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© unsplash.com / Dominik Schröder, Alvin Mahmudov, richardlee; gettyimages.de / iStock / Andrii Shelenkov

01.09.2023 / Zum Schwerpunktthema / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Wolf-Dieter Kretschmer

Wie aus der Grenze ein Meilenstein wird

Was unser Leben begrenzt, hat einen schlechten Ruf. Teilweise zu Recht, manche Grenzen gehören gesprengt! Andere Begrenzungen sind wertvoll.

Neulich habe ich meinen Kombi neben einem dicken Pickup geparkt. Seitlich an der Motorhaube prangte der Schriftzug „Rubicon.“ Moment mal, schoss es mir durch den Sinn. Rubikon? Das kennst du doch aus der Schule! Das war doch der Grenzfluss zwischen der römischen Provinz Gallia cisalpina und dem italienischen Kernland. Vor etwas mehr als 2.000 Jahren hat Julius Caesar mit 5.000 Soldaten den Rubikon überquert, um sich in Rom die Macht zu sichern. Den Rubikon überqueren bedeutet im heutigen Sprachgebrauch, eine Grenze zu überschreiten und ins Risiko zu gehen.

Grenzen gehören zu meinem Leben. Wie mir scheint, geht es uns allen so. Meine Zeit, mein Geld, meine Fähigkeiten und manchmal meine Geduld: Ich stoße andauernd an Begrenzungen. Es scheint auch Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums zu geben, ansonsten leiden Menschen und Umwelt. Die Kräfte und Ressourcen unseres Landes sind begrenzt. Grenzen zeigen erst einmal auf, hier geht es nicht weiter. 

Oder: So wie bisher geht es nicht weiter. Anders vielleicht schon. Grenzen können auch Wachstumsknoten des Lebens sein! Ich stoße mit meinen bisherigen Strategien an meine Grenze, wähle einen neuen Weg – und überwinde sie. Ich stoße vor in neues Land und in neue Möglichkeiten, ganz wie Caesar. 

Ich wage also einen Blick auf das Thema: Welche Grenzen sollten wir verschieben? Welche respektieren? Gerade, wenn sie von Gott gesetzt sind. Welche Grenzen gibt es in unserem Miteinander? Schließlich werden auch sehr persönliche Grenzerfahrungen Thema sein.

Grenzen überwinden? Selbstverständlich!

Das Überwinden oder Überschreiten von Grenzen war schon immer eine Lieblingsbeschäftigung der Menschen. Viele der überwundenen Grenzen sind uns heutzutage gar nicht mehr bewusst, sondern alltäglich. Ein Beispiel: Es ist gerade einmal 120 Jahre her, als sich ein motorgetriebenes Fluggerät der Gebrüder Wright zum ersten Mal in die Luft erhob.

Heute halten wir es für selbstverständlich, dass wir bequem auf einem Sessel sitzend in einer Metallröhre mit 900 km/h in den Urlaub sausen. Und es passt uns überhaupt nicht, wenn das Flugzeug ein paar Minuten Verspätung hat. 

Andererseits: Bloß, weil etwas technisch möglich ist, muss es nicht gut für mich und andere Menschen sein. Ich denke an eine Spritztour mit dem neuen Porsche meines Schwagers. Das war ein besonderes Grenzerlebnis. Ein paar Minuten lang mit 240 km/h auf der A 45 – das war berauschend.

Ob ein solches Tempo sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Die eine oder andere Geschwindigkeits-Begrenzung hat auf dieser kurvigen Strecke ihren Sinn. Zu meinem eigenen und zum Schutz Dritter.

Ein folgenreicher Entschluss

Ich bin in meinem Leben auch persönlich mehrfach an Grenzen gestoßen. Da war klar: Es stehen neue Wege an. Oft hatte ich dabei ein mulmiges Gefühl. Denn ich wusste, der nächste Schritt würde große Konsequenzen haben. 

Ein solcher Schritt begann damit, dass ich vor einigen Jahren morgens um halb sieben einen großen Koffer im Auto eines Bekannten verstaute und auf dem Rücksitz platznahm. Ich wusste, dass eine aufregende Zukunft vor mir lag: Das Studium der evangelischen Theologie in Großbritannien.

Ich hatte den Eindruck, dass es die richtige Entscheidung war. Trotzdem war ich unruhig. Mich bewegte die Frage: Würde ich dem gewachsen sein, was mich erwartete? Für mich war es ein Wagnis mit ungewissem Ausgang. Ich war im Begriff, Vertrautes hinter mir zu lassen, eine Grenze zu überwinden, um im Ausland zu studieren. Mein Rubikon war der Ärmelkanal.

Die Nacht am blauen Fluss

Gut und gerne 1.800 Jahre vor Julius Caesar hat ein anderer Mann seinen persönlichen Rubikon überquert. Der Nahr ez-Zarqa, so heißt der sogenannte „blaue Fluss“ im Ostjordanland heute, war zu biblischen Zeiten als Jabbok bekannt. Der Mann, der ihn im Morgengrauen durchquerte, war Jakob, der dritte Stammvater des Volkes Israel. Für ihn stand ähnlich viel auf dem Spiel wie für Julius Caesar.

Zwanzig Jahre zuvor war Jakob vor seinem Bruder Esau geflohen, nachdem er seinen Bruder betrogen und dessen Zorn entfacht hatte. Jakob hatte sich auf den Weg zu seinen Verwandten in Haran gemacht. Mittellos und lediglich mit einem Wanderstock ausgestattet war er rund 800 Kilometer nordwärts gereist. Jetzt kehrte er als reicher Mann mit einer großen Familie zurück in seine Heimat. 

Allerdings türmte sich vor ihm ein schier unüberwindbares Hindernis auf: Die ungeklärte Beziehung zu seinem Bruder. Jakob stand eine Begegnung bevor, die für ihn ein unkalkulierbares Risiko darstellte. Morgen würde er seinem Bruder Esau gegenübertreten müssen, der ihm mit 400 Männern entgegen zog. Er musste diesen Knotenpunkt überwinden. Er wollte die Versöhnung herbeiführen.

Die entscheidende Nacht

In der entscheidenden Nacht stellt sich Jakob am Fluss ein namenloser Mann in den Weg. Es kommt zum Kampf der beiden. Die ganze Nacht ringt Jakob mit dem Fremden.

Der Eindruck liegt nahe, dass diese Auseinandersetzung für Jakob weit mehr ist als lediglich das Ringen zweier Männer. Kann es sein, dass sich Gott Jakob in den Weg stellt? Jakob ist davon überzeugt. Später wird er diesen Ort Pnuël nennen, Gesicht Gottes (1. Mose 32,31).

Für Jakob hat dieser Kampf weitreichende Folgen. Für den Rest seines Lebens ist er ein gezeichneter Mann. Gott hat ihn so getroffen, dass Jakob fortan hinkt. Aber ihm gilt eben auch ein besonderer Zuspruch Gottes: Ab jetzt hat er eine neue Identität und einen anderen Namen. Aus Jakob wird Israel, zu Deutsch: der Gotteskämpfer.

Julius Caesar: Viel Feind, viel Ehr 

Damit zurück zu Julius Caesar. Der überschritt mit seinen Soldaten den Rubikon. Er ging das Risiko der direkten Konfrontation ein und begann den römischen Bürgerkrieg. Sein Mut wurde erst belohnt, die Überschreitung des Rubikon brachte Caesar großen Ruhm und Ehre ein. Umso mehr wurde er aber auch angefeindet. Schon wenige Jahre später wurde er Opfer eines Mordanschlags.

Jakob: Der Grenz-Überwinder

Jakob hat seinen persönlichen Rubikon, den Jabbok, als ein veränderter Mann überquert. Von Gott gezeichnet, gesegnet und mit einer neuen Identität versehen, hat er den Grenzfluss überschritten und das Land betreten, das ihm Gott verheißen hatte. Schaut man auf das große Bild, dann erweist sich diese Grenz-Überwindung als ein wichtiger Meilenstein im Leben Jakobs. Gott hatte ihm 20 Jahre zuvor in einem nächtlichen Traum die Zusage gemacht, dass er ihn beschützen und wieder nach Hause zurückbringen würde.

Gott hat Wort gehalten. Mit dieser Erfahrung konnte Jakob auf die nächsten Herausforderungen zugehen, von denen es in seinem langen Leben noch reichlich geben würde. Wie man Grenzen überwindet, das hatte er jetzt gelernt.

Meine Erfahrung

Auch meine Zeit in England wurde prägend für mich. Im Rückblick bin ich dankbar, dass ich meine Komfortzone überwunden habe. Das Erweitern meiner Grenzen hat mir gutgetan. Auf meinem Weg habe ich ungeahntes persönliches Wachstum erlebt, aber auch manche schmerzhafte Erfahrung gemacht. 

Ich habe aber auch erlebt: Einige Grenzen sind gut, und es ist besser, sie nicht zu überdehnen. Dazu gehört auch, dass man die Grenzen des eigenen Körpers beachtet. Ich habe das auf schmerzhafte Weise lernen müssen. Weil ich mich dauerhaft über meine Grenzen hinweggesetzt habe, erhielt ich irgendwann die Quittung: eine Fahrt im Rettungswagen und mit Blaulicht ins nächste Krankenhaus.

Und Sie?

Der Umgang mit Grenzen erfordert ein weises Vorgehen. Manchmal ist es Zeit, die Grenzen zu sprengen und aufzubrechen in ein neues Land mit ungeahnten Möglichkeiten. Diese Knotenpunkte des Lebens wollen überwunden werden, es lohnt sich. Stehen Sie vielleicht vor Entscheidungen von großer Tragweite, deren Folgen Sie nicht absehen können? Ich möchte Ihnen Mut machen: Vertrauen Sie darauf, dass Gott mitgeht und Sie führen möchte.

Manchmal ist es jedoch besser, eine Grenze zu akzeptieren und vielleicht einen anderen Weg, eine andere Herangehensweise zu wählen. Es gibt auch Grenzen, die wir zu unserem eigenen Schutz besser nicht überschreiten. Die 10 Gebote sind für mich gute Beispiele.

Wie also gehen Sie um mit den Grenzen, die Ihnen aktuell begegnen? In den kommenden zwei Monaten werden Sendungen und Artikel zum Schwerpunktthema „Grenzen(los)“ das Programm des ERF prägen. Nutzen Sie doch die Gelegenheit, an der einen oder anderen Stelle Klarheit zu gewinnen und vielleicht eigene Grenzen zu erweitern – oder auch die eine oder andere Begrenzung genauer anzuschauen. Und schätzen zu lernen.

Schreiben Sie dem Autor Ihre Gedanken zum Thema unter [email protected].
 

 Wolf-Dieter Kretschmer

Wolf-Dieter Kretschmer

Der Theologe, Autor und Redakteur war Pionier und Gründer der Fernsehabteilung des ERF. Er leitete die Redaktion Theologie und das Seelsorgeteam. Er ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Ihr Kommentar

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Kommentare (1)

G.W. /

Herzlichen Dank,
sehr bedenkenswert und hilfreich.
Danke dem erf.

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