vorbereitung?

Christian Bott: Richtig, der Schwertkampf braucht Struktur. Vor einem Wettkampf kann ich mich fragen: Was erwartet mich gleich? Was ist typisch für den Gegner? Was kann ich selbst an Techniken gut? Welche davon würden jetzt passen? Ich brauche eine Vorstellung von dem, was ich machen will, und dann geh ich in den Angriff.

Diese Struktur brauchen wir auch im Alltag. Bei unseren Herausforderungen und Konflikten und im Umgang mit uns selbst. Wenn ich zum Beispiel in ein Konfliktgespräch gehe, besteht die Gefahr, dass ich mich nicht vorbereite. Dann weiß ich nicht, wohin ich eigentlich möchte.

Ich kann mich aber auch fragen: Was sind die Dinge, die mich in dem Gespräch verletzen könnten, wo sind meine Trigger? Jeder Kampf wie auch jede Herausforderung wird leichter, wenn man sich gut darauf vorbereitet.
 

ERF: Gilt das auch für den Glauben?

Christian Bott: Beim Glauben könnte man sagen: Ich habe nicht nur Angst vor dem, was kommt, sondern ich weiß auch, ich bin gerettet. Ich weiß, ich bin ein Kind Gottes. Dann behält der Kampf Struktur. Er gerät nicht außer Kontrolle.
 

ERF: Trotzdem: Wenn ich weiß, jetzt kommt ein Angriff von oben oder wenn mein Gegner links zustechen möchte, das hilft mir erstmal nicht direkt bei dem Vorstellungs- oder beim Krisengespräch. Wie kriegt man diesen Transfer hin?

Christian Bott: Am Ende der Geschichte ist es eine individuelle Begleitungsfrage. Jeder ist ein bisschen anders gestrickt in seinen Themen und Triggern. Aber im Großen und Ganzen kann man sagen: Es ist von Vorteil, wenn ich lerne, meinen „Gegner“ zu analysieren, zu beobachten und einzuschätzen. Ebenso meine Ressourcen, also meine Stärken, meinen Glaube – all das, was mich da hindurchträgt. Die meisten haben das nicht auf dem Schirm. Das kann und muss man trainieren.

Dann kann ich auch andere Situationen analysieren. Wenn ich vor einer Herausforderung, wie zum Beispiel einem Vorstellungsgespräch oder einer Prüfung stehe und auf einmal merke, wie ich mich innerlich zusammenziehe, kann ich mich fragen: Hier ist ein Kampf – mit welchen Mitteln kann ich mich vorbereiten? Mit welchem Mindset kann ich in reingehen? Was hilft mir auch währenddessen? Wie kann ich meine Angstgedanken im Zaum halten? Wir lernen, diesen Herausforderungen eine Struktur zu geben.

Wenn ich ausschließlich darüber nachdenke, was der „Gegner“ macht, bin ich gefangen. Dann habe ich Angst, noch lange bevor es wirklich losgeht.

Und das ist wunderbar. Wenn ich andererseits ausschließlich darüber nachdenke, was der „Gegner“ macht, bin ich gefangen. Ich bin nur noch da drinnen und dann habe ich Angst, noch lange bevor es wirklich losgeht. Aber wenn ich lerne, mich nicht davon einfangen zu lassen, bekommt das Ganze eine andere Struktur. Das hilft vielen Menschen im Alltag.

Fechten macht sensibel

ERF: Wenn ich dir zuhöre, klingt es fast so, als ob das Schwertfechten mehr ein Miteinander mit dem Gegner ist als ein Gegeneinander. Ist das so?

Christian Bott: Jein. Was der Zuschauer sieht und was man selbst auch im Zweikampf fühlt, ist auch ein Gegeneinander. In einem Freikampf geht es darum, den Gegner zu überwinden, die Gegner nicht zu eigenen Ideen kommen zu lassen, geschweige denn zu Handlungen. Mental und am besten auch technisch. Das ist ein totales Gegeneinander.

Ich muss aber auch meinen Gegner kennen, ihn beobachten. Ich muss eine Verbindung zu ihm aufbauen. Ich muss herausfinden: Was sind seine Stärken? Was sind seine Schwächen? Was ist das, was ihn gerade umtreibt? In welchem Mindset steht er gerade vor mir? Wenn ich weiß, wie ich den Gegner überwinde, weiß ich auch, wie ich mit dem Gegenüber eine Verbindung aufbaue.
 

ERF: Was heißt das übertragen?

Christian Bott: Kennt man das Gegeneinander, kennt man auch das Miteinander. Es sind einfach andere Vorzeichen. Wenn ich zum Beispiel weiß, wie ein Konfliktgespräch völlig in die Hose gehen kann, bin ich darauf vorbereitet und kann das vermeiden. Ich weiß, was ich nicht machen sollte, und weiß , was ich stattdessen machen kann, damit das Gespräch gut verläuft.

Ich kann mich auch darauf vorbereiten, wie ich damit umgehe, wenn ich völlig überrannt werde. Ich lerne, den anderen eben nicht zu überrennen mit meinen Antworten. Ich will ja eine Gleichschwingung herstellen. Diese Sensibilität miteinander ist sehr wertvoll!
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch!
 

 Claas Kaeseler

Claas Kaeseler

  |  Formatleiter ERF Jess Talkwerk / Online Marketing Manager

Ist in Wesel geboren und hat im ERF sowohl im Marketing, als auch in der Redaktion gearbeitet. Hat nach dem TV-Volontariat als Fernsehredakteur und Redaktionsleiter Online gearbeitet und danach die Webseite und das Online-Marketing des ERF verantwortet. Anfang 2023 erfolgte die Rückkehr in die Redaktion, wo er für das Format ERF Jess Talkwerk zuständig ist. Seit 2016 verheiratet und stolzer Vater des tollsten Sohns der Welt. 

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Kommentare (1)

G.W. /

Das Thema ist s e h r aktuell. Für Depressive wie für Entmutigte und für Pfarrer und Psychotherapeuten, Erzieher auch
evtl. Ärzte und Pfleger im Team
Wer sich dem Problem nicht stellt, wird für mehr

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