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© Eberhard Grossgasteiger / unsplash.com

01.12.2022 / Zum Schwerpunktthema / Lesezeit: ~ 2 min

Autor/-in: Susanne Ospelkaus

Ruhe!

Warum wir eine falsche Vorstellung von Ruhe haben. Ein Impuls von Susanne Ospelkaus.

Wir Deutschen sind seltsam. Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt. Wir haben Kranken- und Sozialversicherung, kostenlose Bildung und viel Freizeit. Unser Grundgesetz hat sogar einen Artikel, der uns Freizeit zugesteht. Artikel 24: Jeder hat das Recht auf Erholung und Freizeit, auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und auf bezahlten Urlaub. Wir Menschen sind seltsam, denn es fällt uns schwer, uns zu erholen, weil der Alltagstrubel in unserer Seele klebt.

Wir haben verlernt, abzuschalten und eine Pause als Pause zu nutzen. Inzwischen gibt es für alles Kurse, um Work-Life-Balance einzuüben. Wir können lernen, wie man richtig atmet, sich bewusst entspannt oder ein gutes Schlafklima schafft. Ist es nicht seltsam, dass wir das üben müssen, obwohl unser Körper uns doch Signale sendet, wenn er überreizt, abgespannt oder ermüdet ist?

Ruhe dich doch mal aus!

In einem Fernsehbeitrag wurde ein Almbauer gefragt, was für ihn Freizeit bedeutet?
Er grantelte: „Freie Zeit.“

„Und das heißt?“

Der Bauer zuckt mit den Schultern. Er versteht die Frage nicht und erklärt: „Sitzen. Ich sitze auf der Bank. Gucke in den Horizont.“

„Sonst nichts?“

„Doch. Ich streichle die Katze.“
 

Die Alm ist ja so ein Sehnsuchtsort. Man meint, der Alltagshektik zu entfliehen und Ruhe zu finden, und vergisst, auf was der Bauer alles verzichtet und wie sehr er im Rhythmus mit der Natur lebt. Die wenigsten von uns können und wollen das.

Und wie findet man Ruhe?

Alle Angebote, die Ruhe und Entspannung versprechen, beziehen den Körper mit ein. Offenbar geht es nicht ohne. Atmen, strecken, bewegen, innehalten, schwitzen. Wie wunderbar ist doch das Gefühl, sich nach körperlicher Anstrengung auszuruhen, wie nach einer Wanderung oder Gartenarbeit oder Sport.

Man spürt sich und stellt fest, in mir ist es überhaupt nicht ruhig. Es klopft und rauscht, rumort und vibriert. Niemals ist es still in uns. Da ist ein immerwährender Rhythmus. Herzschläge. Anspannung. Entspannung.

Vielleicht haben wir die falsche Vorstellung von Ruhe. Die Bibelstellen, die von Ruhe erzählen, wurden in einer Zeit aufgeschrieben, in der es weder Arbeitsrecht noch Artikel 24 gab. Immerhin hatten die Menschen das Shabbat-Gebot und das galt auch für Sklaven: Am siebten Tag wird nicht schwer gearbeitet.

Gestillte Bedürfnisse

Der Bibelvers aus Psalm 131,2 lässt ahnen, dass Ruhe etwas mit Zufriedenheit zu tun hat. „Still und ruhig ist mein Herz, so wie ein sattes Kind im Arm der Mutter.“

Es wurde ein Bedürfnis gestillt. Es ist genug. Gott ist genug. Ich bin genug.

Dem Almbauer ist es genug, mit Katze im Arm in den Horizont zu schauen.

Wir können uns selbst oft nicht genügen, weil wir Ansprüchen erfüllen und Ziele erreichen wollen, nicht zu kurz kommen und den Kindern etwas bieten wollen, das Leben genießen und sich mal etwas gönnen wollen.

Aber wir dürfen uns genügen, weil Gott verspricht, unsere Seele (hebr. nefesch) zu stillen. Nefesch meint uns als ganze Person, mit Haut und Haar, Gedanken und Herz. Ob in Bewegung oder Stille, auf der Alm oder in der Großstadt, beim Laufen oder während der Gartenarbeit – in diesen Moment darf es genug sein. Wenn wir uns spüren, sind wir schon nah dran, um zur Ruhe zu kommen.

 Susanne Ospelkaus

Susanne Ospelkaus

  |  Freie Mitarbeiterin

Susanne Ospelkaus, Jahrgang 1976, Mutter von zwei Söhnen. Sie ist gelernte Ergotherapeutin, arbeitet jetzt als Autorin und Dozentin für pflegerische und pädagogische Berufe. Nach dem Tod ihres ersten Mannes hat sie wieder geheiratet und lebt mit ihrer Familie östlich von München.

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