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© Ben White / unsplash.com

23.12.2019 / Andacht / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Horst Kretschi

Die schönste Gabe Gottes

Die Kraft der Advents- und Weihnachtslieder neu entdecken.

Nun hat das Warten also bald ein Ende; für Kinder sowieso, aber auch für Erwachsene. Morgen ist Heiliger Abend und damit beginnen die Weihnachtstage. Wie immer ist die Adventszeit rasend schnell vergangen. Eben noch den ersten Advent gefeiert und schon ist die gesamte Adventszeit wieder vorbei. Gestern hat bereits die vierte Kerze am Adventskranz gebrannt. Ich nutze die – meiner Ansicht nach viel zu kurze – Adventszeit immer dafür, um ausgiebig Advents- und Weihnachtslieder zu hören und zu singen. Viele Texte kenne ich bereits seit Kindertagen, manche kann ich inzwischen leidlich auswendig.

Und ich scheine mit meiner Leidenschaft bei weitem nicht der einzige zu sein. Wenn sich fast 70.000 Menschen im Dortmunder Fußballstadion treffen, um gemeinsam Advents- und Weihnachtslieder zu singen, dann sagt das etwas aus! Und Dortmund ist nur ein Beispiel unter vielen. Auch in Kirchen gibt es im Advent zahlreiche Angebote, um sich gemeinsam auf diese besondere Zeit des Jahres einstimmen und mitnehmen zu lassen.

Musik vertreibt Anfechtung und Traurigkeit

„Singt mit uns“! Mit dieser Aufforderung hat meine Kirchengemeinde, wie schon seit vielen Jahren, zum gemeinsamen Singen und Musizieren mit allen musikalischen Gruppen der Gemeinde eingeladen. Es ist ein sehr eigenes Gefühl und eine sehr besondere Stimmung, wenn in der nur mit Kerzen erleuchteten Kirche die Stimmen von jungen und manchmal deutlich älteren Menschen gemeinsam mit Orgel, Posaunen und Flöten erklingen.

Schon der Reformator Martin Luther hat den Wert der Musik geschätzt. In seinen Tischreden schreibt er:

Der schönsten und herrlichsten Gaben Gottes eine ist die Musica. Der ist der Satan sehr feind, damit man viel Anfechtungen und böse Gedanken vertreibet. [… ] Musica ist der besten Künsten eine. Die Noten machen den Text lebendig. Sie verjagt den Geist der Traurigkeit.

Offensichtlich hatte der Reformator ein feines Gespür für den Wert und die Wirkung der Musik, die den Text der Lieder „lebendig“ macht. Und tatsächlich ist es ein Effekt, den ich auch an mir wahrnehme. Wenn ich drohe schwermütig zu werden oder niedergeschlagen, wenn sich Sorgen auftürmen und ich ins Zweifeln gerate, wenn ich versucht bin, falsche Entscheidungen zu treffen, dann beginne ich Lieder zu singen. Christliche Lieder aus dem Evangelischen Gesangbuch, aber auch neue Anbetungslieder.

Durch das Singen erfahre ich viel Trost, Zuspruch und schöpfe immer wieder neue Kraft. Die Texte der Lieder, ob nun alt oder neu, sind mir eine Hilfe und eine Erinnerung, dass es Gott gut mit mir meint und er die Welt in seiner Hand hält. Unter allen Liedern sind mir eben die Advents- und Weihnachtslieder die liebsten, weil sie so unmittelbar und klar von der Liebe Gottes zu uns Menschen handeln.

Aus dem Leid geboren

Von den Adventsliedern gibt es zwei, die ich besonders wegen ihrer Tiefe und der bildhaften Sprache mag. Da wär zum einen „O Heiland, reiß die Himmel auf“. Dass dieses Lied viel von Leid und Schmerz handelt, liegt in seiner Entstehungszeit begründet. Zu Beginn des dreißigjährigen Krieges hat es Friedrich Spee geschrieben. Eine Zeit des Krieges und der Zerstörung, mit unglaublichen Grausamkeiten, gegen die sich die einfachen Menschen damals nicht zur Wehr setzen konnten. Diese Lebenswirklichkeit spricht aus solchen Strophen wie: „Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig’ Tod: Ach komm, führ uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland!“

Ein Text, der Menschen hier und heute schwer zugänglich ist. Doch für verfolgte Christen in Ländern wie Nordkorea oder dem Iran ist er ein Aufschrei zu Gott, der nichts an Aktualität und Unmittelbarkeit verloren hat. Aber es sind nicht nur Christen in Bedrängnis. Elend und Not sind weltweit verbreitet. Krieg und Gewalt sind immer noch allgegenwärtig. Lüge, Hass und Angst greifen auch bei uns um sich. Und so haben die Zeilen aus dem fast 400 Jahren alten Lied auch für die Situation der Welt heute noch immer Gültigkeit: „Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all’ ihr’ Hoffnung stellt? […] O Sonn’, geh auf, ohn’ deinen Schein in Finsternis wir alle sein!“

Ohne Jesus gibt es keinen Trost und kein Licht. Traurigkeit und Finsternis bleiben sonst bestimmend. „O Heiland, reiß die Himmel auf“ ist ein Schrei nach der Erlösung, die diese Welt so bitter nötig hat.

Kein süßer Weihnachtskitsch

Ein zweites Lied, das mich sehr anspricht, ist „Es kommt ein Schiff, geladen“ von Daniel Sudermann. Dieses Lied fasziniert mich wegen der wundervollen Metapher des Schiffes, in die sehr komplexe theologische Sachverhalte kunstvoll hineingearbeitet sind. Das Schiff trägt den Sohn Gottes und dann heißt es: „das Segel ist die Liebe, der Heilig’ Geist der Mast. Der Anker haft' auf Erden, da ist das Schiff am Land. Das Wort tut Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.“

Entstanden ist dieses denkwürdige Lied nur wenige Jahre nach „O Heiland, reiß die Himmel auf“. Es fällt also auch in die Zeit des dreißigjährigen Krieges. Und die Erfahrung des tiefen Leids kommt auch hier zum Ausdruck, wenn es heißt: „Und wer dies Kind mit Freuden umfangen, küssen will, muß vorher mit ihm leiden groß’ Pein und Marter viel.“ Es sind solche Textpassagen, die gegen den süßlichen und verklärenden Advents- und Weihnachtskitsch stehen. Gegen Weihnachten als romantisierende Phantasie von einer heilen Welt, die Not und Leid ausklammert. Und es ist auch eine Zeile, die deutlich macht, dass niemand vor Leid verschont bleibt – auch Christen nicht.

Das gehört zur Lebenserfahrung eigentlich jedes Menschen. Gerade wegen dieser notvollen Situation der Menschheit ist Gott doch Mensch geworden. Darin erweist sich Gottes Liebe zu uns, dass er seine eigene Herrlichkeit verlässt und zu uns hinabsteigt, um uns aus unseren Schmerzen, unseren Sorgen und unserer Sünde zu befreien. Und genau davon handeln die Weihnachtslieder, von denen ich ebenfalls zwei besonders mag.

Darin erweist sich Gottes Liebe zu uns, dass er seine eigene Herrlichkeit verlässt und zu uns hinabsteigt, um uns aus unseren Schmerzen, unseren Sorgen und unserer Sünde zu befreien.

Ein wunderbarer Wechsel

Eines meiner liebsten Weihnachtslieder ist „Lobt Gott, ihr Christen, alle gleich“ von Nikolaus Herman aus dem 16. Jahrhundert. In kurzen und dennoch sehr eindrücklichen Sätzen umreißt Nikolaus Herman, was da an Weihnachten passiert ist. Der allmächtige Schöpfer dieser Welt wird zum kleinen Kind, das „elend, nackt und bloß“ in einer Krippe liegt. Gott schenkt sich uns in diesem Kind und nicht nur das: „Er wechselt mit uns wunderlich: Fleisch und Blut nimmt er an […] Er wird ein Knecht und ich ein Herr; das mag ein Wechsel sein!“

Gott tauscht in Jesus mit mir den Platz. Ich, der ich Strafe verdient hätte, gehe ungestraft aus, weil Jesus an meine Stelle tritt. Und so jubelt Nikolaus Herman in der letzten Strophe: „Heut’ schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis; der Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob, Ehr' und Preis.“
Das ist die Botschaft die der Engel den Hirten auf den Feldern von Bethlehem verkündet hat:

„Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ (Lukas 2,10-11).


Und die Himmelschöre stimmen ein mit: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ Genau auf diese Zeilen bezieht sich das von Martin Luther getextete „Vom Himmel hoch, da komm‘ ich her“. Luther lässt die Sänger dieses Liedes in die Rolle der Engel schlüpfen. Er erzählt die Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums in eigenen Worten nach, und die Melodie führt dazu, dass man sich den Text einprägt. Fünfzehn Strophen hat das Lied. Manche sind nach heutigen Maßstäben ein wenig kitschig geraten. Andere wiederum haben eine immense Kraft und bringen die Weihnachtsbotschaft auf den Punkt, wenn es über Jesus heißt: „Er bringt euch alle Seligkeit, die Gott der Vater hat bereit', dass ihr mit uns im Himmelreich sollt leben nun und ewiglich.“

Mich bewegen diese Worte jedes Jahr aufs Neue, und ich freue mich darauf, in den nächsten Tagen sehr viele schöne Weihnachtslieder zu singen. Ich wünsche auch Ihnen eben diese Freude und, dass sie die Kraft der Advents- und Weihnachtslieder für sich entdecken und viel Kraft und Trost daraus ziehen.

 Horst Kretschi

Horst Kretschi

  |  Redaktionskoordinator

Der gebürtige Hesse ist als Redakteur bei ERF Jess tätig. Er hat Geschichte, Philosophie und Theologie studiert, ist verheiratet und hat drei Kinder. Immer samstags präsentiert er bei ERF Jess neue Gesellschaftsspiele. Neben Fußball sein liebstes Hobby!

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Kommentare (1)

Rudi T. /

sehr gut. der beste Sender der ganzen Welt

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