Sind Menschen im Wachkoma überhaupt noch am Leben? Oder sind sie bloß leere Hüllen, die durch die moderne Medizin unnötigerweise am Leben gehalten werden? In ihrer Autobiografie „Mein Leben ohne mich“ gibt Carola Thimm Antworten auf Fragen, die viele Neurowissenschaftler und Mediziner beschäftigen. Nach 5 Jahren Wachkoma gilt sie als geheilt und erinnert sich daran, was sie in dieser Zeit erlebt hat.
Ein plötzlicher Schicksalsschlag
Carola Thimm ist 36 Jahre alt, sportlich und immer gut drauf. Sie und ihr Mann Michael erwarten das erste Kind. Gerade haben sie das Babyzimmer im neu gebauten Haus gestrichen, die Vorfreude ist groß. Als Carola am 31. Mai 2004 leichte Kopfschmerzen verspürt, schiebt sie es auf den Stress der letzten Wochen und will eine Runde walken gehen. Doch Carola kehrt von ihrer Runde nicht zurück. Ein Spaziergänger findet sie bewusstlos im Wald, sie wird sofort ins Krankenhaus gebracht.
Die Ärzte vermuten, dass in Carolas Gehirn ein Aneurysma geplatzt ist und müssen operieren. Doch dann wacht die junge Frau nicht mehr aus dem künstlichen Koma auf. Carola Thimm, im fünften Monat schwanger, redet nicht mehr, reagiert nicht mehr auf Berührungen und ist vollkommen auf künstliche Ernährung angewiesen. Nicht einmal die Geburt ihrer Tochter per Kaiserschnitt kann der regungslosen Frau eine Reaktion entlocken. Doch was ihr Umfeld nicht ahnt: Obwohl Carola sich nicht bemerkbar machen kann, erwacht ihr Bewusstsein langsam wieder zum Leben.
Keine klaren Gedanken, nur Gefühle kommen an
„Bin ich tot? Lebe ich? Ich weiß es nicht. Leben ist anders. Ich liege im Bett, mir ist warm. Schmerzen? Nein. Manchmal habe ich Angst.“ So beschreibt Carola ihre Erfahrungen während des Wachkomas. In ihrem Zustand sind es weniger klare Gedanken, die sie beschäftigen, sondern Gefühle, Empfindungen und Sinneswahrnehmungen.
Ihre Mutter Britta liest der Tochter stundenlang Historienromane vor – und Carola spürt, dass ihre Stimme mal traurig, mal fröhlich klingt, auch wenn sie den Grund dafür nicht begreift. In diese Wachkoma-Welt nimmt Carola den Leser mit hinein: „Meine Mutti war wieder so traurig. Ganz schlimm. Ihre Stimme ist kein einziges Mal lustig geworden. Sie hat viel gesprochen, […] doch an mir sind die Sätze vorbeigetrudelt. Ich wollte sie fassen, aber sie waren schneller. […] Mutti hat meine Hand berührt und war sehr ernst. Ich wollte ihr ein Zeichen geben, aber sie hat mich gar nicht angesehen. Ist sie meinetwegen traurig?“
Angehörige zwischen Hoffnung und Überforderung
Im Buch kommt nicht nur Carola zu Wort. Auch das Schicksal ihrer Familienangehörigen wird dargestellt, die in der Spannung zwischen Fürsorge für die Patientin und ihren eigenen Problemen stehen. Am Anfang dreht sich das ganze Leben von Carolas Eltern, ihrem Mann und ihrer Schwester um den Zustand der Wachkomapatientin. Doch je mehr Zeit vergeht, umso düsterer werden die Prognosen – und umso schwieriger wird es für die Angehörigen, an eine Genesung zu glauben.
Einfühlsam beschreibt das Buch, wie jedes Familienmitglied anders mit dem Drama umgeht und verschweigt nicht, welche Spannungen zwischen ihnen entstehen. Da stellt sich die Frage, was mit der Tochter Marie passieren soll. Carolas Ehemann scheint überfordert damit, sich allein um das Neugeborene zu kümmern. Doch als Carolas Schwester versucht, ihm zu helfen, eskaliert die Situation nur noch mehr. Auch bei den Eltern bleiben Konflikte nicht aus: Während Mutter Britta möglichst jeden Tag ihre Tochter besuchen will, zieht sich Vater Winfried immer mehr zurück. Das Buch thematisiert authentisch, welche Opfer Familien von Wachkomapatienten bringen müssen, besonders dann, wenn sich Jahr um Jahr kaum etwas am Zustand des geliebten Menschen verändert.
Das schmeckt wie Eis!
Es ist selten, dass Patienten mit einer solchen Diagnose soweit genesen, dass sie wieder mit ihrer Außenwelt kommunizieren können. Noch seltener ist es, dass sie sich an das Erlebte erinnern. Damit sind Carolas Aufzeichnungen von unschätzbarem Wert und geben Aufschluss über das immer noch wenig erforschte Phänomen „Wachkoma“. Gleichzeitig erfährt man, mit welchen Methoden versucht wird, Patienten durch Musik oder Berührungen zu stimulieren. Oft werden diese Bemühungen belächelt, da die Betroffenen völlig apathisch wirken. Einige Mediziner glauben sogar, dass die Kosten für solche Therapien sinnlos sind. Sie sind überzeugt, dass es besser wäre, Wachkomapatienten durch Sterbehilfe von ihrem Leiden zu befreien.
Carola Thimms Bericht wiederspricht solchen Ansichten. Obwohl es ihr schwer fällt, logische Gedanken zu formulieren, empfindet sie das Leben im Koma nicht als Last. Denn durch die Therapien sammelt sie schöne Erfahrungen: „Da ist noch eine Frau, jung. Sie hat etwas Seltsames an, eine Art Kittel. Sie lächelt immer ganz lieb, spricht ruhig und erklärt mit alles. Bei ihr habe ich keine Angst. […] Sie bringt mir etwas, das ganz süß und kühl schmeckt. Eist? Ja Eis! Ich könnte immer Eis essen.“
Doch in ihrem Buch schildert Carola Thimm nicht nur ihr Leben im Koma, sondern auch, wie es für sie war, nach fünf Jahren wieder aufzuwachen. Sie beschreibt, wie sie von ihrer Tochter erfahren hat, von der sie bislang nichts wusste. Außerdem geht sie darauf ein, wie sie Stück für Stück ihre Familie wieder neu kennenlernen musste.
„Hauptsache, Jesus hört mich“
„Mein Leben ohne mich“ ist eine außergewöhnliche Biografie. Carola Thimm lässt den Zuschauer ganz nah an sich heran und beeindruckt durch ihren Lebenswillen und ihren Mut. Aber auch die Herausforderungen der Angehörigen und ihr Umgang mit der hoffnungslosen Situation bewegen.
Spannend ist dabei aber auch, welche Erfahrungen die katholisch geprägte Familie in dieser Zeit mit Gott macht. Gebet, Zweifel und Vertrauen prägen und begleiten ihren Weg. Auch Carola spürt, dass sie nicht allein in ihrer stummen Welt ist. So berichtet sie über einen Besuch: „Der Pfarrer spricht viel mit mir über Gott[…]. Ich mag ihn. […] Manchmal beten wir auch gemeinsam. Das heißt, er betet und ich bete im Stillen mit. […] Ich glaube, der Pfarrer merkt nicht, dass ich ebenfalls bete. Egal. Das ist ja nicht schlimm. Hauptsache, Jesus hört mich.“
Carola Thimms Biografie ist somit nicht nur ein berührender und Mut machender Lebensbericht, sondern auch ein spannendes Glaubenszeugnis.
Ihr Kommentar
Kommentare (2)
Man fragt sich, wenn wie in unserem Fall, der Wachkomapatient nur noch ein rein vegetatives Da-Sein führt, was ist mit seiner Seele? Hat er eine oder nicht. Seele definiert als Bewusstsein, Gefühl, … mehrWille, also das ICH des Menschen. Verschiedene Seelsorger dazu befragt, waren im Grunde überfragt. Für die betroffenen Angehörigen ist es ein tägliches Grauen, den geliebten Menschen so flachgelegt zu sehen. In der Folge kommen große Anfechtungen hinsichtlich der Sinnlosigkeit des Leidens. Wem dient das? Irgendwann bittet man nicht mehr und belässt es bei ...DEIN Wille geschehe.. und hadert wie Hiob. Jener wurde aber wurde reichlich entschädigt. Die Leid-Tragenden von Wachkomapatienten tragen schwer an diesem Kreuz, wie mir viele berichtet haben. Um so schöner, wenn bei dieser noch so jungen Frau ein Wunder geschehen ist. Jesus, von dem Aussätzigen angefragt, ob er ihn heilen wolle, sagte ja, ICH will......!?
Welch ein Wunder wieder aufzuwachen,Danke GOTT für dieses Wunder . Wir haben genau das gleiche erlebt , in der Schwangerschaft Hirnbluten durch ein Aneurysma , Wachkoma u. im 5. Monat schwanger , … mehrzwei Gehirnoperationen u. einen Herzstillstand . Nach 12 Jahren Wachkoma ist die KIndesmutter an einer Lungenentzündung gestorben. Ich wusste in meinem Inneren dass sie alles versteht , einmal gab es ein Situation da musste ich so herzhaft lachen , ich traute meine Augen nicht , die Kindesmutter lachte ebenfalls laut los . Ich habe immer gehofft eines Tages würde sie aufwachen u. kann ihr Kind in die Arme nehmen , aber das Schicksal wollte es anders.
GOTT segne Dich Carola