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© Sam Moqadam / unsplash.com

21.04.2020 / Andacht / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Katrin Faludi

Ein sauberer Schnitt

Wie Trennung zu einem neuen Miteinander führt.

Manchmal ist Trennung eine gute Entscheidung. So beschlossen vor knapp 30 Jahren zwei Ministerpräsidenten, dass die beiden Teilrepubliken ihres gemeinsamen Staates künftig getrennte Wege gehen würden. Nicht, weil die beiden Landesteile einander unversöhnlich gegenüber gestanden hätten. Die Politiker scheiterten vielmehr daran, eine gemeinsame Verfassung auszuarbeiten. Anstatt sich weiterhin endlos zu streiten und sich darüber letztendlich doch zu verfeinden, entschieden sie pragmatisch, sich zu trennen. Am 1. Januar 1993 verlor Europa einen Staat und gewann dafür zwei neue hinzu: die Tschechische Republik und die Slowakische Republik. 

Heute äußern sich manche Tschechen wehmütig darüber, dass ihr Land kleiner geworden sei. Die Slowaken hingegen, die lange Zeit wirtschaftlich und kulturell vom tschechischen Landesteil dominiert worden waren, haben von der Emanzipation profitiert. Der Lebensstandard ist gestiegen, das nationale Selbstbewusstsein gewachsen. Heute pflegen beide Staaten enge Beziehungen. Das Vertrauen in den Nachbarn ist auf beiden Seiten groß. 

Die Auflösung der Tschechoslowakei hat einen Streit beendet, bevor er eskalieren konnte. Die getrennten Wege haben keinem der beiden Staaten geschadet, sondern eher für Bereicherung und eine Entspannung der Beziehungen gesorgt. So kann es eben auch laufen – wenn man bereit ist zu erkennen, dass ein krampfhaftes Festhalten am Status Quo nicht zwangsläufig zu einem guten Ergebnis führt. 

Wenn zwei sich streiten …

In der Bibel wird von einer ähnlich geglückten Trennung berichtet. Hier waren es nicht zwei Staaten, die seit langer Zeit eine Allianz gebildet hatten, sondern zwei Apostel: Paulus und Barnabas. Ihre gemeinsamen Erfahrungen als Missionare haben sie zusammengeschweißt. Sie haben lange Reisen miteinander unternommen und sich dem gemeinsamen Ziel gewidmet, Menschen vom Glauben an die Rettung durch Jesus Christus zu überzeugen. Dabei waren sie nicht allein. Andere Christen haben sie bei diesen Reisen unterstützt.

Über einen dieser Missionarskollegen aber entbrannte ein Streit zwischen Paulus und Barnabas. Als sie eine Reise planten, um die von ihnen gegründeten Gemeinden zu besuchen, wollte Barnabas einen Mitarbeiter namens Johannes Markus mitnehmen. Vermutlich waren die beiden Männer miteinander verwandt. Paulus aber hielt von der Idee gar nichts: „Paulus widersprach jedoch, weil Johannes Markus sie in Pamphylien im Stich gelassen und nicht mit ihnen weitergearbeitet hatte.“ (Apostelgeschichte 15,38 NL)  

Warum genau Johannes Markus die Mitarbeit quittiert hatte, wird nicht berichtet. Paulus ist er dadurch jedenfalls in schlechter Erinnerung geblieben. Barnabas aber bestand darauf, Johannes Markus mitzunehmen. Martin Luther übersetzt die Auseinandersetzung zwischen Paulus und Barnabas kernig: „Und sie kamen scharf aneinander, sodass sie sich trennten." (Apostelgeschichte 15,39) In heutigen Worten: Da flogen die Fetzen! Doch der Streit scheint kurz und heftig gewesen zu sein. Nach dem Entschluss, sich zu trennen, segelte Barnabas mit Johannes Markus nach Zypern und Paulus suchte sich mit Silas einen neuen Reisegefährten, der ihn sogar bis nach Europa begleitete.

Trennung als vernünftige Konsequenz

Auf welche Weise haben Paulus und Barnabas mehr erreicht? Als Dreiergespann mit einem Gefährten, den Paulus mit Sicherheit argwöhnisch beobachtet hätte, weil er ihn offensichtlich für unzuverlässig hielt? In dieser Konstellation hätte viel Konfliktpotenzial gelegen. Vielleicht wäre Johannes Markus wieder ausgestiegen, vielleicht hätten sich Paulus und Barnabas endgültig entzweit, vielleicht wäre die gesamte Reise gescheitert. Die beiden Zweierteams, die von der Jerusalemer Gemeinde ausgesandt worden waren, waren effizienter als ein potenziell zerstrittenes Dreierteam. So konnten sie in derselben Zeit viel mehr Menschen besuchen und die gute Nachricht verbreiten. Diese Trennung brachte am Ende mehr Segen als wenn alle mit zusammengebissenen Zähnen und Groll im Hals gemeinsam losgezogen wären. 

Unterschiedliche Ansichten, die sich nicht miteinander vereinen lassen, führen zu Streit. Sowohl Paulus und Barnabas als auch die tschechischen und slowakischen Ministerpräsidenten Václav Klaus und Vladímir Mečiar zogen die Bremse, bevor der Konflikt zu schnelle Fahrt aufnahm und sich nicht mehr aufhalten ließ. Diese Umsicht zeugt von einem reifen Umgang mit Konflikten. Zwar kochten Paulus und Barnabas kurzzeitig hoch, doch sie bekamen sich schnell genug wieder in den Griff, um ihren Streit auf relativ nüchterne Weise aufzulösen. Die Trennung war ebenso logisch wie vernünftig und führte zu einer viel größeren Harmonie als eine verkrampfte Allianz der Gewohnheit. 

Trennung kann ebenso logisch wie vernünftig sein und führt zu einer viel größeren Harmonie als eine verkrampfte Allianz der Gewohnheit.

Wie getrennte Wege wieder zueinander führen 

Streit und Trennung können einen konfliktbeladenen gemeinsamen Weg beenden. Zugleich öffnen sie neue Wege, Perspektiven und Möglichkeiten. Und in manchen Fällen ist es erst die Trennung, die eine Wiederannäherung überhaupt möglich macht. Aus seinen späteren Briefen lässt sich herauslesen, dass sich Paulus sowohl mit Barnabas versöhnt hat als auch mit Johannes Markus – vorausgesetzt, dieser ist identisch mit jenem erwähnten Markus. Manchmal ist es gar nicht ratsam, um jeden Preis aufeinander zu hocken. Trennung ermöglicht es den eng aneinandergebundenen Parteien überhaupt erst, ihre Individualität zu entdecken und zu entwickeln. Paulus, Barnabas und Johannes Markus konnten so auf die Weise evangelisieren, die zu jedem einzelnen am besten passte. Später fanden sie dennoch zu einer guten Partnerschaft zurück. Einer Partnerschaft, in der jeder persönlich gewachsen war und dem anderen mit Vertrauen begegnen konnte. Ohne Trennung hätte es sie nicht gegeben. 

Manchmal ist es gar nicht ratsam, um jeden Preis aufeinander zu hocken. Trennung ermöglicht es den eng aneinandergebundenen Parteien überhaupt erst, ihre Individualität zu entdecken und zu entwickeln.

 Katrin Faludi

Katrin Faludi

  |  Redakteurin

In Offenbach geboren, mit Berliner Schnauze aufgewachsen. Hat Medienwissenschaft und Amerikanistik studiert, ist danach beim Radio hängengeblieben. Außerdem schreibt sie Bücher, liebt alles, was mit Sprache(n) und dem Norden zu tun hat und entspannt gerne beim Landkartengucken. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wohnt sie in Bad Vilbel.

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