Deutschland, 1846. Das Deutsche Kaiserreich befindet sich mitten in einer wirtschaftlichen und sozialen Krise. Wetterbedingte Getreidemissernten und die Kartoffelfäule bedrohen die Existenz vieler Landwirte. Die Ressourcenknappheit lässt die Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe schießen. Viele Arbeiter können sich ein Leben im Deutschen Reich nicht mehr leisten.
In dieser Zeit spielt die historische Weihnachtsgeschichte „Hoffnungssterne am Adventsbaum“ von Brigitte Liebelt.
Ein Leben ohne Perspektive
Für die 17-jährige Anna Wagner gibt es keine berufliche Zukunft. Sie hilft ihrer Mutter im Haushalt und bei Näharbeiten, während ihr Vater als Tagelöhner auf dem Feld arbeitet. Das Geld der Familie wird immer knapper.
Mit ihrem Freund Paul schmiedet Anna einen Plan: Sie wollen gemeinsam nach Amerika auswandern. Dort soll das Leben besser sein. Doch Karl Wagner lässt seine Tochter nicht ziehen. Und so macht sich Paul allein auf die beschwerliche Reise über den Atlantik und Anna bleibt perspektivlos zurück.
In dieser Situation erhält Annas Vater einen Brief von seiner Schwester aus dem Diakonissenhaus in Kaiserswerth. Die Tante fragt, ob Anna sich vorstellen könne, dort als Kinderpflegerin im Waisenhaus zu arbeiten. Nach langer Überlegung steht die Entscheidung des Vaters: Anna wird nach Kaiserswerth ziehen.
Neuanfang in Kaiserswerth
Dort beginnt für Anna ein neues Leben. Ein ganz anderes, als sie erwartet hat.
Im Diakonissenhaus steht der gelebte Glaube an Gott an erster Stelle. Auch die Waisenkinder werden in der Bibel unterrichtet. So etwas kennt Anna von zuhause nicht.
Auch ist sie verwundert, wie ruhig die Diakonieschwestern mit Kindern wie der frechen Helene umgehen. Das würde Anna auch gerne können. Doch Unsicherheit und Selbstzweifel nagen an ihr. Gehört sie hierhin? Macht sie ihre Arbeit gut genug? Als im Waisenhaus eine Krankheitswelle umgeht und auch die leitende Schwester Ruth krank im Bett liegt, ist Anna mit der Betreuung der Kinder auf sich allein gestellt.
Dann beginnt die Adventszeit. Um den Kindern das Warten auf Weihnachten zu verkürzen, führt Pastor Theodor Fliedner, der Leiter des Waisenhauses, eine neue Tradition ein: Den Adventsbaum. Jeden Tag lernen die Kinder einen neuen Bibelvers auswendig. Mit Annas Unterstützung basteln sie Sterne, auf welche die Verse geschrieben werden. An jedem Adventssonntag sagen die Kinder die Bibelverse der letzten Woche auf. Ihre Sterne werden zusammen mit einer Kerze an den Baum gehängt. So wird der Baum bis Weihnachten immer ein bisschen heller.
Ein Glaube, der heilt
Die Leser begleiten Anna, wie sie bei ihrer Arbeit im Waisenhaus Gott immer mehr kennenlernt. Während sie mit den Kindern täglich Bibelverse auswendiglernt, beginnt in Anna ein Prozess der inneren Heilung. Dabei stellt sie sich Fragen, die viele Menschen bewegen, die auf der Suche nach Gott sind. Hierbei legt die Autorin großen Wert auf biblisch fundierte Antworten.
Anna und die Kinder lernen nicht nur die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium kennen, sondern auch die Verheißungen aus dem Alten Testament, die auf Jesus als Messias hindeuten.
Dieser Fokus hat mir sehr gefallen, da ich als christliche Leserin viele theologische Impulse mitnehmen konnte.
Das Buch zeigt zudem, wie wichtig ein Glaube ist, der im Alltag vorgelebt und nicht nur gepredigt wird. Trotz der Kürze von 160 Seiten steckt sehr viel Tiefe in dem kleinen Buch. Daher ist es weniger für eine schnelle Lektüre geeignet.
Beim Erzählstil orientiert sich die Autorin an der sprachlichen Ausdrucksweise des 19. Jahrhunderts. Das schließt auch die im Buch verwendete Bibelübersetzung mit ein. Auch der Glaube der Figuren wirkt dadurch etwas altertümlich und sehr fromm.
Wer noch auf der Suche nach Gott ist oder gerade erst zum Glauben gefunden hat, für den könnte dieser Sprachstil befremdlich sein. Das Buch richtet sich daher eher an traditionell-konservative Christen, denen eine solche Sprache geläufig ist.
Historisch präzise und authentisch erzählt
Mir persönlich gefiel besonders die enge historische Orientierung an den sozialen Umständen im 19. Jahrhundert. Es wird nicht nur die Armut thematisiert, von der damals viele Menschen betroffen waren, sondern auch Krankheitswellen von Grippe und Typhus. Die Autorin zeigt auf, wie diese damals aufgrund von fehlendem medizinischem Wissen und schlechter ärztlicher Versorgung das Leben der Kranken bedrohten.
Auch Pauls Reise nach Amerika, in die man als Leser zwischendurch immer wieder einen kurzen Einblick bekommt, wird realitätsnah erzählt. Im Anhang des Buches befindet sich zudem eine Einordnung der historischen Hintergründe.
Die Geschichte gibt fiktive Einblicke in das Alltagsgeschehen der Diakonissenanstalt Kaiserswerth, die 1836 vom Pastor Theodor Fliedner gegründet wurde. Es war eine der ersten Einrichtungen im Deutschen Kaiserreich, die jungen unverheirateten Frauen eine Berufsausbildung ermöglichte. Auch die Tradition des Adventsbaumes, wie sie im Buch beschrieben wird, führte Fliedner 1848 in seinen Einrichtungen ein.
Lesenswerte historische Erzählung
Insgesamt hat mir die weihnachtliche Geschichte von Brigitte Liebelt sehr gut gefallen. Die Hauptfigur Anna erlebt eine persönliche Entwicklung. Sie erfährt, dass sie von Gott geliebt ist. Dadurch kann sie sich selbst annehmen und auch ihrer Familie vergeben. Die Erzählung vermittelt eine hoffnungsvolle Stimmung: Die Not der damaligen Zeit wird mit dem Trost des Glaubens verbunden.
Mit dem Fokus auf die biblischen Verheißungen von Jesus als Messias bietet die Erzählung zur Weihnachtszeit eine erweiterte Perspektive.
Mit nur 160 Seiten lässt sich das Buch gut in der Adventszeit oder an den Weihnachtstagen lesen. Ich empfehle es jedem, der gerne christliche historische Romane liest.
Ihr Kommentar