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© Amanda Kerr / unsplash.com

21.09.2021 / Kommentar / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Hanna Willhelm

Von pupsenden Kühen und badischem Wein

Warum Landwirte statt Verachtung unsere Solidarität brauchen. Ein Kommentar.

Ich bin mit dem Fahrrad unterwegs ins Nachbardorf. Nach kurzer Zeit lasse ich den noch städtisch geprägten Vorort, in dem wir wohnen, hinter mir. Jetzt wird es richtig ländlich. Rechts und links der Straße bin ich von Getreideäckern umgeben, die sich an die leicht welligen Hügel anschmiegen. Während ich durch die idyllische Landschaft strample und den Blick auf die goldgelben Felder genieße, geht mir das Buch nicht mehr aus dem Kopf, das ich gerade zu Ende gelesen habe.

Eine vierköpfige Familie beschreibt darin ihren einjährigen Versuch, den eigenen C02-Fußabdruck zu senken. Vielem, was die Autoren beschreiben, stimme ich zu. Einiges davon versuche ich selbst in die Tat umzusetzen. Aber eines ärgert mich dennoch kolossal an ihren Ausführungen: Die unbeteiligte und fast schon besserwisserische Art und Weise, mit der sie über die (konventionelle) Landwirtschaft den Stab brechen.

Denn während sie in ihrem Berliner Stadthaus mit Garten theoretisch über pupsende Kühe, deren C02-Ausstoß und den stinkenden Traktor eines bekannten Landwirtes diskutieren, sehe ich vor meinen Augen gerade ganz praktisch die harte Arbeit, die hinter einem landwirtschaftlichen Produkt namens Getreide steckt. Wie oft ist der Landwirt hier früh morgens aufgestanden, um den Acker zu bestellen, ihn zu pflügen, das Getreide einzusäen, und – ja auch das – es zu spritzen? Ob er eine nennenswerte Ernte einfährt, ist bei allem Fleiß trotzdem noch lange nicht garantiert.

Wie oft ist sein oder ihr Blick dabei sorgenvoll in Richtung Himmel gegangen, ob das Wetter endlich freundlicher wird oder ob es mal wieder ergiebig regnet? Ein Nebenerwerbslandwirt hätte das alles zusätzlich zu seinem Job noch nach Feierabend gestemmt. Was beiden Erwerbsformen gleich ist, ist der niedrige Lohn, den sie für ihre harte körperliche Arbeit ernten.

Demut und Zuhören sind gefragt

Verlasse ich unser Dorf in eine andere Richtung, stoße ich bald auf den einzigen Landwirt, der meines Wissens vor Ort noch Viehwirtschaft betreibt. Er ist alt. Kürzlich sprach ich mit seinem Sohn darüber, ob er den Hof weiterführen wird. Seine Antwort war: Nein. Die Getreidefelder hätten sie jetzt schon verpachtet, und um die Kühe kann er sich neben seinem Beruf nicht kümmern. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis auch dieser Hof dicht macht. Wer, so frage ich mich, kümmert sich dann um die Felder, mäht die Wiesen? Wer erhält – wie man heute so schön sagt – die Kulturlandschaft, in der sich die Städter so gerne erholen?

Auch wenn sich das jetzt vielleicht so anhört: Ich will hier kein „Städter-Dissen“ anfangen. Was ich mir aber sehr wohl wünsche, ist eine größere Demut und Lernbereitschaft einer vorwiegend städtisch ökologisch sensiblen Klientel gegenüber Landwirten und ihrer Arbeitsweise. Denn auch wenn sich viele dieser städtisch geprägten Menschen mit aufrichtigem Herzen für den Klimaschutz einsetzen, haben sie von landwirtschaftlichen Zusammenhängen in der Regel doch herzlich wenig Ahnung.

Um es mit den Worten einer Bio-Bäuerin auszudrücken:

Es ist schon befremdlich, wenn weite Teile der Gesellschaft glauben, Landwirten sagen zu müssen, wie Landwirtschaft funktioniert. Ich erlebe häufig, dass Menschen, die uns am Wochenende beim Melken zuschauen, über das Arbeitspensum von Landwirten ziemlich erstaunt sind.
Die meisten sind auch erstaunt, wie komplex viele Zusammenhänge sind. Landwirte machen, wie alle anderen Handwerker auch, eine 3-jährige Ausbildung. Anschließend absolvieren viele danach noch ein Studium oder eine vergleichbare Schule. Landwirte haben fachlich Kompetentes zu sagen und müssen über ihre Existenz mitentscheiden können!

Gesetzliche Vorgaben müssen finanzierbar sein

Ich bin überzeugt: Wenn Letzteres nicht passiert, erleben wir nicht nur ein zunehmendes Gegeneinander von den verschiedenen Milieus in Stadt und Land, von Ökologie und Agrarwissenschaft, sondern auch ein weiteres Hofsterben. Daran kann niemand Interesse haben, und doch trägt die Politik mit ihrer Gesetzgebung verstärkt dazu bei. Ein aktuelles Beispiel ist das angestrebte Verbot der sogenannten ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern im Stall. Vor allem kleine Familienbetriebe mit einer Nebenerwerbslandwirtschaft wären davon betroffen.

Es ist abzusehen, was passiert, wenn ein solches Verbot in Kraft tritt: Kaum einer wird – bei gleichzeitig niedrigen Milchpreisen – die Investition in eine andere Halteform riskieren wollen. Stattdessen werden weitere Ställe leer stehen, wird sich die Landwirtschaft noch mehr als zuvor in industriellen Großbetrieben organisieren. Ein Teufelskreis. Denn gerade die kleineren Betriebe haben alleine aufgrund ihrer Größe vermutlich mit einer gewissen Nachhaltigkeit gewirtschaftet.

Doch von ihnen gibt es nicht mehr viele. Waren es 1971 noch rund eine Millionen landwirtschaftlicher Betriebe, sank die Zahl bis 2019 auf knapp 276.000. Alleine in den letzten 20 Jahren haben 42 Prozent alle Betriebe aufgegeben.

Der kleine Betrieb meiner Eltern in Südbaden gehört dazu. Als die Auflagen immer höher wurden, haben sie irgendwann in den 1980er Jahren das Vieh abgeschafft. Als die Getreidepreise immer stärker gefallen sind, haben sie noch eine Weile später ihre Felder verpachtet. Warum bei Tag und Nacht körperlich hart arbeiten, wenn kaum noch etwas dabei herausspringt und die gesetzlichen Hürden und Vorgaben immer komplizierter und – zumindest zum Teil – absurder werden?

Deshalb schreibe ich diesen Text auch aus einer persönlichen Betroffenheit heraus. Nicht, weil ich den Hof gerne übernommen hätte. Dafür ist mein Bruder wesentlich besser geeignet, und zum Glück hat er mit seinem kleinen Nebenerwerbsweingut auch eine Nische gefunden, die zumindest momentan noch einigermaßen rentabel ist. Aber ich frage mich schon, warum Agrarpolitik oft über die Köpfe der Landwirte hinweg gemacht wird, statt mit ihnen und für sie.

Lebensmittel sind kein zweitrangiges Produkt

Viele der geforderten Veränderungen sind an sich sinnvoll und richtig, aber was hilft es, wenn die betroffenen Betriebe dafür finanziell investieren müssten, während die Preise für Lebensmittel gleichzeitig niedrig bleiben sollen? Da beißt sich die Katze in den Schwanz oder deutlicher gesagt: Wir sägen den Ast ab, auf dem wir sitzen. Denn schließlich produziert Landwirtschaft nicht irgendein zweitrangiges Produkt. Es geht um Lebensmittel, ums tägliche Brot. Und das brauchen wir alle.

Deswegen sehe ich auch keinen Weg vorbei an einem Appell an die Verbraucher. An mich und vermutlich auch an Sie. Wie viel mehr sind wir bereit für Lebensmittel auszugeben, wenn damit eine Landwirtschaft finanziert werden kann, die ökologisch auskömmlicher ist? Darf es beim Preis neben dem Tierwohl auch um die Frage gehen, ob der Produzent von der Arbeit seiner Hände leben kann? Discounterpreise – auch wenn sie Bio sind – sind definitiv nicht die Lösung, selbst wenn sie das schlechte Gewissen beruhigen mögen.

Mein Kollege Markus Baum schreibt dazu treffend:

Da, wo viele Verbraucherinnen und Verbraucher sich für faire Produktionsbedingungen und faire Löhne einsetzen in anderen Ländern, können sie etwas bewirken. Sie müssen dann aber auch bereit sein, den Preis dafür zu zahlen. Im konkreten Fall den höheren Preis zum Beispiel für Kaffee, Tee oder Kakaoprodukte oder auch für Oberbekleidung.
Nur sollte jeder und jedem klar sein: Solidarität verpflichtet insgesamt, die Augen offenzuhalten und mit wachen Sinnen durchs Leben zu gehen. Die Solidarität mit den Kaffeebauern in Mittelamerika oder mit den Arbeiterinnen in den Teeplantagen Südasiens sollte auch sensibilisieren für die Situation der Landwirte hierzulande, die zum Teil seit Jahren kaum kostendeckend arbeiten können.

Faire Preise für mehr Tierwohl - und für harte Arbeit

Vor einiger Zeit habe ich beim Aufräumen eine alte Zeitung gefunden, in die irgendetwas in einer Kiste eingewickelt gewesen war. Auf dem vergilbten Papier fand sich die Anzeige des örtlichen Metzgers meiner Heimatstadt mit dem Hinweis, von welchen Landwirten sein Fleisch in dieser Woche stammt. Ich habe die Anzeige einem der Landwirte gegeben, der darin genannt wurden. Als Erinnerung. Denn auch er hat aufgrund des niedrigen Fleischpreises keine Kühe mehr im Stall stehen. Auch er hat sich auf den Weinanbau konzentriert.

Wie gesagt: Noch lohnt sich das Geschäft in dieser Sparte einigermaßen. Es wäre schön, wenn es so bliebe. Vielleicht denken Sie ja daran, wenn Sie versucht sind, das nächste Mal eine Flasche badischen Weins zum Schnäppchenpreis beim Discounter einzupacken. Ich würde mich freuen. Mein Bruder und besagter Landwirt sicherlich auch.

 

 Hanna Willhelm

Hanna Willhelm

  |  Redakteurin

Hanna Willhelm ist Theologin und Redakteurin im Bereich Radio und Online. Sie ist fasziniert von der Tiefe biblischer Texte und ihrer Relevanz für den Alltag. Zusammen mit ihrer Familie lebt die gebürtige Badenerin heute in Wetzlar und hat dabei entdeckt, dass auch Mittelhessen ein schönes Fleckchen Erde ist.

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Kommentare (3)

Lilo H. /

Vorweg: auch ich stamme aus der Landwirtschaft und bin dadurchI
Insiderin. Was ihr Artikel aber völlig ausblendet, ísť die Rolle der Politik. Ich zahle selbstverständlich und gerné doppeltnso viel mehr

Ruth B. /

Liebe Hanna Wilhelm, viele Mitbürger wissen schon gar nicht mehr wo ihre Lebensmittel herkommen, für Kinder ist Nahrung ein Mysterium weil sie die Tiere und das Getreide nicht mehr kennen oder wofür mehr

Karina /

Vielen Dank für diesen Artikel. Die Worte sprechen mir aus dem Herzen. Leider wissen viele Leute viel zu wenig über die Hintergründe, sind aber schnell dabei, sich ein Urteil zu bilden und dieses mehr

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