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© Archiv der Deutschen Evangelischen Allianz

22.06.2011 / Geschichte der Evangelischen Allianz in Deutschland / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Reinhard Holmer und Jörg Podworny

Mal bezaubernd, mal Generalstabschefin

Anna von Weling träumte von einer Evanglischen Allianz in Deutschland und setzte sich entschlossen für ihre Gründung ein. Ein Portrait.

Kies knirscht unter den Füßen. Neben dem Parkplatz taucht ein kleines unscheinbares Grab auf: Anna Thekla von Weling, geboren am 21. März 1837, heimgegangen am 21. Mai 1900 - die charismatische Gründerpersönlichkeit mit starken biographischen Erfahrungen in England und Schottland und exzellenten Kontakten zu Fürstenhöfen und adligen Kreisen - mal als "bezaubernd", mal als "Generalstabschefin" bezeichnet, liegt hier bestattet. "Was ich von ihr weiß", sagt Reinhard Holmer, "fasziniert mich".

Sie ist die Gründungsmutter, unzweifelhaft. 1886 erwarb Anna von Weling in Bad Blankenburg, im Herzen Thüringens im waldreichen Schwarzatal, die ehemalige "Villa Greifenstein" und taufte sie in "Christliches Vereinshaus" um. Holmer schmunzelt: „Wenn ich meinen Gästen von Anna von Weling erzähle, sage ich manchmal: ‚Ich bewundere die Frau – hätte aber nicht unter ihr arbeiten mögen!’ Sie war eine starke Frau, hatte manche Ecken und Kanten, zugleich einen unglaublich weiten Horizont.“

Als sie 1886 nach Bad Blankenburg kommt, hat sie die Vision, dass die Einheit der Gemeinde Jesu sichtbar wird. In Schottland, woher ihre Mutter stammte und wo sie zu einem persönlichen Glauben gekommen war, lernte sie die Evangelische Allianz kennen. Von da an war es ihr großer Wunsch, dass auch in Deutschland Allianz gelebt würde. Das war freilich nicht einfach: Zusammenkünfte aus verschiedenen Kirchen und Gemeinschaften hatte es bis dahin kaum gegeben. Dafür umso mehr Streit, Verdächtigungen und oft auch Verleumdungen. Anna von Weling erkennt das als großes Hindernis für ein wirksames Zeugnis der Christen.

„Da wird Allianz-Gemeinschaft entstehen!“

Entschlossen geht sie zur Sache. Sie weiht ihr neues Haus 1886 Gott zu dem Zweck "den Namen Jesu zu verherrlichen durch Aufnahme elternloser Kinder und durch Verkündigung des Evangeliums an die Verlorenen". Bald schon kommen 350 Kinder in ihre Sonntagsschule, Eltern hören bei Mütterabenden und Bibelstunden die christliche Botschaft. In diesen Jahren startet sie die "Thüringer-Wald-Mission": Sie bekommt eine Kutsche und ein Pferd geschenkt - "der Gaul hieß 'Vorwärts'", schmunzelt Holmer -, gewinnt den Evangelisten Oswald Penzold und zieht mit ihm los zur Evangelisation in die nähere Umgebung. Gastarbeiter, die an der Eisenbahnlinie in der Gegend bauen, versorgt Anna von Weling, die fünf europäische Sprachen spricht, mit christlichen Schriften in deren Muttersprachen.

Mit sprühender Energie und zahlreichen Spenden baut sie unterdessen ihr neues Domizil aus. Nach drei Jahren in Bad Blankenburg entsteht das "Haus der Hoffnung" und 1893 als weiteres das "Haus des Friedens" - mit der bezeichnenden Bestimmung: "für im Dienst müde gewordene Reichsgottesarbeiter". Die konfessionelle Wirklichkeit in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts macht es schwer: Einer der "Väter" des in Bad Blankenburg entstandenen Allianzwerks, der methodistische Prediger Heinrich Ernst Gebhardt, hatte im Gefängnis gesessen, weil er von lutherischen Pastoren (!) wegen seines Glaubens angezeigt worden war. Im "Haus des Friedens" lädt Anna von Weling ab 1893 Pastoren und Prediger gleich aus welcher Denomination ein, damit sie gemeinsam singen, die Bibel lesen, sich ausruhen - und dabei begreifen, was es heißt, an den einen Herrn zu glauben. "Da wird Allianz-Gemeinschaft entstehen!", ist ihre Hoffnung.

Beharrlich und mit zäher Kraft lebt sie ihre Vision einer Allianz der geistlichen Einheit. Schon 1886 lädt sie für den Juni zur Allianz-Konferenz ein. Aber: "Der Einladung folgte niemand", vermerkt das Protokoll. Sie lässt sich davon nicht beirren und verschickt, unterstützt von Friedrich Wilhelm Baedeker und Ernst Gebhardt, erneut Einladungen. Diesmal mit Erfolg: Im September kommen 28 Christen zusammen, die im Wohnzimmer Anna von Welings die 1. Bad Blankenburger Allianzkonferenz abhalten. Etwas bis dahin völlig Neues: Baptisten, Lutheraner, Methodisten, ... versammeln sich zu einer gemeinsamen Konferenz.

Mehr Informationen zur Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) und ihrer Geschichte finden Sie unter ead.de.
Das Portrait über Anna von Weling ist dem Magazin "Eins. Gemeinsam Glauben - Miteinander handeln" 2/2011 entnommen. Wir danken der DEA für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung auf erf.de.

„Brüder, die uns den Horizont öffnen“

In den Folgejahren zeigt sich bei den Konferenzen wiederholt der weite Horizont der Gründerfrau: Nie "werks-egoistisch" denkend, lädt sie Missionare ein, die über die Verfolgung der Armenier, den Boxeraufstand in China oder den Burenkrieg in Südafrika berichten. 1896 spricht der berühmte China-Missionar Hudson Taylor, der nur selten nach Deutschland kommt, in Bad Blankenburg. Anna von Welings Frage bleibt permanent: "Wo sind die Brüder, die uns den Horizont öffnen?"

Die Teilnehmerzahl der Konferenz wächst beständig. Wieder entsteht ein neues Gebäude: die erste Konferenzhalle. "Es muss der größte Tag im Leben Anna von Welings gewesen sein, als sie 1898 den Schlüssel vom Architekten erhielt und die Konferenzhalle, die Platz für 700 Leute bot, aufschloss ...", vermutet Reinhard Holmer. Und er staunt: „Wenn ich das alles bedenke, kann ich nur staunen über den weiten Horizont dieser Frau. Wir können heute noch davon lernen.“ Als Anna von Weling am 21. Mai 1900 stirbt, gedenken viele ihrer Glaubensfreunde ihrer dankbar, von Italien bis Schottland.

Das Jahr 1900 bildet eine Zäsur im Allianzhaus. An die Stelle der Gründerin tritt ein Komitee von Brüdern, die das Haus in ihrem Sinne weiterführen wollen. Aber von allen unbemerkt, ist am 1.1.1900 das Bürgerliche Gesetzbuch im Kaiserreich eingeführt worden. Und das besagt unter anderem, daß nur "juristische oder natürliche Personen" eine Erbschaft antreten können. Das Komitee kann nichts erben! Eine dramatische Entwicklung mit vielen Verhandlungen mit der Erbengemeinschaft in Schottland setzt ein, die 1902 zu einem guten Ende führt: Die eigens zu diesem Zweck in Halle gegründete GmbH kann als einziger Bieter im Juli den gesamten Komplex erwerben.

Allerdings: Für 55.557 Mark muß das Komitee das ersteigern, was den Brüdern im Sinne der Erblasserin eigentlich schon gehört hatte ...

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