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03.01.2008 / / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Andreas Meißner

Das Wunder von Berlin

Ich bezeichne die Maueröffnung, das ereignis, was letztendlich die Wiedervereinigung der beiden deutschen Sstaaten eingeläutet hat, als das Wunder von Berlin. Ich habe dieses Wunder im Ostteil unserer heutigen Republik miterlebt.

Ich kann mich noch gut erinnern: Ich hatte meine Reisetasche gepackt, denn am nächsten Morgen wollte ich mit Freunden auf eine Tagung nach Halle fahren. Ziemlich spät sind wir ins Bett gegangen und hörten noch kurz vor dem Einschlafen die letzten Nachrichten im DDR-Radio: „In Zukunft soll es für alle Bürger möglich sein, ein Reisedokument zu beantragen, welches es ihnen ermöglicht, auch in nichtsozialistische Länder einzureisen.“ So ähnlich habe ich es noch im Ohr. Was ich nicht wusste: Zu diesem Zeitpunkt hatten schon jede Menge Leute in beide Richtungen die Grenze in Berlin überschritten.

Rückblick

Aufgewachsen in Thüringen mitten im Süden der DDR bekam ich zunächst wenig mit vom gleichsprachigen West-Nachbarn. Natürlich prägte auch mich die Agitation über Kindergarten, Schule, Ausbildung und Berufsalltag. Allerdings merkten wir als Familie durch unsere christliche Lebensausrichtung auch schnell die Toleranzgrenzen des ostdeutschen Systems. Nicht Mitglied bei den Pionieren, nicht in der Kinder- und Jugendorganisation FDJ, der „Freien Deutschen Jugend“ und auch später kein Bedarf, in eine der zugelassenen Parteien einzutreten – das war dem Staat und der StaSi suspekt und hatte etliche Nachteile zur Folge.

So richtig spannend wurde es, als ich nach Oranienburg – nördlich von Berlin – zog und dort durch „West-Verwandte“ meiner Frau vermehrt Kontakte mit dem anderen Teil Deutschlands hatte. Durch Gespräche und Austausch wurden die Gegensätze zwischen den beiden deutschen Staaten immer deutlicher. Auf der einen Seite die Freiheit in Presse und Meinung und die Prinzipien der Marktwirtschaft - auf „unserer“ Seite die nicht funktionierende Planwirtschaft, gekoppelt mit der „Diktatur des Proletariats“, der Unfreiheit der Meinungsäußerungen und der perfekt organisierten Überwachung. Wir dachten, das System sei für alle Ewigkeit in Stein gemeißelt. Und auch im Westen schien sich im Laufe der Jahre der Entfremdung diese Meinung manifestiert zu haben.

Unkaputtbar

Und die Geschichte schien uns allen Recht zu geben: Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 (seitdem bis 1990 Nationalfeiertag im Westen) und dessen blutige Niederschlagung durch Volkspolizei und sowjetisches Militär, der Ungarnaufstand 1956 mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen als auch die militärische Intervention der sowjetischen Truppen und des Warschauer Pakts im August 1968 in die damalige Tschechoslowakei – all das manifestierte ein System, welches Veränderungen und demokratische Öffnungen mit Waffengewalt gegenüberstand. Es war, wie es war und es würde so bleiben.

Die Marxisten sagten: „Das Kriterium der Wahrheit ist die Praxis“ – und tatsächlich, im „real existierenden Sozialismus“ nahmen die Mangelerscheinungen immer mehr zu. Veränderungen bahnten sich an. Und dazu der ständige Vergleich mit dem „Nachbarland“.

Viele kleine Wunder

Noch gut erinnere ich mich an die 80er Jahre und die neuen Vokabeln aus der Sowjetunion. Plötzlich geisterten Begriffe wie Glasnost und Perestroika durch den Alltag. Michail Gorbatschow sorgte in der UdSSR für neue Ideen und neuen Wind. Das hatte bis an die Spree Auswirkungen. Und immer mehr wurde über Reisefreiheit diskutiert. Bürgerrechtsbewegungen entstanden, erste Zahlen von Flüchtlingen wurden bekannt, Montagsdemonstrationen etablierten sich. Aber Erich Honecker hielt an seinem Slogan fest: „Den Sozialismus in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf.“ Und tatsächlich – er konnte ihn nicht mehr aufhalten, den Lauf, der zu Ende ging.

Am 07. Oktober 1989 wurde in Berlin noch pompös der 40. Jahrestag der DDR gefeiert. Elf Tage später trat Erich Honecker zurück. Diese Zeit war unheimlich spannend. Täglich Berichte über Demonstrationen im eigenen Land, zunehmende Flüchtlingswellen, Rücktritte von Mitgliedern des Ministerrates und Politbüros – und (noch) kein Eingreifen der Polizei und Armee gegen die aufmüpfige Bevölkerung. Davor hatten wir alle Angst.

Der 10. November

An dem Morgen, als wir zu unserer Konferenz fahren wollten, holte ich einen Freund von zu Hause ab. „Andreas, weißt du, dass unser Sohn heute Nacht in Westberlin war?“ begrüßte er mich. Und er erzählte, dass die Mauer offen sei. Ich konnte es nicht glauben! Noch ein anderer Fahrgast stieg zu und wir fuhren nach Berlin, weil dort der letzte der Fahrgemeinschaft auf uns wartete. Unterwegs hörten wir diverse Nachrichten und tatsächlich – in der Nacht waren die Grenzen aufgemacht worden. Unfassbar!

Als wir auf der Schönhauser Allee in Richtung Grenzübergang Bornholmer Straße fuhren, parkten überall wild auf den Gehwegen, teilweise halb auf den Straßen und Kreuzungen Autos. Und keine Polizei zu sehen. Vom Grenzübergang kamen uns Menschenscharen entgegen. Und in Richtung Grenze waren ebenfalls jede Menge Passanten unterwegs. Und dann sahen wir die berühmte „Bösebrücke“ vor uns, an der ich oft sehnsuchtsvoll gestanden und mir gewünscht hatte, einmal da hinüberlaufen zu können.

Als wir kurz vor der Brücke waren, winkten uns Volks-Polizisten freundlich (!) zum Übergang durchzufahren. Aber da wir den Tag anders geplant hatten, fuhren wir vorbei und nicht über die Grenze. Noch heute ärgere ich mich darüber, dass wir in dieser Situation so unflexibel waren.

Auf der Fahrt nach Halle und während der Bibelkonferenz beschäftigte uns die Grenzöffnung sehr, obwohl wir zu dem Zeitpunkt noch nicht fassten, welche Auswirkung dieser historische Tag auf unser Leben und auf die DDR haben würde.

Ich selbst bin mit meiner Familie einige Tage später zu unseren Verwandten nach Berlin-Steglitz im ehemaligen West-Teil gefahren. Es war auch dann noch ein äußerst emotionales Erlebnis! Endlich einmal dort fahren, laufen und das anschauen, wohin ich unter „normalen“ Umständen niemals hingekommen wäre!

Und Gott?

Aus dem Motto „Wir sind das Volk!“ wurde später „Wir sind ein Volk!“ und in enormer Schnelligkeit kamen erst Währungsunion und dann die deutsche Einheit. 40 Jahre Nachkriegstrennung eines Volkes waren zu Ende. Grund genug, Gott für solche Güte zu danken. Die Trennung unseres Volkes in zwei Staaten war die Folge der Naziherrschaft, die Gottes Volk, die Juden, angetastet hatten. In der Bibel werden die Juden als Gottes „Augapfel“ bezeichnet:
Er sagt zu euch: »Wer euch antastet, tastet meinen Augapfel an!«

Dass es einmal ein wiedervereintes Deutschland geben würde, hatten wir nicht erwartet. Viele Faktoren mussten zusammen kommen, ein begrenztes Zeitfenster geöffnet und Regierungen vorbereitet werden – all das sehe ich als Gottes eigenes Eingreifen. Natürlich kommen Regimes und sie gehen – und trotzdem glaube ich fest daran, dass es immer etwas mit Gottes eingreifen zu tun hat.

Deshalb bin ich trotz hoher Arbeitslosigkeit, trotz vieler anderen Probleme im Alltag unserer neuen „Berliner Republik“ von Herzen dankbar, dass die Mauer fiel und Gott uns als Volk wieder zusammengebracht hat! 

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