Navigation überspringen
© Neukirchener Verlagsgesellschaft

29.04.2015 / Buchrezension / Lesezeit: ~ 3 min

Autor/-in: Christine Keller

"Zwischen den Stühlen"

Wie Rainer Stuhlmann als Christ den Konflikt in Israel erlebt. Eine Rezension

In Israel tobt zwischen Juden und Palästinensern seit Jahrzehnten ein Konflikt, der sich in Gewalt, Hass und Diskriminierung äußert. Der Deutsche Rainer Stuhlmann lebt in Israel, im internationalen ökumenischen Dorf Nes Ammim. Dort koordiniert und organisiert der Pfarrer in Ruhestand seit vier Jahren das Studienprogramm der freiwilligen Helfer. Stuhlmann verbindet mit dem ökumenischen Dorf zwei Ziele: Als Christ will er von Juden lernen, seinen Glauben besser zu verstehen. Und er möchte zu einem friedlichen Dialog zwischen den verfeindeten Kulturen Israels beitragen. Aus seinem privaten Blog ist im Januar diesen Jahres ein Buch entstanden: „Zwischen den Stühlen. Alltagsnotizen eines Christen in Israel und Palästina.“

Seit der Gründung von Nes Ammim in 1963 können Freiwillige in dem ökumenischen Dorf mitarbeiten und nebenbei Seminare belegen - unter anderem zur Geschichte Israels und der hebräischen Sprache. Mehr Informationen zu dem Studienprogramm der freiwilligen Helfer finden Sie hier.

Eine unbequeme Position

Im Jahr 1962 ist Rainer Stuhlmann zum ersten Mal in Israel, um biblischen Orte zu besichtigen. Als Europäer und Christ fühlt er sich mehr mit den Juden verbunden, bemüht sich aber um Neutralität. Schnell stellt er fest: Auf einfache Täter- und Opferrollen kann man den Konflikt in diesem Land nicht reduzieren. Auf beiden Seiten passieren Fehler – beide Seiten sind sowohl Täter als auch Opfer. Mit dieser Meinung befindet sich Stuhlmann an einem ganz unbequemen Ort: Zwischen den Stühlen. Und das erlebt er nun in seinem Alltag.

Zum Beispiel beobachtet Rainer Stuhlmann, wie jüdische Jugendliche an einer Kreuzung zwischen dem jüdischen und palästinensischen Teil Jerusalems mit ziegelgroßen Steinen auf Autos im palästinensischen Teil werfen. Einige Erwachsene, die die Situation miterleben, applaudieren ihnen. Stuhlmann ist geschockt. Andere jüdische Israelis sind es ebenfalls – und rufen sofort die Polizei. In moralischen Diskussionen kritisieren die Haredim – die ultraorthodoxen Juden – das Autofahren am Sabbat als jüdisches Verbrechen, nicht jedoch die Gewalt gegenüber Palästinensern.

Dankbar beobachtet Stuhlmann aber auch, wie Einzelne Schritte in Richtung Versöhnung gehen. In Nes Ammim treffen zum Beispiel ein israelischer und ein palästinensischer Vater aufeinander. Der israelische Vater hat seine Tochter verloren, als sich ein palästinensischer Selbstmordattentäter in die Luft sprengte. Der palästinensische Vater hat seinen Sohn verloren, als ein israelischen Soldat ihn vor den Augen seiner Freunde erschoss. Diese Väter haben lange gebraucht, den Anderen nicht als Feind zu sehen, sondern in dem Gegenüber jemand anderen zu erkennen: Einen Leidensgenossen.

Für Israel und für Palästina

Rainer Stuhlmann berichtet aus persönlichen Erfahrungen mit Israelis und Palästinensern. Und er tut dies ausgewogen. Eines seiner Ziele ist es, von Juden zu lernen; dennoch setzt er sich ebenfalls für die Rechte Palästinas ein – für ihn schließt das eine das andere nicht aus. Aus diesem Grund webt der Pastor in Ruhestand kurze politische und religiöse Debatten in seinen Bericht ein: Er verurteilt alle, die aufgrund religiöser Motive eine klare Opfer-Täter-Position beziehen – egal, wie sie diese zuordnen. Nach Stuhlmanns Auffassung sind es genau die Menschen, die eine Lösung auf Kosten der Menschenrechte der anderen Bevölkerungsgruppe durchsetzen wollen. Und das kann für ihn nicht richtig sein.

Mit dieser Meinung hält sich Stuhlmann nicht zurück. Das ist auch gut so: Er möchte nicht unbewusst manipulieren und den Leser damit nahezu unbemerkt auf seine Seite ziehen. Stattdessen steht er für seine Überzeugungen ein und macht bewusst, dass es sich um seine Erlebnisse in und mit Israel handelt.

Die einzelnen Erfahrungsberichte sind allerdings für den Leser nicht leicht zu verdauen. Das Buch lässt sich somit weniger am Stück lesen, sondern Bericht für Bericht. Eine einzelne Begegnung enthält zum Teil viele Aussagen, über die der Leser nachdenken kann – und die auch sein Bild von Israel möglicherweise komplett auf den Kopf stellen. Allerdings ist an vielen Stellen Vorwissen gefragt: Wenn Orte oder historische Ereignisse in Zusammenhang mit Vorkommnissen auftauchen, werden sie lediglich in aller Kürze erklärt. Darum lohnt es sich, beim Lesen hin und wieder das Buch zur Seite zu legen und sich zusätzlich zu informieren.

Fazit: Alles in allem ist das Buch empfehlenswert. Aber Vorsicht: Es ist nur etwas für Leser, die bereit sind, ihren Blick auf den Konflikt in Israel zu hinterfragen.

 

 Christine Keller

Christine Keller

  |  Redakteurin

Hat in der Redaktion von ERF Jess gearbeitet. Ist ansonsten als freie Journalistin auch online und hinter der Kamera unterwegs. Sie hat Hummeln im Hintern, was aber nicht weh tut. Sie liebt es, To-Do-Listen zu schreiben und abzuhaken. Wenn‘s doch mal entspannt sein soll, nimmt sie gern ein gutes Buch zur Hand.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Kommentare (1)

Jörg W. /

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Glaubensgeschwister,
in der Kürze dieser Rubrik kann ich nur die Frage stellen, wie Sie auf eine derart positive Bewertung dieses Buches kommen. mehr

Das könnte Sie auch interessieren