
05.11.2015 / Bericht / Lesezeit: ~ 6 min
Autor/-in: Miriam SchaumburgDen Tod kann man nicht testen
Lydia Berthold gibt Tipps, wie man Jugendlichen mit Drogenproblemen helfen kann.
Eigentlich wollte Mexx Koch es nur mal ausprobieren. Mit 14 Jahren fängt er an zu kiffen. Nie hätte er geglaubt, dass daraus eine 30-jährige Schwerstabhängigkeit werden würde. An seiner Sucht wäre Mexx Koch fast zu Grunde gegangen.
Im Nachhinein sagt Koch, dass er mit den Drogen einen Mangel in sich füllen wollte, eine ungestillte Sehnsucht nach Annahme und Liebe. Diese Mischung aus Neugier und Sehnsucht nach einem guten Gefühl kennen viele Jugendliche, die Drogen ausprobieren. Eltern und Lehrer sind deshalb besorgt; Probleme bemerken sie meistens erst sehr spät. Lydia Berthold kann diese Sorgen gut verstehen. Sie ist Fachreferentin für Suchtprävention beim Diakonischen Werk Oberhessen.
Statistisch gesehen machen die meisten Jugendliche zwischen 14 und 15 Jahren ihre erste Rauscherfahrung – obwohl die Zahl der Jugendlichen, die gänzlich auf Alkohol verzichten, in den letzten Jahren immer weiter angestiegen ist. Dies sieht Lydia Berthold als erfreuliche Entwicklung. Dennoch warnt sie: „Trotzdem sind diejenigen gefährdet, die regelmäßig riskante Mengen trinken und die haben eigentlich zugenommen – seit dem Jahr 2000. Bei Cannabis ist das ein bisschen anders. Es sind ungefähr 10 Prozent, die das zwischen 12 und 17 Jahren schon mal ausprobiert haben.“

Gefährliche Selbstüberschätzung
Mexx Koch glaubt lange Zeit, dass er seine Sucht im Griff hat. Doch ein Entzug reiht sich an den nächsten, bis er in einer seiner Therapien ein Mädchen kennenlernt und sich verliebt. Mit Jeanette glaubt er, den Ausstieg zu schaffen. Nachdem beide körperlich entgiftet sind, geht es in der Therapie darum, auch die psychische Abhängigkeit in den Griff zu bekommen. Doch das dauert dem verliebten Paar zu lange. Sie sind sich sicher: Wir schaffen das – gemeinsam.
Mexx und Jeanette brechen die Therapie ab und ziehen zusammen in die kleine Wohnung von Mexx. Sechs Monate bleiben sie vollkommen clean und sind glücklich. Dann genehmigen sie sich wieder einen Schluck Alkohol. Es dauert nicht lange und beide nehmen wieder harte Drogen. Sie können die Sucht nicht kontrollieren. Genau diese Selbstüberschätzung ist tückisch, nicht nur bei Menschen die aus einer Drogentherapie kommen und versuchen clean zu bleiben, meint auch Lydia Berthold; gerade Jugendliche die anfangen mit Alkohol zu experimentieren kennen ihre Grenzen nicht. „Wichtig ist, dass Jugendliche in einer Umgebung aufwachsen in der die soziale Norm nicht ist: Wir besaufen uns regelmäßig, sondern in der die soziale Norm ist, dass man in Maßen trinkt.“
Doch die besten familiären Strukturen helfen nichts, wenn sich die Kinder oder Jugendlichen innerhalb ihres Freundeskreis andere Vorbilder suchen. Lydia Berthold stellt fest: „Schwierig wird es dann, wenn es über den normalen Konsum, den die Eltern vorgelebt haben, hinaus geht und Jugendliche anfangen regelmäßig und gewohnheitsmäßig zu trinken. Denn dann brauchen die Jugendlichen immer mehr, um die gleiche Wirkung zu haben wie vorher.“
Tod ist keine Ausnahme
Auch bei Mexx Koch macht sich eine gewisse Toleranz breit. Er und Jeanette brauchen immer mehr Drogen und experimentiert mit der Kombination von verschiedenen Substanzen, obwohl er weiß, dass dabei schnell etwas schief gehen kann. Er warnt seine Freundin Jeanette vorsichtig zu sein. Doch Jeanette spritzt sich wahllos Heroin und wirft die buntesten Pillen ein. Mexx hat dieselben Substanzen eingenommen, nur in einer anderen Reihenfolge.
Als sich bei ihm dieses ersehnte wohlig, warme Gefühl einstellt, sitzt Jeanette ihm gegenüber am Küchentisch und fängt an, vor Schmerzen zu schreien. Mexx Koch stürzt zu ihr, versucht ihren verkrampften Körper festzuhalten. Doch sie schlägt nur wild um sich. Plötzlich entspannt sich Jeanettes Körper. Sie liegt ganz ruhig und zufrieden in Mexx Kochs Armen, doch sie atmet nicht mehr.
Nicht selten führen Alkohol und Drogenexzesse zum Tod. Lydia Berthold weiß, dass gerade bei Kindern und Jugendlichen die Gefahren noch größer sind, denn sie sind körperlich und psychisch in einer sensiblen Entwicklungsphase: „Oft denkt man: Ein 15-jähriger Junge von 1,80m Größe ist ausgewachsen. Aber das ist nicht der Fall: Das Gehirn reift noch sehr viel länger als wir vielleicht denken. Und diese Entwicklung wird von Alkohol und Drogen massiv beeinträchtigt. Das kann zu kognitiven Nachteilen führen und Auswirkungen auf das Lernen, die geistige und psycho-soziale Entwicklung haben.“
„Nein“ ist das Zauberwort
Nach dem Tod von Jeanette ist Mexx Koch zutiefst verzweifelt. Dreimal versucht er sich umzubringen. Ein befreundeter Biker erkennt seine Notlage und besorgt ihm einen Platz in einem Methadonprogramm. Dort lernt er seine spätere Frau kennen. Es ist ein harter Weg. Methadon ist eine Ersatzdroge. Sie schaltet die Symptome der Entzugserscheinungen aus, aber führt nicht zu den gleichen Hochgefühlen wie Kokain oder Heroin. Dies ist ein großes Problem für Mexx Koch, er holt sich nach der Ausgabe erstmal eine Flasche Bier und begibt sich in einen nahe gelegenen Park.
Eine Abhängigkeit zu überwinden ist extrem schwer und die Quote derer, die den Ausstieg schaffen, nicht sehr hoch. Sie rät Eltern und Lehrern, die sich Sorgen machen: „Sie sollten nicht mit dem erhobenen Zeigefinger auf den Jugendlichen zugehen. Fragen Sie eher, warum der Jugendliche so viel trinkt, ob er Probleme hat und diese mit Alkohol kompensieren will. Und danach kann man dann auch thematisieren, warum man den Alkohol- oder Drogenkonsum nicht gut findet und welche Gefahren das mit sich bringt.“
Eltern und Lehrer sollten Kinder und Jugendlichen helfen, eine eigenen Persönlichkeit zu entwickeln. Das hilft ihnen, kritisch mit gefährlichen Substanzen umzugehen. Der beste Schutz ist ein gesundes Selbstbewusstsein, davon ist die Fachreferentin für Suchtprävention überzeugt. Denn selbstbewusste Menschen trauen sich, auch mal „Nein“ sagen.
Doch noch frei von Drogen
Die Drogentherapie verlangt Mexx Koch einiges an Durchhaltevermögen ab. Jeden Tag nach der Methadonausgabe setzt er sich in einen nahegelegenen Park. Eines Tages begegnet er dort zwei Menschen mit einer Gitarre. Mexx Koch ist total begeistert, die beiden haben selbst eine Drogen-Vergangenheit und sind seit über acht Jahren clean. So etwas wünscht er sich auch.
Das Pärchen erzählt ihm von ihrem christlichen Glauben und lädt ihn in eine Kirchengemeinde ein. Dort begegnet Mexx Koch Menschen, die ihn nicht wegen seiner Sucht und kriminellen Vergangenheit ablehnen. Es tut ihm gut Menschen zu begegnen, die echtes Interesse an ihm haben. Dieses Gefühl von Annahme kannte er bisher nur im Drogenrausch. Doch obwohl Mexx Koch einen Neuanfang als Christ wagt, dauert es noch Jahre, bis er vollkommen frei von den Drogen wird.
Neben den klassischen Drogen wie Nikotin, Alkohol, Tabletten und Rauschgiften lauern heute noch neue Gefahren, berichtet Lydia Berthold vom Diakonischen Werk Oberhessen: „Die Elektronische-Shisha oder die E-Zigarette: Hersteller werben mit Geschmäckern, die gerade Kinder und Jugendliche ansprechen wie Schokolade oder Bonbon Geschmack. Doch viele Sorten sind versetzt mit Nikotin. Von außen ist das nicht sichtbar. Außerdem wird vermutet, dass krebserregende Stoffe enthalten sind. Das rauchen dann unsere Kinder, das kann nicht gesund sein.“
Suchtberatungsstellen bieten Hilfe
Kenn dein Limit-Webseite
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Thema "Suchtprävention"
Caritas Deutschland bietet Hilfe und Beratung
Sucht- und Drogenberatung des Diakonischen Werks Oberhessen
Heute ist Mexx Koch verheiratet und hat zwei Kinder. Er hat 30 Jahre schwerste Drogensucht überlebt und eine Umschulung zum Erzieher absolviert. Was kann ein ehemaliger Straftäter und Schwerstabhängiger jungen Menschen mit auf dem Weg geben? Mexx Koch hat einen klaren Vorteil, wenn er mit Jugendlichen spricht: Ihn nehmen sie ernst. Er ist einer, der sich nicht nur in der Theorie auskennt. Er weiß, wovon er spricht. Und das kommt bei den Jugendlichen an, sie hören auf das, was er sagt.
Diese Warnungen sind trotz aller positiven Entwicklungen nach wie vor wichtig. Lydia Berthold sieht in den letzten Jahren zwei gegensätzliche Trends bezogen auf den Alkoholkonsum: „Zum einen ist festzustellen, dass die große Mehrheit der Jugendlichen insgesamt weniger und seltener trinkt. Das heißt: Die soziale Norm unter jungen Menschen entwickelt sich recht positiv hin zu einem gemäßigten Alkoholkonsum. Zum anderen neigen Jugendliche wenn sie Alkohol konsumieren zu extremen Trink- und Rauschexzessen und die enden dann in der Klinik mit einer Alkoholvergiftung. “
Lydia Berthold, Fachreferentin für Suchtprävention beim Diakonischen Werk Oberhessen empfiehlt Betroffenen, oder besorgten Eltern und Lehrer, sich an eine der diversen Beratungsstellen in Deutschland zu wenden. Dort können sie sich auch anonym beraten lassen. Speziell für Lehrer gibt es auch Programme die sie in ihrer Klasse durchführen können. Damit Kindern und Jugendlichen erspart bleibt was Mexx Koch durchmachen musste.
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