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© Ryan Crotty / unsplash.com

20.11.2022 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Martin Weber

Was bedeutet der Ewigkeitssonntag?

Der letzte Sonntag im Kirchenjahr hilft, Trauer zuzulassen und Trost zu erfahren.

Während ich diesen Text schreibe, steht der Ewigkeitssonntag bald an. An diesem Tag denken evangelische Christen an die Menschen, die gestorben sind. Im Gottesdienst ist es meine Aufgabe als Pfarrer, die Namen derer vorzulesen, die in diesem Kirchenjahr verstorben sind.

Jetzt sitze ich an meinem Schreibtisch und unterschreibe die Einladungen an die Hinterbliebenen zu diesem Gottesdienst. Dabei schweifen meine Gedanken ab. Ich erinnere mich an die verstorbenen Personen, aber auch an Begegnungen mit den Hinterbliebenen. Viele Geschichten wurden mir bei den Beerdigungsgesprächen erzählt, Erlebnisse mit den Verstorbenen. Großes Leid und viele Tränen waren gemeinsam auszuhalten.

Am Ewigkeitssonntag sitzen viele von ihnen wieder vor mir im Gottesdienst. Es wird ein emotionaler Gottesdienst werden mit vielen Erinnerungen, die wieder wach werden. Diese Gefühle sollen ihren Raum bekommen.

Der Ewigkeitssonntag lenkt den Blick in Gottes Zukunft

Ich wünsche mir für den Gottesdienst aber auch, dass wir als Gemeinde den Blick auf Jesus Christus wenden. Er begleitet uns im Leben und im Sterben – und noch darüber hinaus. Jesus versteht uns in unserer Trauer und kann uns trösten wie kein anderer. Denn er verspricht denen, die sich ihm anvertrauen: „Mit Eurem Tod ist nicht einfach alles aus. Ich eröffne Euch eine Zukunft. Ich schenke Euch eine Perspektive über Euer irdisches Dasein hinaus.“ Jesus verspricht: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“ (Johannes 11,25).

Das ist die Perspektive unseres Lebens: Wir sollen leben! Bei Gott sein! Ihn sehen! Und ihn voller Dank anbeten! Ein Gedanke gefällt mir dabei besonders: Jesus Christus erwartet mich jetzt schon!

Denn auch das gehört zum Ewigkeitssonntag: Christen erinnern sich daran, dass Jesus noch einmal auf diese Welt kommt, um diese Welt gerecht zu richten und allem Bösen ein Ende zu bereiten. Deswegen können Christen voller Zuversicht in die Zukunft schauen.

Der Ewigkeitssonntag ist bildlich gesprochen also wie ein Fernglas, das ein Christ in die Hand nimmt. Er fokussiert an diesem Tag etwas, was weit weg ist, das aber ganz gewiss immer näherkommt. Ich frage mich, ob diese Hoffnung und die Vorfreude auf das Kommende bzw. den Kommenden in meiner Predigt rüberkommen und die Besucher beim Feiern des Gottesdienstes tröstet wird.

Der Ewigkeitssonntag als stiller Gedenktag

Der Ewigkeitssonntag wird auch oft Totensonntag genannt. Das sind im Grunde zwei Seiten einer Medaille: Die erste Bezeichnung betont die Hoffnung, die wir Christen haben, die zweite das Erinnern an die Verstorbenen. Beides gehört zu diesem Tag.

Seinen festen Platz im evangelischen Kirchenjahr bekam dieser Tag seit der Reformation. Frühere Könige haben immer wieder Gedenktage festgelegt, z.B. für Gefallene im Krieg. So bekam nach und nach das Erinnern an alle Verstorbenen seinen rituellen Ort am Ende des Kirchenjahres, bevor am 1. Advent ein neues Kirchenjahr beginnt. In Deutschland wird dieser Tag als ein „stiller Tag“ begangen, d.h. staatliche Verordnungen regeln, dass z.B. keine Musikaufführungen in Gaststätten stattfinden.

In der katholischen Kirche gedenken die Gläubigen der Verstorbenen bereits am 2. November, am Fest „Allerseelen“. Katholiken feiern an diesem letzten Sonntag im Kirchenjahr stattdessen den „Christkönigssonntag“. Dieser betont, dass Jesus Christus bis in die Ewigkeit als König herrschen wird. Insofern bestehen zwischen den Konfessionen gewisse Parallelen, was die Bedeutung des Tages angeht.

Sich mit dem Tabuthema Tod bewusst auseinandersetzen

Gesamtgesellschaftlich lässt sich meines Erachtens grundsätzlich beobachten, dass ein Gedenken an die Toten abnimmt. Das gilt auch für das Nachdenken über das, was nach dem Tod kommen mag. Der Tod wird tabuisiert. Es hat den Anschein, dass viele Menschen solche Fragen lieber von sich schieben, denn sie erzeugen Verunsicherung.

Hoffnung ist zwar ein Wort, das man im Alltag verwendet. Es wird aber immer weniger mit Leben nach dem Tod in Verbindung gebracht. Viele lassen sich nur ungern auf die als unangenehm empfundenen Fragen nach dem Tod und dem Danach ein. Oft passiert das dann gezwungenermaßen, wenn ein Mensch stirbt, der einem lieb war. Schnell mischen sich dann Sorge und Ängste mit in die Überlegungen ein.

Die Bibel hingegen wirbt darum, dass wir solche Fragen nicht vor uns herschieben. Denn wer für sich Antworten auf sein Woher und Wohin gefunden hat, lebt im Jetzt leichter.

Den Ewigkeitssonntag gestalten

Das bewusste Begehen des Ewigkeitssonntags ist eine Chance bewusst nachzudenken, über die Frage nach dem Tod, der Endlichkeit des Lebens und der Frage, was nach dem Sterben kommt. Doch wie kann ich das machen? Folgende Anregungen haben sich aus meiner Erfahrung als hilfreich erwiesen:

  • Nicht nur die Hinterbliebenen sind zum Gottesdienst am Ewigkeitssonntag eingeladen, sondern alle Christen und Menschen, die der christlichen Perspektive gegenüber offen sind. Wer gemeinsam trauern kann, erlebt den Schatz der Gemeinschaft. Bei der Feier des Gottesdienstes werden die Gottesdienstbesucher daran erinnert, dass Jesus Christus unsere Hoffnung im Leben und im Sterben ist.
    Ein Lied der ökumenischen Glaubensgemeinschaft in Taizé drückt es so aus: „Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht: Christus meine Zuversicht, auf dich vertraue ich und fürcht‘ mich nicht, auf dich vertrau ich und fürcht‘ mich nicht.“
    Christus hält uns. Er schenkt Kraft zum Trauern, Geborgenheit zum Erinnern, Mut zu Gefühlen. Er lenkt unseren Blick auf die Wahrheit, dass er kommt. Zu diesem Zeitpunkt wird er vollenden, was er am Karfreitag und an Ostern begonnen hat.
    Darum zünden wir bei uns im Gottesdienst beim Verlesen der Namen unserer Verstorbenen für jeden ein kleines Licht an. Das soll ein Zeichen dafür sein, dass Jesu‘ Licht auch jetzt noch im Tod für sie oder ihn leuchtet. Von seiner Liebe sind und bleiben wir umfangen.
     
  • Ein Besuch am Grab eines lieben Verstorbenen kann guttun. Als Christ kann ich diesen Gang ans Grab mit einem bewussten Dank an Gott verbinden: „Danke, Herr, für die gemeinsame Zeit, die Du mir mit dem Verstorbenen geschenkt hast. Danke für die Aussicht, dass ich ihn bei Dir, in deinem ewigen Reich wiedersehen werde.“
     
  • Ein hilfreiches Ritual kann auch sein, den Verstorbenen mit Blumen auf dem Grab zu grüßen. Ich denke zwar nicht, dass er oder sie diese Blumen sehen kann. Doch mit ihnen kann ich mich bei ihm oder ihr für die vielen schöne Momente und die wertvollen Erinnerungen bedanken. Wenn das Verhältnis zum Verstorbenen nicht so gut war, kann ich mit diesem Blumengruß ausdrücken: „Ich bin dir nicht mehr böse. Ich möchte über unserer schwierigen Beziehung Frieden schließen.“
     
  • Für viele Hinterbliebene ist dieser Tag schwer. Da ist es gut, sie bleiben nicht allein. Ich höre von Trauernden oft die Sorge: „Ich gehe den anderen mit meiner Trauer und meinen Tränen bestimmt auf die Nerven. Daher bleibe ich lieber für mich.“ Doch damit tun sich trauernde Familienangehörige oder Freunde nichts Gutes. Ich möchte Sie als Außenstehende daher ermutigen, auf die Menschen zugehen, die einsam und voller Trauer sind. Kirchengemeinden könnten je nach Möglichkeit auch ein gemeinsames Kaffeetrinken am Nachmittag anbieten.
     
  • Ich persönlich würde Kinder von alledem nicht ausschließen. Ich möchte meinen Kindern die Gelegenheit geben zu lernen, wie sie mit einem Verlust klarkommen können. Auch Kinder brauchen äußere Formen, um mit dem Thema Tod und Trauer umzugehen.
    Kinder trauern anders als Erwachsene. Ich kann sie darin unterstützen, indem ich unaufdringlich mit ihnen rede, z.B. vor und nach einem Gang ans Grab. Abends beim Ins-Bett-Bringen lese ich ihnen eine Geschichte aus der (Kinder-)Bibel vor, in der Jesus stärker ist als der Tod. Wir beten gemeinsam zu Gott, der alles und alle in der Hand hält. Ich glaube, dass wir unseren Kindern nichts Besseres tun können – inklusive der Zumutung, ihren Papa weinen zu sehen.
     
  • Im Gegensatz dazu erachte ich es nicht als hilfreich, wenn wir unseren Kindern nebulöse Erklärungen oder Geschichten vom Tod und den Verstorbenen erzählen, auch wenn sie gut gemeint sind. Ich halte es zum Beispiel für problematisch, wenn Kindern erklärt wird, dass ihre Oma jetzt vom Himmel auf sie herabschaut und auf sie aufpasst.
    Die Bibel geht in ihren Aussagen darüber, wie das Leben nach dem Tod genau aussieht, nicht in viele Details ein. Vielleicht, weil wir als Menschen diesseits des ewigen Lebens vieles davon noch nicht verstehen können. Deswegen halte ich es für wichtig, bei der Wahrheit zu bleiben, wenn es um himmlische Dinge geht. Ich kann bei offenen Fragen den Blick der Kinder stattdessen darauf lenken, dass Jesus sie trösten möchte, dass er uns sieht und wohlwollend auf uns achtgibt.
     

Ein offener Umgang mit dem Thema Tod befreit

Ich bin überzeugt davon, dass ein bewussterer Umgang mit den Themen Vergänglichkeit und Trauer, mit Tod und Ewigkeit, nicht beklemmend ist, sondern befreiend. Dazu lädt uns Jesus selbst in den Gottesdiensten an diesem besonderen Tag des Ewigkeitssonntags ein.

Zumindest ist das meine Beobachtung als Gemeindepfarrer: Bewohner und Bewohnerinnen im Altenheim reagieren meist dankbar, wenn einer thematisiert, was ohnehin im Raum steht. Sie empfinden es als hilfreich, wenn ich als Pfarrer offen darüber rede, welche Perspektiven die Bibel aufzeigt, was mit den Verstorbenen geschieht. Ich möchte in solchen Gesprächen Orientierung geben und den Blick auf Gottes Zukunft mit uns Menschen lenken.

Die Kinder im Kindergarten sind in ihrem Umgang mit diesen Themen ohnehin viel freier. Sie stellen ihre Fragen direkt und ungeniert. Ihnen möchte ich auf kindgemäße Art das weitersagen, was ich aus der Bibel erkannt habe. Ich stehe auch dazu, wenn ich Fragen nicht beantworten kann. Aus meiner Erfahrung nehmen es Kinder einem nicht übel, wenn man nicht auf alles eine Antwort hat. Im Gegenteil, diese Ehrlichkeit schafft Vertrauen.

Jesus schenkt Trost und Hoffnung

Nun sitze ich immer noch an meinem Schreibtisch und unterschreibe die Einladungen an die Hinterbliebenen zum Gottesdienst am Ewigkeitssonntag. Wer der Einladung wohl folgen wird?

Als Gemeindepfarrer wünsche ich mir, dass uns bei diesem Gottesdienst der mit seinem Trost und seiner Hoffnung umarmt, in dessen Namen wir bei der Beerdigung und bei jedem Gottesdienst zusammen sind: Jesus Christus. Ich wünsche mir, dass seine Liebe in meinem Herzen und im Herzen der Gottesdienstbesucher aufleuchten möge – immer wieder neu, bis in Ewigkeit.
 

Martin Weber ist Pfarrer in Kirchberg/Murr. Zusammen mit seiner Frau und den vier Kindern lebt die Familie dort im Pfarrhaus. Sein Herz schlägt für junge Menschen und für missionarische Angebote. Zu seinen Hobbies gehören die Hühner und Hasen im Pfarrgarten, das Bauen in der Werkstatt, das Trompete-Spielen im Posaunenchor und Lesen. Gerne ist er auch als Autor tätig. Aus seiner Feder stammt beispielsweise das Heft „Das Geschenk des Glaubens feiern. Von Advent bis Ewigkeitssonntag“. Darin wird der Leser eingeladen, die Feste des Kirchenjahres und ihre Bedeutung neu zu entdecken. 

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