
19.06.2012 / Buchrezension / Lesezeit: ~ 5 min
Autor/-in: Peter StrauchLiz Mohn: Schlüsselmomente
Einblicke in den Bertelsmannkonzern: Im Glauben begonnen, in der Welt vollendet.
Es ist bereits das zweite Buch von Liz Mohn, der mächtigsten Person an der Spitze eines der größten Medienkonzerne der Welt. Bertelsmann beschäftigt in etwa 50 Ländern über 100.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Dabei hatte vor 176 Jahren alles ganz klein angefangen.
Bertelsmanns frommer Einfluss
Es war Carl Bertelsmann, der 1835 in Gütersloh den Verlag gegründet hat. Sein Sortiment bestand aus volkstümlich christlicher Literatur und Liederbüchern (Missionsharfe). Bertelsmann war mit dem Gütersloher Pastor Johann Hinrich Volkening befreundet, dem Erweckungsprediger des Minden-Ravensberger Landes.
Volkenings Predigtgottesdienste wurden zu Massenversammlungen, in denen Tausende von Menschen zusammenkamen. In vielen Orten bildeten sich Bibel- und Missionskreise. Bertelsmann versorgte sie mit der entsprechenden Literatur.
Mohn prägte später das Unternehmen
1881 heiratete die Enkelin des Firmengründers, Friederike Bertelsmann, den Rheinländer Johannes Mohn. Er hatte seine berufliche Laufbahn bei Bertelsmann als Lehrling begonnen. Da er meist im Lutherrock durch die Straßen der Stadt zu gehen pflegte, nannte man ihn den „vierten Pastor von Gütersloh“. Von nun an bestimmte der Name „Mohn“ die Verlagsgeschichte.
Reinhard Mohn, der 2009 verstorbene Ehemann von Liz Mohn, gehörte inzwischen zur fünften Generation der Familie des Firmengründers. Auch seine Eltern waren fromm. Später erklärte er, dass ihre Religiosität für ihn nicht glaubwürdig gewesen sei. Er sah einen Widerspruch zwischen ihrem Anspruch und der Wirklichkeit.
An sich selbst glauben
„Schlüsselmomente“ überschreibt Liz Mohn ihr Buch. Gemeint sind Herausforderungen und Entscheidungssituationen, die zu Schaltstellen eines Lebens werden können. Nach eigenen Angaben möchte Liz Mohn ihren Lesern und Leserinnen Mut machen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und eigene Wege zu gehen. Ihre wichtigste Erkenntnis lautet: „Glauben Sie an sich selbst – dann schaffen sie es.“
Was dann folgt, ist ein Plädoyer für „Intuition“. Liz Mohn schreibt, in der Geschichte ihres Lebens habe es immer wieder Momente gegeben, in denen sie gewusst habe: Das ist es! Das will ich machen! Sie nennt das ihr Bauchgefühl.
Zwar brauche emotionales Wissen die Korrektur des Verstandes, aber Ratio und Intuition miteinander seien ein unschlagbares Team. Sie begründet das u.a. mit den Ergebnissen der Hirnforschung, die herausfand, dass das Gehirn Erfahrungen, die der Mensch im Laufe seines Lebens gewonnen hat, als eigenen emotionalen Erfahrungsspeicher nutzt.
Projekte und Persönlichkeiten
Wer das Buch liest, stößt auf viele Projekte der Bertelsmann Stiftung, sie finden sich im medizinischen, kulturellen und politischen Bereich. Damit verknüpft Liz Mohn Erfahrungen und Erkenntnisse, die zwar nicht neu, aber immerhin wichtig sind. Sie erzählt auch von ihren Begegnungen mit großen Persönlichkeiten wie: Teddy Kollek, Henry Kissinger, Michael Gorbatschow, Kofi Annan und Königin Noor von Jordanien. Von diesen Menschen habe sie unendlich viel gelernt.
Trotzdem hat man beim Lesen das unangenehme Gefühl einer Selbstinszenierung. Über weite Strecken des Buches berichtet Liz Mohn vor allem von sich, ihrem Engagement, ihrer Disziplin, ihrem unermüdlichen Einsatz und Arbeitspensum, das nur mit einem flankierenden Fitnessprogramm (Schwimmen, Laufen, bewusste Ernährung) bewältigt werden könne.
Führungsstil von Reinhard Mohn
Spannender sind da schon die Sätze über Reinhard Mohn, ihrem Mann. Mit knapp 100 Mitarbeitern baute er nach dem Krieg das Unternehmen wieder auf. Liz Mohn ist überzeugt, dass der Unternehmenserfolg von Bertelsmann vor allem ihm und seiner „Unternehmenskultur“ zu verdanken ist. Die Presse habe ihn manchmal „der rote Mohn“ genannt, weil ihm so viel an einem guten Miteinander von Arbeitgeber und Arbeitnehmern gelegen habe.
Sie schreibt dazu: „Wie kreativ Mitarbeiter sind, wenn man ihnen Vertrauen schenkt, habe ich unzählige Male erfahren dürfen. Wer sich mit den Zielen seines Unternehmens identifiziert, arbeitet ungleich motivierter und engagierter, als wenn er sich unverstanden fühlt und die Ziele seines Arbeitgebers nicht nachvollziehen kann.“
Das gilt zweifellos auch im politischen Bereich (z.B. angesichts der von vielen Bürgern und Bürgerinnen nicht verstandenen europäischen Finanzpolitik), sowie in Kirchen und Gemeinden.
Der Glaube des Ehepaars Mohn
Ein ganzes Kapitel in ihrem Buch widmet Liz Mohn der Frage der Religiosität und geistigen Orientierung in einer globalisierten Welt. Liz kommt aus einem katholischen Elternhaus, in der die Sieben-Uhr-Andacht vor der Schule ebenso tägliche Pflicht war wie das Tischgebet.
Sie schreibt, ihre Sache sei das nicht gewesen. Trotzdem habe sie keinen Zweifel, dass die Gemeinschaft im Glauben und die Verbundenheit in Traditionen den Menschen ein hilfreiches Wertesystem vermitteln könne. In solch einem Wertesystem sieht sie vor allem den Auftrag der Religionen – nicht nur des Christentums.
Ihr Mann und sie seien sich einig gewesen, dass die Lebensmuster der großen Weltreligionen hilfreiche Einsichten für das globale Miteinander der Menschen bieten können. Folglich entwickelte die Bertelsmann-Stiftung einen Religionsmonitor, mit dem die Religiosität und ihre Alltagsbedeutung für die modernen Gesellschaften verglichen werden kann. 2009 kam es auch zur ersten großen Bertelsmann-Studie mit dem Titel: „Woran glaubt die Welt?“
Die Geliebte und der heimliche Vater
Liz Mohn verweist in ihrem Buch auf die Vorbildfunktion und moralische Integrität von Verantwortungsträgern. Das ist nicht unproblematisch, wenn man an den Verlauf ihres eigenen Lebens denkt. Als Reinhard Mohn Ende der fünfziger Jahre die zwanzig Jahre jüngere Telefonistin auf einem Betriebsfest kennenlernte, war er bereits verheiratet.
Über 20 Jahre später (Liz hatte bereits drei Kinder mit ihm) verließ er seine Ehefrau, um Liz (damals Elisabeth Beckmann) zu heiraten. Bis dahin hatte sie mit einem anderen Partner in einer Scheinehe gelebt. Für die Kinder war er während dieser Zeit der „Onkel Reinhard“, erst nach der Scheidung erfuhren sie, dass er ihr wirklicher Vater ist.
Rechtfertigungsversuche
Nun kann sicher niemand von außen beurteilen, was bei den Beteiligten wirklich geschah und wie sehr sie vermutlich auch selbst unter der Situation litten. Problematisch ist der Versuch Liz Mohns, diesen Weg in ihren Büchern zu rechtfertigen und als folgerichtig darzustellen. Dabei tritt sie mit einem hohen moralischen Anspruch auf. Schon ihr erstes Buch (Liebe öffnet Herzen), das eine Reihe autobiografischer Passagen enthält, wurde in Gütersloh scherzhaft das „Märchenbuch“ genannt.
Im Klappentext ihres neuen Buches „Schlüsselmomente“ heißt es nur lapidar: Nach dem Tod ihres Mannes repräsentiert Liz Mohn die fünfte Generation der Eigentümerfamilie. Kein Wort zur ersten Frau von Reinhard Mohn, mit der er immerhin 30 Jahre verheiratet war, kein Wort über die drei Kindern, die aus dieser Ehe hervorgingen. Blättert man in den Publikationen des Verlages, gewinnt man den Eindruck, Reinhard Mohn sei nie mit ihr verheiratet gewesen.
Die geistliche Entwicklung des Bertelsmannkonzerns
Doch trotz dieser Einschränkung öffnet das Buch einen Blick in eine erfolgreiche Unternehmergeschichte. Sie begann mit einem christlichen Literaturprogramm, hat sich aber inzwischen weit von diesen ursprünglichen Inhalten und Zielen entfernt.
Inzwischen ist unter dem Dach von Bertelsmann fast alles zu finden, von guter anspruchsvoller Literatur bis hin zu eher zweifelhaften RTL-Produktionen (RTL gehört zur Bertelsmann AG).
Aus christlicher Sicht erscheint das wie eine Warnung, was passieren kann, wenn ein Unternehmen den Weg seiner ursprünglichen Berufung verlässt. Daraus mag dann zwar ein Medienimperium entstehen, aber was hilft‘s, wenn es dabei inneren Schaden nimmt und seinen Kernauftrag verliert?!
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Titel: Schlüsselmomente. Erfahrungen eines engagierten Lebens. (Bild: C. Bertelsmann) |
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