
10.04.2023 / Andacht / Lesezeit: ~ 5 min
Autor/-in: Annegret SchneiderEin Plädoyer für die Stillen im Lande
Die tragende Rolle der Unauffälligen.
Was ist das bloß für ein Leben?
Darf ich Sie einladen, mit mir über eine Frau nachzudenken, die – so wenig von ihr berichtet wird – dennoch meine Fantasie anregt?
Ich rede von Hanna, der Prophetin, die im Lukasevangelium erwähnt wird. Von ihr wird berichtet:
„Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser; die war hochbetagt. Sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt, nachdem sie geheiratet hatte, und war nun eine Witwe an die vierundachtzig Jahre; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht“ (Lukas 2,36-37).
Es folgt nur noch ein weiterer Vers, der diesen kurzen biblischen Bericht abschließt. Dazu komme ich später. Doch erst einmal zu dieser knappen oben zitierten Passage: Hier erfahren wir ein paar recht trockene Fakten.
Bei oberflächlich-selektivem Hören bleiben – je nachdem, wie gut wir zuhören – wenige Dinge hängen: Da ist eine Prophetin, die heißt Hanna, ihr Vater heißt Panuel und stammt aus der Linie Asser. Hanna ist bereits alt, als von ihr erzählt wird – sie war wenige Jahre verheiratet, scheint kinderlos geblieben zu sein und ist jetzt eine fast 84-jährige Witwe. Sie verbringt ihre Tage mit Beten und Fasten.
Wenn ich weniger genau hinhöre und eine knappe Quintessenz daraus ziehen sollte, würde ich eine sehr spröde Zusammenfassung dieses Lebens schreiben. Und die würde lauten: Witwe verkriecht sich im Tempel.
Mitleidig sinne ich nach: Was für ein Leben… Eine Mischung aus Schicksalsschlägen und Ereignislosigkeit. Seit ihr Mann verstorben ist, besteht ihr Leben aus Beten und Fasten. Klingt im ersten Moment nicht besonders spektakulär.
Was aber wäre, wenn sich mehr dahinter verbirgt?
Wenn ich beginne, ernsthaft darüber nachzudenken, wie ihr Alltag wohl ausgesehen haben könnte, fallen mir einige Dinge ein, die längst nicht so monoton sind, wie es auf den ersten Blick scheint. Gehen Sie einmal mit mir auf Gedankenreise.
Da ist jemand ständig im Tempel – ist sie von der Außenwelt also völlig abgeschottet? Hat sie sich für ein Leben entschieden, das ganz der Kontemplation hingegeben ist? Oder weiß sie womöglich sehr genau, was um sie herum – außerhalb der Tempelmauern, in ihrer Stadt, in ihrer Gesellschaft vor sich geht?
Gehört sie zu den Menschen, die zwar von außen betrachtet ein komplett langweiliges Leben in maximaler Abgeschiedenheit leben – oder ist sie etwa hochgradig informiert und interessiert an allem, was gerade passiert und bringt diese Anliegen mit Beten und Fasten vor Gott?
Ist sie durch das, was sie selbst erlebt hat, in der Lage, andere zu trösten und hat Zeit, im Gebet für ihre Mitmenschen einzustehen? Könnte sie sogar eine gefragte Seelsorgerin gewesen sein, die man oft und gerne aufsucht, weil sie – durch ihre feste Verbundenheit mit Gott – den Durchblick hat?
All das wird so nicht im biblischen Bericht aufgezählt, aber vielleicht kennen auch Sie Menschen, auf die genau das zutrifft und die jetzt vor ihrem inneren Auge erscheinen. Die zwar nicht großartig in der Welt herumkommen, die aber sehr wohl informiert sind über die Bedürfnisse ihres Umfeldes und ein Herz für andere haben: für Familie, Nachbarn, Christen, ihre Stadt, ihr Land und auch alles, was darüber hinausgeht.
Effektiv im Hintergrund statt Aufsehen um Belanglosigkeiten
Solche Menschen, die aus ihrem Glauben heraus ohne Aufheben anderen Gutes tun, sind, wie ich finde, die wahren Helden des Lebens. Man findet sie an vielen Orten:
- in der eigenen Familie sind es vielleicht die Eltern, die ihre Kinder jahraus, jahrein im Gebet begleiten
- in der Gemeinde können es die Unsichtbaren sein, die rechtzeitig die Tür aufschließen, Abendmahlsvorbereitungen treffen, den Saal putzen
- in der Nachbarschaft zeigen sie sich als die Besucher von Einsamen
- in Krankenhäusern und Pflegeheimen als die Menschen, die sich mit Herzblut um Hilflose kümmern
- in der Schule ist es vielleicht ein Lehrer, der das Potenzial eines Schülers erkennt, der von seiner Klasse eher gemobbt wird
- und im Chor ist es vielleicht die Mitsängerin, die nach der Probe eine andere fragt, wie es ihr geht, weil sie gesehen hat, dass diese bedrückt wirkt
Die Liste lässt sich noch um vieles ergänzen. Ihnen sind bei dieser Aufzählung sicherlich Menschen eingefallen, deren Namen Sie jetzt nennen könnten.
Zurück zu Hanna
Es könnte, wenn ich das so betrachte, also sein, dass ganz schön viel hinter den wenigen Aussagen steckt, die über Hanna im Lukasevangelium gemacht werden. Über diese scheinbar unauffällige und zurückgezogene Frau.
Und dann ist da ja auch noch der dritte Vers, der das Ganze abrundet: „Die [gemeint ist Hanna] trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten“ (Lukas 2,38).
Die Stunde, die hier erwähnt wird, ist der Moment, in dem Maria und Josef Jesus in den Tempel bringen, wie es damals üblich war. Sie kommen mit ihrem erstgeborenen Sohn, wie es in Vers 22 und 24 im Lukasevangelium, Kapitel 2 heißt: „[…] um ihn dem Herrn darzustellen […] und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn […]“ (Lukas 2, 22b und 24a).
An sich nichts Ungewöhnliches, aber Hanna, die Hochbetagte, die gerade zu dieser Zeit vor Ort ist, wird Zeugin von dem Geschehen – und versteht, dass das, was hier passiert, alles andere als alltäglich ist. Sie erkennt sofort, dass es mit diesem Kind etwas Besonderes auf sich hat.
Sicherlich hat die Seniorin schon viele Kinder in ihrem langen Leben gesehen, die zur Darstellung in den Tempel gebracht wurden. Aber das hier ist etwas völlig anderes. Dieses Kind ist der Heiland, auf den die Menschheit gewartet hat – und Hanna ist live dabei.
Stellen wir uns nur einmal vor, was passieren würde, wenn diese Geschichte heute geschähe: Hanna würde umgehend ihr Smartphone zücken, Maria fragen, ob sie das Kind mal auf den Arm nehmen darf, mit dem Baby auf dem Arm ein Selfie machen, dieses sofort in ihren Status stellen oder auf ähnlichen Wegen jede Menge Follower generieren.
Dumm nur, dass Hanna damals natürlich kein Smartphone zur Hand hatte. – Aber das hielt sie keineswegs davon ab, die Frohe Botschaft weiterzusagen. Plötzlich mischt sie sich unter die Menschen und redet.
Mir fällt dabei aber auf, dass sie nicht zu betonen scheint, dass sie eine der ersten war, die den Gottessohn gesehen hat. Nein, das hier ist kein „Selfie“, um sich selbst zu präsentieren. Im Gegenteil – Hanna verkündet nicht sich selbst, sondern Jesus. Und zwar den Menschen, die ihn so sehr brauchen. Nehmen wir uns ein Beispiel an ihr.
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