„Du bist verheiratet“, sagte der Kopf. „Ich weiß“, seufzte das Herz und klopfte ein bisschen schneller. „Was soll ich denn machen? Er hat braune Locken und große dunkle Augen. Er spielt Geige und wenn er singt, werden die Knie weich. Seine Stimme streichelt mich ohne mich zu berühren.“ „Aber Du bist verheiratet“, beharrte der Kopf und runzelte die Stirn.
„Ich weiß“, sagte das Herz leise.
„Wer die Frau (oder den Mann) eines anderen begehrlich ansieht, hat in seinem Herzen schon die Ehe mit ihr gebrochen.“ erinnerte der Kopf.
„Du hast Recht“, flüsterte das Herz, „das hat Jesus gesagt und ich weiß, dass er Recht hat.“
Und dann schwiegen sie miteinander.
Davor ist der frömmste Christ nicht sicher. Er kann noch so glücklich verheiratet sein. Der Partner hat zu 95 Prozent gute und liebenswerte Eigenschaften. Doch es kommt der Tag, da trifft man auf die anderen fünf Prozent und – Womm! – schon ist es passiert. Wir waren noch keine zwei Jahre verheiratet, da begegnete mir so eine Fünf-Prozent-Erscheinung. Und dann saßen wir fest, mein Kopf, mein Herz und ich. Eigentlich hatte ich meinen »Supermann« geheiratet, bloß hatte der gerade keine Zeit.
Ich hatte ihn zu einem Lehrgang begleitet und wir wohnten für sechs Wochen in einem ehemaligen Kloster. Ich machte den ganzen Tag Hilfsarbeiten, beim Hausmeister oder in der Druckerei. Ich schrubbte mit einem ehemaligen Strafgefangenen die Kapelle, Treppen, Toiletten und kilometerlange Flure. Ich gestaltete Sitzecken, strich Möbel, fertigte Kopien für den Unterricht an – und wanderte nachts bis zwei oder drei Uhr durch stille Gänge, während mein Schatz, vom lernen müde, den Schlaf des Gerechten schlief.
Obwohl ich zehn bis zwölf Stunden arbeitete und nach Feierabend mehrere Runden durch den Park joggte, war ich nicht müde zu kriegen. In der Einsamkeit der Nächte traf ich einige andere, die auch nicht schlafen konnten und hörte von vielen Sorgen und Nöten. Und manchmal traf ich auch „ihn“. Meine Gefühle haben mich völlig verwirrt, aber es war nichts zu machen: Meine Gedanken waren nicht umzustimmen. Ich hatte den Bauch voller Schmetterlinge.
Ich schrieb ein Gedicht über einen verbotenen Schmetterling – und so empfand ich ihn auch:
Zart und zerbrechlich, er war kein Mann fürs Leben, dafür wie ein kleiner Bruder. Mit ihm teilte ich nicht nur meine Liebe zur Lyrik, sondern auch Gefühle, für die mein Mann gerade den Kopf nicht frei hatte. Ich tröstete ihn in seinem Liebeskummer wegen seiner großen Jugendliebe. Es war schön aber es wurde immer gefährlicher.
So kam es, dass ich eines Abends in den mittleren Turm kletterte. Ich hatte fast zu jedem Zimmer einen Schlüssel und konnte mich frei bewegen. Ich öffnete das Fenster, sah in die Tiefe und überlegte: „Was wäre, wenn ich jetzt springe? Wer würde mich vermissen? Was stünde in der Presse?“ Ein Satz aus dem Leben von Moses fiel mir ein:
„Die Heiden werden spotten und sagen: sein Gott konnte ihn nicht beschützen.“
Mir war, als würde mich von hinten jemand sanft schubsen, doch ich war allein. Nein, das war keine Lösung – schnell schloss ich das Fenster wieder! Die sechs Wochen gingen vorbei. Am letzten Tag, meinem Geburtstag, schenkte er mir ein Heft mit seinen Gedichten. Ich schrieb ihm zum Abschied:
Was bleibt ist eine zarte Liebe
die nichts mehr fürchtet, als Dich einzuschränken
die so gerne Mutter sein möchte aber das nicht kann
und so gerne Lieve (jene Jugendliebe) aber das nicht darf
wohl aber eine Schwester, eine Freundin mit offenen Armen
die sich nicht traut, Dich anzurühren
aus Angst, Dich zu erschrecken oder zu zerbrechen
Liebe, die Dir die Freiheit schenkt
so zu sein wie Du bist
und die sieht was Du bist:
ein Juwel Gottes
Er lächelte und sagte: „Das ist ein schönes Gedicht.“ Danach sahen wir uns nur noch am Wochenende. In den Tagen dazwischen versöhnten sich Kopf und Herz. Ich betete zu Gott, mir diese Gefühle, die nicht sein durften, weg zu nehmen. Jetzt endlich wollte ich es auch. Ich legte sie Gott zu Füßen, drehte mich um und ging, ohne mich noch einmal umzudrehen. Und das Wunder geschah. Die Gefühle verschwanden. Erstaunt bemerkte ich, dass die ganze verbotene Anziehungskraft weg war. Er war nur noch mein kleiner Bruder.
Damit ging dieses Kapitel in den Schatz meiner Erlebnisse mit einem großartigen und geduldigen Gott am 31. März 1987 mit einem Dankgebet zu Ende.
„Ich hab nicht mehr, was Du mir abgenommen
mit leerem Herzen, leeren Händen steh ich da
Du triebst mich an den Abgrund, doch Du bist gekommen
mich in die Arme fest zu nehmen, warm und nah.
Du hast es mir nicht aus der Hand gerissen,
hast Deine Hand nur aufgehalten: „Komm, Kind, gib es mir“,
doch es war mir wie festgewachsen im Gewissen
bis der Gehorsam stärker wurde, dann erst gab ich´s Dir
Jetzt ist ein wundes Loch in meinem Herzen
und Blut und Tränen fließen da heraus.
HERR, es wird Lenz,
willst Du mir nicht ein Blümchen geben
dann kommt vielleicht ein Schmetterlinge
und ruht sich darauf aus.“
Ihr Kommentar
Kommentare (1)
Liebe Elke,
deine Worte berühren mich ganz gewaltig und die beiden Gedichte sind wunderschön. Ich hatte ein ähnliches Erlebnis wie du und ich kann dich trösten: das wunde Loch ist ganz geheilt. Ich … mehrfinde es sehr spannend meinen Weg mit dem Herrn zu gehen und ich hoffe, bald auch einen oder mehrere Begleiter zu finden auf diesem Weg. Liebe Grüße und Gottes Segen für deinen Weg!
Annemarie