
19.10.2010 / Gemeindeberatung / Lesezeit: ~ 5 min
Autor/-in: Bernd Kanwischer und Reinhard SpinckeStagnierende Gemeinden: Neustart oder Beerdigung?
Ein Buch nimmt schrumpfende und sterbende Gemeinden unter die Lupe und die Autoren geben Tipps für ein Gemeinde-Comeback – oder eine würdige Beerdigung.
In fast jeder Gemeinde werden Statistiken geführt, die die Mitgliederentwicklung dokumentieren. Es ist aufschlussreich, solche Daten unter gezielten Fragestellungen zu betrachten. Bernd Kanwischer und Reinhard Spincke, Bundessekretäre im Bund Freier evangelischer Gemeinde, haben ein Buch veröffentlicht, das schrumpfende und sterbende Gemeinden unter die Lupe nimmt. Sie geben Tipps für ein Gemeinde-Comeback – oder eine würdige Beerdigung.
Es lohnt sich, folgende Fragen ehrlich und gewissenhaft als Gemeinde zu beantworten:
- Wie wird der eigene Mitgliederstand in zehn Jahren sein, wenn sich die aktuelle Entwicklung fortsetzt?
- Woher kommen neue Mitglieder?
- Erreichen wir vorwiegend Christen aus anderen Gemeinden, oder erleben wir auch Bekehrungen von jungen Gemeindekindern und nicht christlich sozialisierten Menschen? Gelingt es uns, sie in der Gemeinde zu integrieren?
- Wodurch verlieren wir Mitglieder? Es ist klar, dass Gemeinden mit hohem Altersdurchschnitt Mitglieder in verstärktem Maße durch Tod verlieren. Aber gibt es immer wieder auch Austritte? Wenn ja, warum?
Missionarische Perspektive gewinnen
Nach einer umfassenden Analyse müssen Gemeinden, die aus der Abwärtsspirale herauskommen wollen, unbedingt versuchen, eine neue missionarische Perspektive zu gewinnen. Natürlich gibt es keine Garantie dafür, dass rückläufige Gemeinden durch eine neue missionarische Ausrichtung wieder aufblühen. Aber es gibt die Garantie, dass rückläufige Gemeinden, die sich nicht um neue missionarische Perspektiven bemühen, die Türen über kurz oder lang schließen werden!
Mit schwierigen Leuten klarkommen
Christliche Gemeinden sind nicht in erster Linie für die perfekten Menschen gedacht, die auch gut alleine zurechtkommen. Die Gemeinde sollte vielmehr ein gläsernes Sanatorium sein, in dem alle Kranken willkommen sind. Denn nicht die Gesunden brauchen den Arzt Jesus, sondern die Kranken (Markus 2,17).
Dennoch darf es in der Gemeinde nicht dazu kommen, dass kranke oder schwierige Persönlichkeiten das Sagen haben. Gerade dies passiert in kleinen stagnierenden Gemeinden aber häufig, weil man über jeden froh ist, der mitarbeitet und bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Es ist hilfreich zu unterstreichen, dass schwierige Personen in einer Gemeinde wichtige Funktionen übernehmen können:
- Manchmal sind sie Auslöser für nötige Veränderungen.
- Manchmal bringen sie unangenehme Wahrheiten ans Licht.
- Manchmal werden sie erst durch negative Erfahrung in der Gemeinde zu einer schwierigen Person.
- Manchmal werden sie von der Gemeinde zur schwierigen Person gemacht, indem auf sie alles projiziert wird, was die Gemeinde selbst nicht zur Kenntnis nehmen will.
Es gibt also gute Gründe, schwierige Menschen ernst zu nehmen, ihre Kritik zu hören und alles zu tun, um eine positive Entwicklung bei ihnen zu fördern. Andererseits ist davor zu warnen, schwierigen Menschen zu viel Raum zu geben, weil sie häufig die für Veränderungen nötige Energie binden und außerdem auch durch ihre Art leicht andere Menschen verletzen.
Einen Bund miteinander schließen
Oft hilft es, wenn Gemeinden eine Art Bund oder Verhaltenskodex miteinander neu vereinbaren, damit die enormen Anstrengungen eines Neuanfangs nicht durch kontraproduktive Verhaltensweisen einzelner Mitglieder zerstört werden. Unter einem Verhaltenskodex verstehen wir ein schriftliches, von den Leitern entwickeltes und verabschiedetes Dokument, das täglich als geistliche Übung praktiziert wird. Der Kodex beantwortet die Frage: „Wie wollen wir uns verhalten (oder miteinander leben), wenn wir einander nicht verstehen oder nicht miteinander übereinstimmen?“ Ausgehend von Bibelstellen wie Kolosser 31,12-17 oder 1. Thessalonicher 5,12-26, könnte man zum Beispiel festhalten:
- Wir bemühen uns, einander aufzubauen und uns gegenseitig wertzuschätzen.
- Wir achten den Dienst der Ältesten und des Pastors
- Wir wollen klar und direkt miteinander sprechen
- Wir denken voneinander positiv und teilen ehrlich mit, wo wir Bedenken haben.
- Wir bemühen uns zu entdecken, was das Beste für die ganze Gemeinde ist und nicht nur für uns oder eine kleine Gruppe der Gemeinde.
- Wir betrachten Konflikte als etwas Natürliches.
Ein solcher Verhaltenskodex sorgt dafür, dass wir unsere Kräfte nicht im internen Miteinander verbrauchen, sondern uns auf die eigentliche Herausforderung – die Neuausrichtung der Gemeinde – konzentrieren können.
Und wenn es trotzdem nicht reicht?
Trotz aller Bemühungen um das Comeback von Gemeinden ist nicht davon auszugehen, dass in Zukunft keine Gemeinde mehr schließen wird. Es ist wichtig, dass den Mitarbeitern in diesem Fall nicht das Gefühl gegeben wird, versagt zu haben. Das Ende einer Gemeinde sollte vielmehr Anlass geben, Gottes Handeln in der Geschichte der Gemeinde noch einmal zu reflektieren: Wenn eine Gemeinde nach Gottes Willen gearbeitet hat und dann schließen muss, hinterlässt sie Segensspuren. Es kann eine große Hilfe für eine Gemeinde sein, nicht nur auf die aktuell abnehmende Mitgliederzahl zu schauen, sondern auch zu überlegen: Wer ist in unserer Gemeinde zum Glauben gekommen und geistlich geprägt worden? Wo dienen diese Menschen heute in Gottes Reich?
Die Segensspuren einer Gemeinde zu verfolgen, bewahrt vor Enttäuschung über Gottes Führung, weil es zur Dankbarkeit führt! Das Ziel einer Gemeinde ist nicht Langlebigkeit, sondern aufrichtiger, hingebungsvoller Dienst für Christus. Gesellschaftliche Entwicklungen, besonders im Bereich der Wirtschaft, machen auch vor Gemeinden nicht Halt.
Strukturschwache Gebiete in Ostdeutschland, dem Ruhrgebiet oder in ländlichen Gegenden erleben ständig, dass junge Menschen zum Studium und Berufsbeginn ihre Heimat verlassen. Viele Gemeinden haben hier viel in die junge Generation investiert, Bekehrungen erlebt und sind trotzdem nicht gewachsen, weil sie immer wieder junge, begabte Menschen an andere Regionen abgeben mussten. So ist mancher geistliche Aufbruch Freier evangelischer Gemeinden in Süddeutschland dadurch zu erklären, dass junge, geistlich motivierte Menschen aus Hessen oder aus dem Ruhrgebiet beruflich bedingt in den Süden gezogen sind und dort bei der Gründung neuer Gemeinden geholfen haben.
Die Entscheidung zur Beendigung der Gemeindearbeit kann hilfreicher und mutiger sein, als ohne Plan weiterzumachen. Aber eine Gemeinde sollte auch nicht erst dann schließen, wenn sie gar keine Kraft mehr hat und auf ein Minimum an Mitgliedern geschrumpft ist. Besser ist es, wenn auch bei solch einer Entscheidung langfristig geplant wird. Dann haben Menschen die Möglichkeit, sich auf die neue Situation einzustellen und hoffentlich auch in einer neuen Gemeinde heimisch und aktiv zu werden.
Das Ende einer Gemeinde sollte nicht sang- und klanglos erfolgen, sondern mit einem Dankgottesdienst würdig abgeschlossen werden. Ein dankbarer feierlicher Abschluss hilft, die Abschiedsschmerzen zu verarbeiten und sich neuen Herausforderungen zu stellen. Wir sollten die Chancen nicht verpassen, Gott so die Ehre zu geben und Menschen seelsorgerlich auf dem Weg in eine neue Gemeinde zu begleiten.
Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung des Artikels "Neustart oder Ende?" aus Christsein heute (August 2010)
Das Gemeinde-Comeback: Wie Ihre Gemeinde neu aufblüht
Bernd Kanwischer, Reinhard Spincke
SCM R.Brockhaus. Gebunden, 176 Seiten, € 12,95 im ERF.de-Shop
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