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© marissaorton / Wikimedia Commons [CC- BY-SA-2.0]

27.06.2014 / Kommentar / Lesezeit: ~ 3 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Hilferuf im Billigkleid

Warum es so schwer ist, konsequent fair einzukaufen. Ein Kommentar.

In den letzten Tagen geisterte eine neue Schockmeldung durch die Nachrichten. Eine 25-jährige Waliserin fand in einem Kleid von der Billigmodekette „Primark“ einen Einnäher mit den Worten „Forced to work exhausting hours“ (Gezwungen, erschöpfende Überstunden zu leisten). Nachdem ihr Fund bekannt wurde, meldeten sich noch zwei weitere Primark-Kunden, die Ähnliches beobachtet hatten. Das Modelabel selbst hat sich zu den Funden bisher nur insoweit geäußert, als dass ein Sprecher des Unternehmens darum bat, das betreffende Kleid untersuchen zu können, um der Sache nachzugehen.

Die Finderin Rebecca Gallagher zeigte sich hingegen entsetzt und äußerte gegenüber der South Wales Evening Post: „It made me feel so guilty that I can never wear that dress again.“ (Ich habe mich so schuldig gefühlt, dass ich dieses Kleid nie mehr tragen kann). Auch mich schaudert, wenn ich daran denke, wieviele T-Shirts ich selbst aus dem Hause „Primark“ im Schrank habe. Wieder einmal hinterfrage ich, wo ich noch ohne schlechtes Gewissen Klamotten kaufen kann. Und wieder einmal bietet sich ein Anlass, über ungerechte Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie zu diskutieren. Doch auch diesmal wird sich nichts ändern.

Gucci schlägt Primark in punkto Unfairness um Längen

Denn die Arbeitsbedingungen in der Herstellung von „Primark“ sind nicht zum ersten Mal Thema. Das Modelabel hat ‒ wie viele andere Modeketten auch ‒ in dem Rana Plaza-Gebäude in Bangladesch produzieren lassen, das am 24. April 2013 einstürzte. „Primark“ hatte circa 9 Millionen Euro Entschädigung gezahlt. Geht man vom Fund der Britin aus, scheint es ein wirkliches Einsehen aber nicht gegeben zu haben.

Doch wer nun glaubt, dass man einfach nur teurere Mode einkaufen muss, irrt. Unter den Marken, die die „Clean Clothes Compaign“ in ihrem diesjährigen Firmencheck als „ungenügend“ kennzeichnete, finden sich eben nicht nur die Supermarktkette „Aldi“, sondern auch Marken wie „Charles Vögele“ und „Gucci“. Diesen Marken gegenüber schneiden billigere Läden wie „C&A“, „H&M“ und „Primark“ sogar noch besser ab.

Ich bin zu faul, um fair zu kaufen

Wo also kann man ohne schlechtes Gewissen faire Kleidung kaufen? An faire Mode zu kommen, ist ja grundsätzlich kein Problem mehr. Schon seit einigen Jahre schießen faire Modelabels wie Pilze aus dem Boden. Eine Übersicht für faire Online-Versandhäuser findet sich unter anderem auf www.fairtradekleidung.org. Auch muss Fairtrade nicht unbedingt teurer sein. Bei einem der Onlinehändler fand ich ohne langes Suchen ein T-Shirt für 8 Euro. Billiger gibt es das auch bei H&M kaum.

Doch warum kaufe ich dann immer noch keine Fair-Trade-Klamotten? Einfach weil ich zu faul dazu bin. Ich möchte nicht für jedes neue T-Shirt im Internet bestellen, tagelang warten und es dann erst anprobieren. Eine Shoppingtour sieht für mich ‒ wie für die meisten Frauen ‒ so aus: Ich bummle mit meinem Partner oder einer Freundin durch die Stadt und nehme das mit, was mir eben gerade so ins Auge sticht. Und das ist eben selten fair.

Das weiß ich genau und immer wieder regt sich mein Gewissen. Aber immer wieder verdränge ich auch, was jeder Mensch mittlerweile ohne eingenähten Hilferuf in der Kleidung wissen sollte – dass faire Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie ein Märchen sind.

Faires Einkaufen bedeutet Verzicht

Ich glaube, dass es nicht nur mir so geht, sondern vielen Menschen. Gerade als Christ will ich unfaire Arbeitsbedingungen nicht unterstützen, aber Nutella schmeckt eben besser als die faire No-Name-Nussnougatcreme. Und die Auswahl an fair gehandelter Schokolade im Süßigkeitenregal ist deprimierend klein, während bei Milka und Ritter Sport ständig neue Sorten auf den Markt kommen.

Das Problem ist also weniger, dass „fair“ nicht geht ‒ auch wenn ich es für einen frommen Wunsch halte, in allen Lebensbereichen fair einzukaufen. Das Problem ist: Fair ist nicht hip! Für einen fairen Lebensstil reicht es nicht, eine Marke zu boykottieren. Ich muss dafür eigene liebgewonnene Gewohnheiten ändern. Wenn ich fair leben will, kann ich nicht mehr nach dem „Gefällt mir“-Prinzip einkaufen. Ich muss mich informieren, Siegel prüfen und immer wieder auch Verzicht üben: Auf das Shirt bei H&M, was so toll an mir aussähe, oder auf die morgendliche Nutella.

Bin ich dazu bereit? Ich zweifle noch an meiner Entschlossenheit. Gleichzeitig möchte ich niemals das erleben, was Rebecca Gallagher passiert ist. „Primark“ jedenfalls werde ich bei meinem Englandurlaub in diesem Jahr links liegen lassen. Dort werde ich ganz sicher nicht mehr einkaufen!

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

Ihr Kommentar

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Kommentare (12)

Marianne G. /

Es ist einfach so, wenn ich über ein Einkommen verfüge, das es erlaubt, teure" faire Kleidung" zu tragen,ist das gewissermaßen meine Pflicht, diese zu kaufen. Familien mit Kindern und einem mehr

Jaques L. /

Hallo Jens, Du hast vollkommen recht. Bekanntermaßen sind es mehrheitlich gut situierte Beamte oder Angestellte im Öffentlichen Dienst, die die Zeit und die Mittel haben, sich dieses Thema zum Hobby mehr

Jens P. /

Eigentlich ein richtiger Artikel. Allerdings leben wir in einem Land, in dem Stundenlöhne gezahlt werden, von denen man nicht oder kaum leben kann. Wenn man die Wahl hat zwischen einem T-Shirt für "nur" 8 Euro oder einem für 6 und etwas zu essen, dann hat man eine andere Sichtweise.

Ursula r. /

Wir verkaufen seit vielen Jahren Bioprodukte und unter anderem auch faire Kleidung. Es ist eine langsame Entwicklung, im Gegensatz zur Ernährung, gegen die Billiganbieter bestehen zu können obwohl mehr

Giselle S. /

Liebe Geschwister,
wunderbar und ein herzliches Dankeschön. Es ist eine große Bereicherung für das, was ich in diesen Bereichen gefunden habe.
Den herrlichen und reichen Segen unseres wunderbaren Herrn wünscht euch allen

Jaques L. /

In den letzten 10 jahren hat sich in Deutschland der Umsatz der fair gehandelten Produkte versiebenfacht. Ob, dies, wie propagiert, auch den Betroffenen vor Ort hilft, sollte eine Studie der mehr

Esther /

Ich ärgere mich in bisschen, wenn alle Verantwortung auf den Verbraucher abgeschoben wird. Klar trage ich auch als Verbraucher eine Verantwortung für das, was ich einkaufe; einfach deshalb weil sich mehr

Norbert D. /

Mein persönlicher Weg, möglichst viel fair erwirtschaftete Waren einzukaufen ist tatsächlich das Weglassen von Ramscheinkäufen. Eine fantastische Übung ist es z.b. bei ALDI reinzugehen und sich nur mehr

Familie Siegert /

Es stimmt, ein gerechtes System gibt es nicht und der Aufschrei bei Katastrophen ist groß. Wer kann die unfairen Hersteller zur Umkehr bringen??? Allein der Käufer??? Was passiert mit den Arbeiterinnen in den Fabriken, wenn bestimmte Firmen boykottiert werden von Käufern???

Heike /

Hierzu einen guten Artikel einer Vereinigung aus der Schweiz, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Fakemeldungen o.ä. aufzudecken ...
http://www.mimikama.at/allgemein/in-kleidung-eingenhter-hilferuf-wahrheit-oder-hetze-gegen-primark/
Gruß - Heike

Yara /

Sie brauchen nicht nach England zu fliegen… Im Frankfurt/M (leider schon nicht nur da) können sie die viele Braune Taschen (ökologisch!!!) spazierend in der Haupt Einkaufsmeile bewundern...

Dorena /

Dieses Thema fair einkaufen durchzieht ja mittlerweile alle Lebensbereiche. Es geht bei der produktion oder auf den Feldern los und endet beispielsweise bei der Art der Präsentation im Laden - mehr

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