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© Rawpixel / unsplash.com

17.12.2015 / Interview / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Eine Frage der Sprache

Wie müssen christliche Medien kommunizieren, um verstanden zu werden?

Wie lässt sich das Evangelium medial am besten verbreiten? Diese Frage beschäftigt viele Christen, vor allem solche, die in oder mit den Medien arbeiten. Der Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer ist einer der Hauptredner auf dem Christlichen Medienkongress im Januar 2016. Er ist überzeugt: Die christliche Botschaft hat immer noch Relevanz in unserer Gesellschaft.
 

ERF: Sie sprechen im Januar als einer der Hauptredner auf dem Christlichen Medienkongress zum Thema: „Schaffen wir die klassischen Medien ab, weil sie zu wenig auf die Menschen eingehen?“ Was meinen Sie damit, dass die klassischen Medien zu wenig auf Menschen eingehen?

Jan Fleischhauer: Es war die Bitte des Veranstalters, dass ich darüber spreche. Ich selber bin nicht der Meinung, dass die Medien zu wenig auf die Leute eingehen. Aber ich glaube, dass in der Überschrift zum Ausdruck kommen soll, dass es heute ein größeres Unbehagen an der Rolle der Medien gibt als noch vor ein paar Jahren.

ERF: Inwieweit halten Sie als Journalist die Kritik an den Medien für berechtigt?

Jan Fleischhauer: Es gibt immer Grund für Kritik an den Medien, weil es ‒ wie in allen anderen Berufen – auch hier Leute gibt, die es besser oder schlechter machen. Bei der Behandlung der Flüchtlingskrise zum Beispiel ärgert die Menschen, dass sie bei Talkshows des öffentlich rechtlichen Rundfunks den Eindruck haben, dass die Besetzung immer gleich aussieht: Es gibt vier Gäste, die finden, alles liefe super, und einen „Hau den Lukas!“, der die Gegenposition einnimmt und auf den alle anderen inklusive des Moderators einschlagen. Dieser Eindruck einer bevormundenden Berichterstattung wird dann insgesamt auf die Medien übertragen. Wenn man aber nachfragt, ist eigentlich das öffentlich rechtliche Rundfunksystem gemeint.

ERF: Oft hat man den Eindruck, dass die Meinung in den Medien zwischen zwei sehr starken Polen schwankt. Entweder man ist für oder gegen eine Sache, Zwischenpositionen werden immer seltener. Erleben Sie das auch?

Jan Fleischhauer (Bild: Privat)

Jan Fleischhauer: Reden wir jetzt über normale Berichterstattung oder über Meinungsartikel und Kolumnen? Kommentare und Kolumnen leben davon, dass sie eine starke Meinung haben. Und das bedeutet im Zweifelsfall, für oder gegen etwas zu sein. Das ist das Wesen einer Kolumne oder eines Kommentars. Ärgerlich wird es, wenn ein Autor auch in der normalen Berichterstattung gleich in der Überschrift mit bestimmten Adjektiven dem Leser auf den Weg zu helfen, wie er etwas zu finden hat. Das halte ich persönlich für keinen guten Stil. Ich hätte das lieber etwas getrennt, dass man erstmal nüchtern berichtet und anschließend einen Artikel darüber schreibt, warum man das alles ganz schlimm und furchtbar oder aber einfach großartig finden soll.
 

„Es gibt zwei Arten von Öffentlichkeit“

ERF: Glauben Sie, dass das von Ihnen beschriebene Phänomen mit dem Medienwandel zusammenhängt, zum Beispiel mit der Erstarkung von sozialen Netzwerken?

Jan Fleischhauer: Ich glaube eher, es liegt ein bisschen in der Natur des Journalisten, dass er glaubt, er habe die Weisheit mit Löffeln gefressen. Daher fällt es ihm tendenziell schwer, mit dieser Weisheit hinter dem Berg zu halten, beziehungsweise ist immer in der Versuchung, seine Leser zu belehren.

ERF: Kommen wir noch mal zurück auf die Unzufriedenheit der Menschen mit den Medien. Wie müssten sich die klassische Medien verändern, damit sie wieder mehr Bezug zum Alltag der Menschen haben und die Menschen neu Vertrauen in die Medien fassen?

Jan Fleischhauer: Ich teile die Prämisse nicht, dass das Vertrauen in die klassischen Medien erschüttert sei. Ich glaube, dass die Leser der FAZ relativ zufrieden mit ihrer Zeitung sind und die Leser der Süddeutschen mit der SZ auch. Ich denke nicht, dass die sinkenden Auflagenzahlen etwas mit einer Vertrauenskrise zu tun haben, sondern im Wesentlichen mit einem Kampf gegen Konkurrenz, die umsonst Informationen verspricht. Die Abonnenten denken sich: „Wenn ich die wesentlichen Artikel der Süddeutschen online umsonst am Abend vorher lesen kann, warum soll ich am nächsten Morgen eigentlich 2,50 Euro ausgeben?“

ERF: Sie sprechen an, dass man im Internet viel schneller an Informationen kommt. Doch dadurch verbreiten sich auch leichter Falschmeldungen, weil sich nicht alle Menschen auf seriösen Nachrichtenseiten informieren. Wie können die klassischen Medien darauf reagieren?

Jan Fleischhauer: Es entwickeln sich im Moment zwei Arten von Öffentlichkeit: Eine Öffentlichkeit, die Wert darauf legt, dass die Informationen, mit denen wir hantieren, zutreffend sind. Und eine zweite Öffentlichkeit, der das nicht so wichtig ist und die vieles einfach für bare Münze nimmt. Lustigerweise sind gerade die Leute, die das Wort „Lügenpresse“ im Munde führen, diejenigen, die unseriösen Nachrichtenportalen besonders viel Vertrauen schenken. Wenn man mit diesen Leuten redet und sie fragt, woher sie Zahlen und Fakten haben, kommt immer der schöne Satz: „Das stand doch im Netz.“ Aber im Netz gibt es eben alles, auch den größten Unsinn.
 

Nachfrage für guten Journalismus wird es immer geben

ERF: Aber wie kann man diesem Problem nun begegnen?

Jan Fleischhauer: Da kann man nichts entgegensetzen. Man kann den Leuten nur deutlich machen, dass man sie so nicht wahnsinnig ernst nimmt, wenn sie sich nicht einmal die Mühe machen, die Dinge auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Das mag jetzt sehr arrogant klingen, aber so ist es eben. Wir nehmen ja auch jemanden, der in der Schule durch alle Prüfungen geflogen ist, weil er zu faul zum Lernen war, nicht sonderlich ernst, wenn er sich in eine Diskussion über die Reform der gymnasialen Oberstufe einmischt. Umgekehrt muss man nicht bei jedem Protest gleich den Untergang der Republik fürchten. Meinetwegen können die Leute in Dresden bis zum Sanktnimmerleinstag auf dem Neumarkt stehen und ihre Schildchen in den Himmel halten. Auch das ist Teil der Demokratie.

ERF: Nun kann man aber auch argumentieren, dass viele der anerkannten Zeitungen sich eher an gebildete Menschen richten. Müssen die Medien vielleicht einfacher kommunizieren, damit Menschen ohne Hochschulabschluss sie verstehen?

Jan Fleischhauer: Es ist nicht meine Meinung, dass man eine Zeitung in leichter Sprache abfassen muss, damit sie jeder lesen kann. Außerdem gibt es auch seriöse Angebote für Leute, die nicht so viel Zeit mit der Tageszeitung verbringen wollen, nehmen Sie tagesschau.de. Selbst die BILD Zeitung ist immer noch eine sehr viel bessere Quelle als manche Internetseiten, auf denen sich Leute heute ihre Informationen zusammensuchen. Trotz allem glaube ich, dass es nach wie vor ein Bedürfnis nach gutem Journalismus gibt. Warum sollte es das nicht geben? Gerade in einer Welt, die unübersichtlich ist und in der man Orientierung braucht. Dafür gibt es immer einen Markt.
 

Die Sprache der Bibel neu entdecken

ERF: Sie halten Ihren Vortrag auf einem Christlichen Medienkongress. Gleichzeitig haben Sie die Evangelische Kirche immer wieder stark kritisiert. Was müsste hier Ihrer Meinung nach anders laufen?

Jan Fleischhauer: Ich habe die Evangelische Kirche nicht pauschal kritisiert. Meine Kritik an der EKD (Evangelische Kirche Deutschland) lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass man sich zum Teil scheut, Selbstverständlichkeiten des Glaubens zu sagen, weil man Angst hat, man würde jemanden verprellen. Und ich denke, die Austrittszahlen geben mir Recht. Wenn man die Austrittszahlen der Katholischen Kirche, die dem Zeitgeist nicht in dem Maße hinterherläuft wie die EKD, mit denen der Protestanten vergleicht, zeigt sich, dass die Austrittszahlen bei der EKD etwa doppelt so hoch sind. Das ist die Folge, wenn man den Erlösungshorizont zunehmend ins Diesseits verlegt und sich damit in Konkurrenz begibt mit eher weltlichen Erweckungsbewegungen wie Greenpeace oder Amnesty International. Dann muss man sich nicht wundern, wenn die Leute zur Konkurrenz überlaufen.

ERF: Das heißt: Eigentlich würden Sie sich von der Evangelischen Kirche und auch von christlichen Medien mehr Mut wünschen, das weiterzugeben, was schon vor 2000 Jahren in der Bibel festgehalten wurde?

Jan Fleischhauer: Genau, und das am besten in der klaren, schönen Sprache der Testamente. Die Sprache der Bibel ist eine wunderbare Sprache. Die Lutherbibel ist sogar ein besonders großes Geschenk. Aber wenn man in den Gottesdienst geht, erzählen die Pfarrer irgendeinen modernistischen Quatsch, weil sie glauben, dass die Leute sie sonst nicht mehr verstehen. Das halte ich für einen großen Fehler, weil man damit eigentlich das, was die Kirche vom Allerweltsgerede unterscheidet, unnötigerweise aufgibt.

ERF: Gleichzeitig ist die Bibel ein 2000 Jahre altes Buch. Ist das denn für heutige Leser noch so klar verständlich? Ist nicht eine gewisse Übersetzungsarbeit dieser Botschaft in die heutige Zeit notwendig?

Jan Fleischhauer: Ich bin kein Theologe. Aber ich würde sagen: Man hat es mit der Übersetzungsarbeit übertrieben. Nehmen Sie zum Beispiel die Frage der Jungfrauengeburt. Was heißt es, dass Maria Jungfrau war, als sie den Herrn zur Welt gebracht hat? Ich kann jetzt versuchen, das irgendwie in unsere heutige Zeit zu übersetzen. Dann bin ich schnell bei dem Punkt, dass das biologisch unmöglich ist. Oder ich kann darin ein Mysterium sehen. Auch das Arkane gehört zum Glauben. Wir müssen nicht alles übersetzen oder verstehen.
 

Die christliche Botschaft bleibt relevant

ERF: Haben Sie eine Idee, wie christliche Medien dafür sorgen können, dass sie diese Botschaft für säkular und atheistisch geprägte Menschen wieder relevant machen? Braucht es allein Mut zur klareren Sprache?

Jan Fleischhauer: Das ist schon mal nicht schlecht. Wie man als christliche Medien mehr Gehör findet, da fehlt mir ein bisschen die Vorstellung. Ich glaube, christliche Medien sind eher beschränkt auf den Kreis der Anhänger der Kirche. Darüber hinaus werden sie kaum größere Beachtung finden. Das wäre eine zu hohe Erwartung. Immerhin kann man sagen: So säkular ist Deutschland gar nicht. Immer noch die Hälfte der Menschen ist in einer der beiden großen Konfessionen. Das ist erstmal keine schlechte Ausgangslage.

ERF: Gleichzeitig sind viele Leute nur noch an den großen Feiertagen in einer Kirche. Denken Sie denn, dass christliche Botschaften ‒ zum Beispiel die der Nächstenliebe ‒ auch über Religionsgrenzen hinaus eine Bedeutung haben und in der Gesellschaft präsent sind?

Jan Fleischhauer: Das sehen Sie doch gerade. Die Botschaft der Bundeskanzlerin, dass man sich um Flüchtlinge kümmern und Barmherzigkeit zeigen muss, ist eine christliche Botschaft. Dieser Aufruf zur Nächstenliebe findet im Westteil Deutschlands, wo die Kirche stark ist, sehr viel mehr Gehör als im Ostteil. Als die Bundeskanzlerin in Leipzig für ihren Kurs geworben hat, ist ihr fast nur Unverständnis bis hin zu Misstrauen und Aggression entgegengeschlagen ‒ sogar von ihrer eigenen Partei. Im Westen gibt es zwar auch Fragen an ihrer Politik, dennoch nicken die Leute am Ende, wenn sie ihre Position erläutert hat, und sagen: „Da hat sie einen Punkt.“

ERF: Glauben Sie, dass die christliche Botschaft auch weiterhin – also in 100 bis 200 Jahren – noch eine gesellschaftliche Relevanz haben wird?

Jan Fleischhauer: Also eine Relevanz wird sie auf jeden Fall weiterhin haben. Wie groß diese sein wird, kann ich schwer sagen. Ich bin ja zum Glück im Beobachtungs- und nicht im Prognosegeschäft. Allerdings würde ich einer Botschaft, die 2000 Jahre überlebt hat, zutrauen, dass sie auch im Jahr 2200 noch Gehör findet.

ERF: Vielen Dank für das Interview.

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

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Kommentare (1)

Christoph /

Vielen Dank für diese Stellungnahme. Ich war am vorletzten WE bei einem Vortrag von Dominik Klenk (Fontis-Verlag). Dort war auch die Kernaussage: Seid Salz der Welt. (vgl. Mt 5,13)

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