Navigation überspringen
© Free-Photos / pixabay.com

08.04.2020 / Interview / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Investition in die Zukunft

Wer Konflikte konstruktiv austrägt, investiert in seine Partnerschaft. Ein Intervew

Streiten will gelernt sein. Das haben auch Frauke und Tobias Teichen gemerkt. Sie sind Leiter und Gemeindegründer der ICF Kirche München. Als die beiden heirateten, mussten sie zunächst lernen, mit ihren unterschiedlichen Konflikttypen umzugehen. Was es bedeutet, wenn ein Dynamitbündel und ein Staatsanwalt im Streit aufeinandertreffen, davon berichten sie in Ihrem Buch „Bäm! Keine Angst vor Konflikten“. Im Interview mit Stefan Loß haben sie von Ihrer eigenen Streitgeschichte erzählt.

 

ERF: Sie haben als Ehepaar ein Buch zum Thema „Konflikte“ geschrieben. Wie sieht es in Ihrem Alltag aus? Haben sie selbst noch Konflikte im Alltag?

Frauke Teichen: Konflikte kennen wir gut. Wir können uns auch gut auseinandersetzen.

Tobias Teichen: Unsere Unterschiedlichkeit hilft uns dabei, noch einige Streits zu finden.
 

ERF: Sie können Ihr Buch also noch nicht auswendig und wenden direkt die richtigen Techniken im Streit an?

Tobias Teichen: Wir können die Techniken vielleicht schneller anwenden als jemand anders, weil wir sie vielleicht mehr geübt haben; aber Streit an sich bleibt nicht aus. Das Gute ist, dass unser Buch viele lustige und authentische Beispiele enthält, sodass nicht das Bild entsteht, wir wären perfekt. Es ist eher so, dass der Leser sich darin wiederfindet, schmunzelt und denkt: „Solche Streits kenne ich auch.“

Frauke Teichen: Manchmal denke auch ich mir im Streit: „Tobi, lies doch nochmal unser Buch!“ Der Weg vom Kopf ins Herz ist halt oft ein bisschen weiter. Man weiß manchmal viele Dinge, aber man hat sie noch nicht verinnerlicht und im Herzen begriffen.
 

ERF: Sie sind jetzt fast 20 Jahre verheiratet und haben zum ersten Mal ein Buch zusammen geschrieben. Warum haben Sie ausgerechnet ein Buch über Konflikte geschrieben?

Tobias Teichen: Bei uns persönlich, aber auch im familiären Umfeld oder der Kirche merken wir: Umgang mit Konflikten läuft unterm Strich nicht immer konstruktiv. Da herrscht oft Hilflosigkeit. Oft haben Menschen zu Hause nicht gelernt, wie man sich wirklich vergibt oder was das bedeutet. Wir merken, dass das bei Ehen und Familien, aber auch in allen anderen Beziehungen ein großes Thema ist,­ auch in der Gemeinde.

Bei uns persönlich, aber auch im familiären Umfeld oder der Kirche merken wir: Umgang mit Konflikten läuft unterm Strich nicht immer konstruktiv. Da herrscht oft Hilflosigkeit. – Tobias Teichen

Frauke Teichen: Wir beide haben eine recht unterschiedliche Streitkultur mit in unsere Ehe gebracht und einen langen Weg hinter uns. Ich bin sehr konfliktfreudig und daher hat es auch viel geknallt. Das kannte Tobi nicht. Deswegen haben wir viel selbst ausprobiert, selbst gelernt und viele Seminare besucht, um uns da fortzubilden. Dann haben wir irgendwann gemerkt: Wir haben dazu etwas zu sagen. So ist das Buch entstanden.

Heiratsantrag im Streit

ERF: Konflikte waren Ihnen in Ihrer Beziehung also von Anfang an nicht fremd. Sie, Herr Teichen, haben Ihrer Frau sogar in einem heftigen Streit einen Heiratsantrag gemacht. Wie kann ich mir das vorstellen?

Tobias Teichen: Wir hatten einen sehr großen Konflikt und wir steckten darin fest. Man hat ja oft so Sackgassen-Momente in Konflikten. Das kennt wahrscheinlich jeder. Diese Momente, in denen man denkt: „Wie sollen wir da wieder rauskommen?“ In denen jeder meint, er habe recht und der andere unrecht, und man nicht weiß, wie man da als Paar wieder rauskommt. Das war so ein Moment für mich. Und da hatte ich einfach den Blitzeinfall: „Diesen Konflikt zu klären wird anstrengend und aufwändig. Wenn ich jetzt diese Investition mache, kann ich sie auch gleich heiraten. Dann lohnt sich das doppelt, dann haben wir eine langfristige Perspektive.“

Ich bin ein sehr unkonventioneller Mensch und so habe ich Frauke mitten im Streit gefragt: „Willst du mich eigentlich heiraten?“ Dann war Stille, denn Frauke war ziemlich geschockt.

Frauke Teichen: Man muss dazu wissen: Wir haben uns mit 19 kennengelernt und diese Situation war mit 21 oder 22. Tobi hatte mir immer gesagt, er heiratet frühestens mit 30, weil das Leben dann eh vorbei sei. Deswegen war ich ziemlich überrascht, dass der Heiratsantrag doch recht schnell kam.

Tobias Teichen: Frauke war dann längere Zeit still und ich habe dann gesagt: „Du müsstest jetzt schon antworten.“ Sie hat nur gesagt: „Frag mich morgen nochmal!“ Da wusste ich: Es war nicht der beste Moment. Hätte ich mir auch denken können, aber den Versuch war es wert.

Frauke Teichen: Für mich war klar, dass ich dich heiraten will, aber in dem Moment war noch einiges zwischen uns zu klären.

An Konflikten arbeiten – eine Investition, die sich lohnt

ERF: Aber der Gedanke ist ja interessant: „Wenn wir uns streiten, muss es sich auch lohnen. Doch wenn wir heiraten, dann ist das okay. Dann gehe ich da durch.“

Frauke Teichen: Das Entscheidende ist die Perspektive. Dass wir uns füreinander entschieden haben. Das ist ja, was man bei einem Trauversprechen macht. Man entscheidet: Wir bleiben zusammen. Und dann ist die einzige Frage: Wie klären wir die Dinge? Denn Weggehen ist dann keine Option mehr.

Das Entscheidende ist die Perspektive. Dass wir uns füreinander entschieden haben. Und dann ist die einzige Frage: Wie klären wir die Dinge? – Frauke Teichen

ERF: Die Vorstellung, man müsse immer einer Meinung sein, ist ja ein beliebtes Missverständnis, wenn man heiratet. Seht ihr das auch als Missverständnis und Hindernis für eine gute Streitkultur?

Tobias Teichen: Ja, und die Vorstellung, dass man ja vor der Ehe schon viel investiert hat und sich denkt: „Das ist jetzt ein Selbstläufer.“ Wir glauben, dass es genau andersherum sein sollte. Dass man zum Beispiel Konflikte deswegen gescheit angehen sollte, weil man mit dem Partner lebenslang zusammenbleiben möchte. Also lohnt es sich, an Konflikten, an Streit- und Führungskultur zu arbeiten und sich zu entwickeln. Das ist eine Investition in die Zukunft. Wenn man das nicht macht, wird man sich irgendwann auseinanderleben. Das wird dann ganz automatisch passieren.
 

ERF: Ich habe in eurem Buch den Satz gefunden: „Wir können echt gut streiten, denn meine Frau ist ein Dynamitbündel und ich der Staatsanwalt.“ Das klingt nicht wirklich harmonisch.

Tobias Teichen: Das bedeutet einfach, dass ich sehr gut im Argumentieren und sehr sachlich bin im Streit. Das heißt: Ich kann relativ gut mit Argumenten „gewinnen“. Meine Frau ist eher eine verkappte Südamerikanerin, deswegen Dynamitbündel mit viel Emotion.

Frauke Teichen: Wenn ich Dinge sage, können die manchmal sehr verletzend sein oder aus der Emotion heraus und ich denke selbst schon nach fünf Minuten: „Das hättest du dir sparen können!“ Das meinen wir auch mit gut streiten. Es kann knallen bei uns, aber wir können uns auch gut wieder vertragen und schnell Dinge hinter uns lassen.

Tobias Teichen: Das mussten wir aber lernen, denn im ersten Schritt ist es natürlich so: Wenn der Staatsanwalt auf das Dynamitbündel trifft, gibt es Zerstörung, weil der Staatsanwalt so lange argumentiert, bis das Dynamitbündel explodiert. Deswegen mussten wir beide lernen, mit unseren Konflikttypen konstruktiv umzugehen.

Wir mussten beide lernen, mit unseren Konflikttypen konstruktiv umzugehen. – Tobias Teichen

Nicht zu streiten heißt nicht, keine Konflikte zu haben

ERF: Sie haben viel mit jungen Menschen in Ihrer Gemeindearbeit zu tun. Da hört man bei frisch Verliebten sicher auch mal den Satz: „Wir verstehen uns so gut. Wir haben uns noch nie gestritten.“ Wie reagieren Sie darauf?

Frauke Teichen: Wenn mir jemand so etwas sagt, tut er mir fast leid. Ich finde, sich streiten zu können, hat etwas damit zu tun, dass man sich nicht egal ist. Wenn ich mich mit jemandem auseinandersetze und nach dem Streit besser verstanden habe, was der anderen Person wichtig war und warum sie so denkt, trägt das zu einem besseren Verständnis bei. Man ist sich dann näher als vorher. Ich bin mir aber oft unsicher, ob man beim Wort „Streit“ vom gleichen spricht. Es gibt da verschiedene Definitionen. Eine Meinungsverschiedenheit wäre für mich auch schon ein Streit.

Ich finde, sich streiten zu können, hat etwas damit zu tun, dass man sich nicht egal ist. – Frauke Teichen

Tobias Teichen: Auf jeden Fall würden bei mir die Warnglocken angehen und ich würde mich mit dem Paar hinsetzen und schauen, was Sache ist. Es kann sein, dass einer zum Beispiel nicht konfliktfreudig ist. Das heißt, er sagt immer Ja, meint aber gar nicht Ja. Dann habe ich natürlich nie einen Streit. Das wird aber irgendwann explodieren. Das war am Anfang unserer Ehe auch bei uns so. Ich hatte wenig Fähigkeiten in dem Bereich mitbekommen.

Das heißt, ich habe im Konflikt mit meiner Frau immer abgefedert. Ich war immer so die Gummimasse im Streit. Sie hat ihre Meinung gesagt und ich habe das geschluckt. Wenn das bei einem Paar so ist, wirkt es im ersten halben Jahr harmonisch, es ist aber gar nicht harmonisch. Denn irgendwann kommen Konflikte auf jeden Fall.
 

ERF: In Ihrem Buch steht der steile Satz: „Jeder Konflikt basiert im Kern auf einem mangelnden Verständnis füreinander.“ Wie meinen Sie das?

Tobias Teichen: Dahinter steckt der Gedanke, dass zwei Persönlichkeitstypen aufeinanderprallen. Das bedeutet: Ich sehe die Welt durch meine Brille. Wenn Frauke irgendetwas macht, interpretiere ich das so, wie wenn ich das gemacht hätte, und andersherum. Wenn sie etwas sagt oder tut, bedeutet das aber in der Tobias-Sprache etwas anderes als in der Frauke-Sprache, weil unsere Persönlichkeiten komplett anders sind. Deswegen ist es eine wichtige Voraussetzung für gelingende Konfliktlösungen, die Perspektive des anderen einzunehmen.

Es ist eine wichtige Voraussetzung für gelingende Konfliktlösungen, die Perspektive des anderen einzunehmen. – Tobias Teichen

Frauke Teichen: Ein konkretes Beispiel dazu: Es gab eine Zeit, da hat Tobias mich ständig gefragt: „Wo sind die Streichhölzer bei uns?“, obwohl ich es ihm schon mehrmals gezeigt hatte In meiner Sprache hieße das: „Es ist mir eigentlich komplett egal, wie bei uns zu Hause alles funktioniert.“ Ich habe dann mit der Zeit rausgefunden, dass es das bei Tobias aber nicht bedeutet. Er richtet immer den Blick auf das große Ganze und fokussiert sich nicht auf Details. Das war für mich wichtig zu verstehen, dass das nicht gleichzusetzen ist damit, wenn ich das tun würde. Und gerade bei solchen Dingen muss man nachfragen, um den anderen zu verstehen.
 

ERF: Es gibt ja auch diesen Spruch: „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus.“ Spielt der Unterschied von Mann und Frau für Sie auch eine Rolle?

Tobias Teichen: Auf jeden Fall, aber es ist schwer von einer Beziehung Stereotype abzuleiten. Doch ich merke natürlich schon, wenn ich mit anderen Männern rede, dass es Dinge gibt, die grundsätzlich anders sind. Wichtig ist: Die Persönlichkeit spielt bei Konflikten mit rein, aber auch das Geschlecht, die eigene Prägung und – wenn man aus zwei Nationen kommt – auch die eigene Kultur. Das alles macht die Frage „Was höre ich und wie verstehe ich es?“ sehr komplex. Deswegen ist es wichtig, nicht einfach zu sagen: „Klar habe ich dich verstanden“, sondern zu wissen: „Grundsätzlich habe ich den anderen gar nicht verstanden.“ Ich interpretiere die ganze Zeit aufgrund meines Lebens und meiner Brille.
 

ERF: Herzlichen Dank für das Interview.


Dies ist ein Doppelinterview. Morgen berichten Frauke und Tobias Teichen im zweiten Teil auf ERF.de darüber, wieso Konflikte eigentlich auf einem Verständnisproblem fußen.
 

Zur Schwerpunktseite: Zeit für eine neue Streitkultur

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Das könnte Sie auch interessieren