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21.04.2017 / Andacht / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Tanja Rinsland

Gott, der Künstler

Was ich beim Patchworken über Gottes Kreativität gelernt habe.

Es gibt kein beruhigenderes Geräusch für mich als das monotone Ratterratter meiner Nähmaschine. Das Gefühl von weichem Baumwollstoff unter meinen Fingern, der im gleichbleibenden Rhythmus an mir vorbeizieht: Das ist für mich Seelenurlaub.

Das Quilten – ein Traditionshandwerk

Ein Quilt von 1886 der afroamerikanischen Künstlerin Harriet Powers mit Szenen aus der Bibel, z.B. Jakobs Traum von einer Himmesleiter. (Foto: Public Domain, Rhonda Leigh Willers via Wikimedia Commons)
Ein Quilt von 1886 der afroamerikanischen Künstlerin Harriet Powers mit Szenen aus der Bibel, z.B. Jakobs Traum von einer Himmesleiter.
(Foto: Public Domain, Rhonda Leigh Willers via Wikimedia Commons)

Mein Hobby, das „Patchworken“ – zu Deutsch „Flickwerken“ -  ist ein traditionsreiches Handwerk. Das älteste heute noch bekannte Stück ist 1000 vor Christi entstanden: Ein zusammengenähtes ägyptisches Grabtuch aus Leder. Zur wahren Kunst wurde es durch amerikanische Hausfrauen des 18. und 19. Jahrhunderts, die nach einem langen Arbeitstag im Restlicht der Abenddämmerung Stich für Stich komplexe Muster zusammensetzten. Sie entwickelten das, was wir heute unter Patchwork bzw. unter Quilten verstehen: Das Zusammensetzen vieler kleiner und kleinster Stücken Stoff zu Bildern, Mustern, geometrischen Formen und Landschaften.

In einem zweiten Schritt werden diese Muster durch eine Füllung und Rückseite ergänzt und mit vielen hundert Stichen kunstvoll miteinander verbunden. Durch Patchwork wurden alltägliche Dinge wie Bettdecken oder Kissen zu kleinen Kunstwerken, die selbst in die einfachsten Hütten Farbe brachten.

Berühmt sind zum Beispiel die „Civil War“ Quilts. Herrlich bunte, handgenähte, robuste Decken, die Mütter und Ehefrauen für die Soldaten nähten, die in den Krieg zogen. So hatte jeder Soldat immer etwas ganz persönliches bei sich, was ihn an seine Lieben erinnerte. Und wenn er an der Front starb, wurde er oft in Ermangelung eines Sarges in seine Patchwork-Decke gewickelt und darin beerdigt.

Das Besondere an diesem Handwerk ist, dass es schon immer eine Recycling-Kunst war. Weil jedes Stück aus vielen kleinen Einzelstücken besteht, sammeln Näherinnen seit jeher Stoffabfälle von anderen Projekten zusammen, bewahren abgelegte Kleidungstücke auf oder tauschen untereinander Stoffreste aus. Eine Patchworkerin erzählte mir zum Beispiel, dass sie gerne auf Second-Hand-Märkten nach alten Karohemden Ausschau hält, die sie in ihren Projekten vernähen kann. Jedes noch so kleine Stück kann in den komplexen Mustern einen Platz finden.

Deswegen konnten auch ärmere Frauen einzigartige Patchworkdecken schaffen und so inmitten eines harten Alltags kreativ werden. Wie die ehemalige Sklavin Harriet Powers, deren außergewöhnliche Storyquilts Bibelgeschichten erzählen und heute zu den wenigen erhaltenen Kunstwerken afroamerikanische Frauen des 19. Jahrhunderts gehören.

Ein Hobby für Zeitverschwender

Ein Quilt mit Seefahrer-Motiven (Foto: pixel1, pixabay.com)
Ein Quilt mit Seefahrer-Motiven (Foto: pixel1 /  pixabay.com)

Heute sind historische Quilts wie die von Harriet Powers tausende Euros wert und geben faszinierende Einblicke in den Alltag von Frauen, über die man sonst kaum etwas weiß. Doch weil diese Decken letztendlich Alltagsgegenstände waren, sind nur wenige davon erhalten geblieben: Die meisten sind vom täglichen Gebrauch zerschlissen oder landeten im Abfall, weil ihre Farben und Formen aus der Mode geraten waren. Und das, obwohl in jedem einzelnen Stück mehrere hundert Arbeitsstunden mühseliger Handarbeit steckten.

Eine Näherin verbringt mit jedem Quilt meist Wochen, manchmal sogar Monate und Jahre, bis ein einziges Projekt abgeschlossen ist. In richtig guten Quilts steckt deswegen nicht nur viel Arbeit, sondern meistens auch viel Liebe. Denn das Preis-Leistungs-Verhältnis lässt sich in Zahlen kaum ausdrücken. Wer schönes erschaffen will, dem sind Zeit und Mühe egal. Deswegen sind viele Quilts sehr persönlich. Oft haben Frauen ihre Hochzeitskleider in Patchworks verarbeitet oder Motive gewählt, die an ihr eigenes Leben erinnern. Ein Beispiel dafür sind die maritimen Quilts, die von Seefahrer-Frauen genäht wurden. Sie füllten ihre Häuser mit stilisierten Schiffen und Kompassrosen, während sie auf die Heimkehr ihre Männer warteten und für eine sichere Reise beteten.

Kreativität ist Gottes verschwenderische Liebe

Oft werde ich gefragt, ob mir das quilten nicht viel zu lange dauert. In einer Zeit, in der alles technisch optimiert, perfekt strukturiert und zahlenmäßig erfasst wird, ist es fast schon verpönt, etwas so zeitlich aufwendiges zu tun wie selbst zu nähen. Warum eine Decke in mühseliger Handarbeit aus recycelten Stoffstücken zusammenstellen, wenn ich mir für 30 Euro übers Internet eine fast genauso schöne kaufen kann? Oder warum einen alten Schrank mit der Hand abschmirgeln und restaurieren, wenn man auch das Geld hätte, sich im nächsten Möbelladen einen neuen zu kaufen?

Doch bei Kreativität geht es nie um ein Preis-Leistungsverhältnis. Vielleicht ist sie deswegen so eine intensive Erfahrung, weil wir Menschen selbst das Ergebnis von Kreativität sind. Wenn ich neues gestalte, spüre ich einer Wesensart Gottes nach: dem Schöpfen. Bei jedem Sonnenuntergang denke ich, wie wunderbar verschwenderisch Gott ist, der so viel Farbe und Licht auf den Himmel zeichnet. Und das alles nur, damit es Minuten später wieder verschwindet.

Das tut er jeden Tag — sogar dann, wenn Wolken den Himmel verdecken und die Menschen es gar nicht sehen. Für Gott ist es keine Frage, ob sich ein Sonnenuntergang lohnt, ob die Umfragewerte stimmen oder er genug Likes für seine Arbeit bekommt. Er käme nie auf die Idee, einen Standartsonnenuntergang einzuführen, den er Tag für Tag abspulen lässt, weil er die Mühe nicht lohnt. Gottes Kreativität ist nichts anderes als eine Ausdrucksform seiner verschwenderischen, überbordenden Liebe.

 

Foto eines privaten Quilts
Rückseite eines Quilts in Arbeit. Das Gesamtwerk entsteht aus hunderten von einzelnen Teilen (Foto: privat)

Gott ist leidenschaftlich kreativ. Mich berührt das „Und es war sehr Gut“ aus der Schöpfungsgeschichte immer wieder. Nicht nur, weil es über uns Menschen ausgesprochen wird, sondern weil es eben diese tiefe Verbindung des Künstlers Gott zu seinem Kunstwerk Welt zeigt.

Und in Psalm 104 überschlägt sich der Autor des Textes fast mit farbenfrohen Bildern über die schöpferische Kraft Gottes und beschreibt ihn als Licht-Schneider, Himmel-Baumeister, Wind-Rennfahrer und Feuer-Künstler:

Lobe den HERRN, meine Seele! HERR, mein Gott, du bist sehr groß; in Hoheit und Pracht bist du gekleidet.
Licht ist dein Kleid, das du anhast. Du breitest den Himmel aus wie ein Zelt;
du baust deine Gemächer über den Wassern. Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen und kommst daher auf den Fittichen des Windes,
der du machst Winde zu deinen Boten und Feuerflammen zu deinen Dienern;
er du das Erdreich gegründet hast auf festen Boden, dass es nicht wankt immer und ewiglich.

Nicht jeder ist ein Quilter wie ich. Aber Kreativität findet seinen Ausdruck in vielen Formen: In der Musik genauso wie in einer Holzwerkstatt. Der eine schreibt, ein anderer dekoriert gerne, ein dritter verbringt Stunden damit, seinen Garten zu gestalten. Eigentlich zählt nicht, was man tut oder sogar, ob man besonders gut darin ist, solange man es leidenschaftlich tut. Wer schafft, um anderen zu gefallen, verfehlt den eigentlichen Sinn des Schöpfens. Denn bei der Kreativität sollte es nie um Konkurrenz oder Leistung gehen — sondern ausschließlich darum, etwas von dem auszuleben, was Gott von seinem Wesen in uns hineingelegt hat: Eine zeitlose, verschwenderische Schöpferliebe.

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