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18.12.2012 / KcF 2013 / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Tomas Sedlacek

Arbeit und Ruhe: Die Sabbatwirtschaft

In seinem Buch „Die Ökonomie von Gut und Böse“ lobt der Ökonom Tomas Sedlacek die gute Tradition des Sabbats. Ein Buchausschnitt

Tomas Sedlacek ist Chefökonom der größten tschechischen Bank und Mitglied des Nationalen Wirtschaftsrats in Prag. Im Frühjahr 2012 erschien sein Buch "Die Ökonomie von Gut und Böse", in dem er untersucht, wie in der kulturellen Geschichte Europas ökonomisches Handeln bewertet wurde. In diesem Zusammenhang untersucht Sedlacek auch die Bibel auf ihre Aussagen zu wirtschaftlichen Themen.

Im Gegensatz zu den negativen Konnotationen, die die Arbeit bei den alten Griechen hatte, betrachtet das Alte Testament Arbeit nicht als Erniedrigung. Im Gegenteil: Die Unterwerfung der Natur ist eine Mission von Gott, sie war ursprünglich einer der allerersten Segen für den Menschen:

Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alles Tiere, die sich auf dem Land regen. 1.Mose 1, 28

Der Fluch der Arbeit

Zum Fluch wird die Arbeit erst nach dem Sündenfall. Man könnte sogar sagen, der Fluch, dass die Arbeit mühsam und unangenehm sein wird, sei in Wirklichkeit der einzige Fluch, mit dem der Herr Adam belegt. Statt sich um den Garten von Eden zu kümmern, muss er jetzt „im Schweiße seines Angesichts“ sein Brot essen. Aus einer Arbeit, die Freude macht – viele Leute pflegen ja bis heute liebevoll die Gärten ihrer Häuser -; wird plötzlich ein bedrückender Fluch. Einst lebte der Mensch in Harmonie mit der Natur, doch jetzt nach dem Fall muss er kämpfen: Die Natur steht gegen ihn, er steht gegen die Natur und die Tiere. Wir mussten den Garten verlassen und befinden uns nun auf einem (Schlacht-)Feld.

Inwieweit haben wir uns bis heute, Jahrtausende nach der Entstehung dieser Genesis-Verse, von dem Urfluch befreien können? Darüber können wir nur spekulieren. Wir könnten sagen, dass in der industrialisierten Welt jetzt eine erhebliche Zahl von Menschen ihr Brot nicht mehr im Schweiße ihres Angesichts essen muss, unsere Arbeit bereitet uns jedoch längst noch nicht so viel Freude wie die Pflege unserer Gärten. Trotzdem könnte man sagen, dass diejenigen, die ihre Arbeit auf diese Weise betrachten, es geschafft haben, sich von dem Urfluch zu befreien. Ursprünglich sollte die Arbeit uns ja Freude und Erfüllung bringen, sie sollte in unseren Augen angenehm sein, unsere Berufung.

Arbeit gilt als Ehre

Die Arbeit ist zudem nicht nur eine Quelle der Freude, sondern auch mit einer höheren gesellschaftlichen Stellung verbunden; sie gilt als Ehre: „Siehst du einen, der gewandt ist in seinem Beruf: vor Königen wird er dienen.“ Sprichwörter 22,29 Keine der Kulturen in der Umgebung bewertet die Arbeit so hoch. Die Idee von der Würde der Arbeit gibt es nur in der hebräischen Tradition. Und einer der häufigsten Segenssprüche lautete: „… damit der Herr, dein Gott, dich bei jeder Arbeit deiner Hände segnet.“ 5. Mose 24,19

Platon und Aristoteles waren beide der Ansicht, dass Arbeit für das Überleben notwendig ist, dass sich ihr aber nur die unteren Klassen widmen sollten, sodass die Eliten sich nicht damit abplagen mussten, sondern sich „rein spirituellen Dingen – der Kunst, der Philosophie und der Politik“ widmen konnten. Aristoteles betrachtet die Arbeit sogar als „verwerfliche Zeitverschwendung, die auf dem Weg der Menschen zur wahren Ehre lediglich eine Bürde ist.“

Das Alte Testament sieht die Arbeit in einem ganz anderen Licht. Sie wird dort an vielen Stellen gefeiert: „Lässige Hand bringt Armut, fleißige Hand macht reich.“ Sprichwörter 10,4 „Süß ist der Schlaf des Arbeiters, ob er wenig oder viel zu essen hat. Dem Reichen raubt sein voller Bauch die Ruhe des Schlafs.“ Prediger 5,11 „Den Faulen bringt sein Begehren um, denn zu arbeiten weigern sich seine Hände.“ Sprichwörter 21,25

Gedenke des Sabbats!

Die Arbeit hatte als Produktionsfaktor zwar auch ihre Grenzen, wurde aber trotzdem als natürliches Geschick des Menschen angesehen. Im hebräischen Denken wird das Heilige streng vom Profanen geschieden. Im Leben gibt es schlicht Bereiche, die heilig sind und in denen man nicht ökonomisieren, rationalisieren oder die Effizienz maximieren darf. Das Sabbatgebot ist ein gutes Beispiel. An diesem Tag durfte wirklich niemand, der Untergebener eines strenggläubigen Juden war, arbeiten:

„Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig! Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbattag gesegnet und ihn für heilig erklärt.“ 2. Mose 20,8-11

Ökonomisch betrachtet wäre es zweifellos möglich gewesen, den siebten Tag produktiver zu verbringen, doch das Sabbatgebot vermittelte die Botschaft, dass der Mensch nicht in erster Linie für die Arbeit erschaffen wurde. Paradoxerweise ist gerade dieses Gebot wohl dasjenige, gegen das heute am häufigsten verstoßen wird. In diesem Sinne steht die Botschaft des Alten Testaments direkt gegen die Einstellung Gilgameschs, der seine Untertanten zu Robotern machen will, die ohne Unterbrechung so lange arbeiten, bis Ruhe unerlässlich ist.

Sabbat als Tag der Freude

Beim Sabbat der Juden handelt es sich nicht um eine unbedingt erforderliche Ruhe, die tatsächlich genauso nötig gewesen wäre wie die Ruhepause einer stark belasteten Maschine oder einer heiß gelaufenen Säge. Was sind wir denn? Maschinen? Müssen wir, wie die überstrapazierte Säge nach schwieriger Arbeit, für eine Weile eine Ruhepause einlegen, damit wir nicht heiß laufen, uns nicht festfahren? Ruhen wir nur, damit wir nach der Pause (um die Maxime des Pferdes Boxer aus Orwells „Farm der Tiere“ zu benutzen) sagen können: „Ich will und werde noch härter arbeiten“? Ist das der Sinn der Ruhe? Die Steigerung der Effizienz? Die Vermeidung von Arbeitsunfällen?

Der Ruhetag wurde nicht eingeführt, um die Effizienz zu steigern. Es handelte sich vielmehr um eine wirkliche ontologische Pause, die dem Beispiel des siebten Schöpfungstages des Herrn folgte. Auch Gott ruhte ja nicht, weil er müde gewesen wäre, sondern weil sein Werk getan war, sodass er sich daran erfreuen konnte. Der siebte Schöpfungstag ist der Freude gewidmet. Gott erschuf die Welt in sechs Tagen, und wir haben sechs Tage, um sie zu vervollkommnen.

Am Samstag sollte die Welt, so unvollkommen sie auch ist und trotz aller ihrer Sprünge, nicht vervollkommnet werden. In sechs Siebteln der Zeit sollt du unzufrieden sein und die Welt nach deinem eigenen Bild formen, Mensch, doch in einem Siebtel sollst du ruhen und die Schöpfung nicht verändern. Am siebten Tag sollst du dich an der Schöpfung und der Arbeit deiner Hände erfreuen.

„Ich bin mit allem fertig“

Das Sabbatgebot vermittelt die Botschaft, dass der Zweck der Schöpfung nicht einfach nur das Erschaffen war, sondern dass sie ein Ziel hatte. Der Prozess war nicht schlicht ein Prozess, kein Zweck. Die Schöpfung erfolgte, damit wir in ihr Ruhe finden können, Stolz auf das Vollbrachte, Freude. Der Sinn alles Erschaffenen, der Höhepunkt, liegt nicht in der nächsten Schöpfung, sondern darin, dass wir uns inmitten von all dem, was wir miterschaffen haben, ausruhen. In die Sprache der Ökonomie übersetzt heißt das: Der Sinn des Nutzens ist nicht, ihn ständig zu vergrößern, sondern sich zwischen den vorhandenen Gewinnen auszuruhen. Weshalb lernen wir, die Erträge ständig zu steigern, aber nicht, sie zu erkennen, uns ihrer bewusst zu werden und sie zu genießen?

Diese Dimension ist aus der modernen Ökonomie verschwunden. Die ökonomischen Anstrengungen haben kein Ziel, an dem wir ruhen können. Heute kennen wir Wachstum nur um seiner selbst willen; wenn unsere Unternehmen oder unser Land blüht, ist das kein Grund zur Ruhe, sondern für eine noch größere und bessere Leistung. Wenn wir heute überhaupt an Ruhe glauben, dann aus anderen Gründen. Es handelt sich um die Ruhe einer stark beanspruchten Maschine, die Ruhe der Schwachen und derjenigen, die das Tempo nicht mitgehen können.

Da ist es kein Wunder, dass das Wort „Ruhe“ heute so selten benutzt wird (es hat eine beinahe abschätzige Bedeutung angenommen); wir sagen: „Ich brauche mal eine Pause“ oder „einen freien Tag“. Interessant ist auch, dass Tage, an denen wir uns nicht abzuplagen brauchen, (zumindest lexikalisch) mit einem Wort verbunden sind, das Leere bedeutet. Vacation („oder „Entleerung“) im Englischen, les vacances im Französischen, die Freizeit im Deutschen bedeuten offene Zeit, freie Zeit, aber auch leere Zeit. Als würde es sich um etwas Hohles handeln …

Als ich kürzlich einen meiner derzeitigen Freunde traf, fragte ich ihn, was er mache, wie man das eben im Gespräch so tut. Er antwortete mit einem Lächeln: Nichts. Ich bin mit allem fertig.“ Dabei ist er kein Millionär, er besitzt keine Reichtümer. Das ist mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Unsere ganze Geschäftigkeit und Hetze, die Wirtschaft unserer Zivilisation, hat kein Ziel, an dem wir ruhen können. Wann sagen wir: „Ich bin mit allem fertig“?

Buchausschnitt aus "Die Ökonomie von Gut und Böse" von Thomas Sedlacek mit freundlicher Genehmigung vom Hanser Verlag
ISBN: 9783446428232, 24,90 €
Bestellbar auf der Verlagshomepage. Zwischenüberschriften wurden durch die Redaktion gesetzt.

(Bild: Hanser Verlag)

 

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