
09.11.2010 / Interreligiöse Ehen / Lesezeit: ~ 7 min
Autor/-in: Hanna Willhelm"Wenn Kinder kommen, wird es kompliziert."
Liebe überwindet religiöse und kulturelle Schranken. Davon sind viele überzeugt. Trotzdem ist eine interreligiöse Ehe kein Spaziergang.
Schon ihre Namen verraten, dass Pfr. Dr. Hanna Nouri und Heidi Josua ein außergewöhnliches Ehepaar sind. Aber auch der Beruf der beiden ist spannend: Neben der pastoralen Arbeit in drei arabischen evangelischen Gemeinden in Süddeutschland und verschiedenen interkulturellen Projekten, beraten der gebürtige Libanese und seine Frau Paare mit unterschiedlichem kulturellen und religiösen Hintergrund. Der evangelische Pfarrer weist dabei ehrlich auf die Schwierigkeiten einer interreligiösen Eheschließung hin und versucht gleichzeitig, bestehenden Ehen in Konflikten zu helfen. Ein Interview.
ERF Online: Herr Josua, Sie kommen aus dem Libanon und sind mit einer Schwäbin verheiratet. Sind diese doch etwas unterschiedlichen Kulturen für Ihre Ehe eine Bereicherung?
Hanna Josua: Ich würde behaupten, dass ich eine große Bereicherung für das schwäbische Leben bin und umgekehrt genauso. Ich habe sehr viel gelernt während meines Aufenthaltes in Deutschland. Das möchte ich nicht missen. Viele sagen: Der Dr. Josua ist so ein deutscher Kerl geworden. Wenn ich zum Beispiel sage, dass der Gottesdienst um 11 Uhr anfängt, dann fange ich um Punkt 11 Uhr an. Ich habe gelernt, organisiert zu sein und die Zeit sinnvoll auszunutzen. Das ist bei mir so weit gegangen, dass ich jetzt fast ein Workaholic bin, aber das ist eine andere Geschichte (lacht).
Umgekehrt hat meine Frau von mir zum Beispiel Gastfreundschaft im großen Stil gelernt. Manchmal muss ich sie bremsen und sagen: "Was machst du da?" Sie sagt dann: "Ach komm, deine Familie würde es auch nicht anders machen." Als wir einmal bei meinen Eltern waren, kamen spontan Gäste zu uns. Meine Schwester hat dann aus dem Gefrierfach ein paar Hähnchen geholt. Bis wir Kaffee getrunken hatten, waren die Hähnchen aufgetaut und im Ofen. Da sagte meine Frau: Eine solche Gelassenheit habe ich zuhause in der schwäbischen Küche nicht gelernt.
ERF Online: Sie wissen aus erster Hand, wovon Sie sprechen, wenn Sie Menschen beraten, die sich eine interkulturelle Eheschließung überlegen. Mit welchen Anliegen kommen diese Männer und Frauen zu ihnen?
Hanna Josua: In den meisten Fällen kommen deutsche Frauen, die zum Beispiel im Urlaub oder während des Studiums jemanden kennengelernt haben. Das Kennenlernen im Urlaub kommt allerdings am häufigsten vor. Die Fragen, mit denen die Frauen zu uns kommen, sind normalerweise rechtlicher Art: Was geschieht bei einer solchen Eheschließung? Was sind meine Rechte und Pflichten? Kann und sollte man interreligiös heiraten? Wie kann mein Mann oder mein Verlobter nach Deutschland kommen?
Urlaubsbeziehung mit Langzeitwirkung
ERF Online: Geben Sie den Frauen nur diese Sachinformationen oder versuchen Sie auch, Gedanken über die Gestaltung einer solchen Ehe anzustoßen?
Hanna Josua: Wir versuchen im Gespräch das Umfeld der Frau kennenzulernen: Warum hat sie einen bestimmten Mann kennengelernt? Wo und unter welchen Umständen ist das geschehen?
ERF Online: Spielt das eine Rolle?
Hanna Josua: Ja. Wenn ich frustriert irgendwo Urlaub mache und psychisch am Ende bin, bin ich empfänglicher für Freundlichkeit, Zärtlichkeit oder Annäherung. In einer solchen Situation bin ich eher bereit, mich auf eine Beziehung einzulassen, ohne darüber zu reflektieren, was das bedeutet, wenn ich wieder zuhause bin. Es ist ein Unterschied, ob ich in meinem Alltag jemanden kennenlerne und ihn in seinem Alltagsverhalten erlebe und selbst auch Zeit habe, darüber nachzudenken, ob das, was ich tue, das Richtige ist oder ob ich unter Zeitdruck und in einer künstlich selbst geschaffenen Umgebung diese Fragen lösen muss.
ERF Online: Gibt es Situationen, in denen Sie von einer Eheschließung abraten?
Hanna Josua: Bei etlichen sehe ich, bzw. sehen wir aufgrund der Konstellation eines Paares keine andere Möglichkeit, als davon abzuraten. Als evangelischer Pfarrer empfehle ich einem evangelischen Christen eine Person aus der gleichen Konfession zu heiraten. Aber meistens haben die Leute es sich in den Kopf gesetzt, den Partner zu heiraten. Sie sind überzeugt davon, dass der andere ihr Traummann oder ihre Traumfrau ist.
ERF Online: Mit welchen Konflikten muss sich ein solches Paar auseinandersetzen?
Hanna Josua: Wenn sich ein Paar im Urlaub kennenlernt, arbeitet der Mann oft als Angestellter in einem Hotel oder in der Gastronomie. Das heißt, das unterschiedliche Bildungsniveau ist zum Beispiel ein großes Problem. Solche Dinge werden von den meisten nicht richtig berücksichtigt. Die Frauen sagen sich in dieser Situation: Für mich ist dieser Mensch gut so wie er ist, er entspricht meinen Vorstellungen. Der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad sagte in einem Interview über seine erste Ehe mit einer Deutschen, dass er die Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland wollte und seine Frau einen Mann. Sie war 18 Jahre älter als er. Samad sagt zu Recht, dass das nicht gutgehen konnte, weil der Altersunterschied zwischen den beiden enorm war.
ERF Online: Das unterstellt, dass viele der Männer nur eine deutsche Frau heiraten, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen.
Hanna Josua: Bei vielen ist das so. Die Situation vieler dieser Männer in den Urlaubsorten, zum Beispiel in Ägypten, ist schwierig. Die Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit spielen eine große Rolle. Für diese Männer ist es eine gute Alternative, wenn sie in den Westen kommen können.
ERF Online: Haben Sie auch erlebt, dass solche Ehen auf Dauer Bestand haben?
Hanna Josua: Ja. Eine solche Ehe funktioniert, wenn der Mann hier in Deutschland etwas aus seinem Leben machen kann und seine Frau das zulässt. Aber häufig sind solche Ehen nicht von langer Dauer.
Die Ehe retten, damit die Kinder Vater und Mutter behalten.
ERF Online: Wie sieht es bei Paaren aus, bei denen der Mann zum Beispiel ein Moslem ist, aber hier in Deutschland aufgewachsen ist?
Hanna Josua: Oft verhält sich in solchen Ehen die Frau tolerant. Manche treten zum Islam über, andere sagen: Wir lassen die Religion außen vor. Diese Paare bewegen sich auf der humanistischen Ebene. Solange ich mit meiner Frau allein bin, kann das gut gehen. Aber wenn Kinder da sind, wird es komplizierter. Vor allem, wenn entschieden werden muss, ob die Kinder getauft oder beschnitten werden oder ob sie in der Schule in den Religionsunterricht gehen oder in LER [Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde; Anmerkung der Redaktion].
ERF Online: Wie helfen Sie Paaren weiter, die mit solchen Fragen zu ihnen kommen?
Hanna Josua: Ich versuche, um Verständnis für den Partner oder die Partnerin zu werben. Nach einem Vortrag über den Islam, kam zum Beispiel ein Syrer auf mich zu, der mit einer Deutschen verheiratet war. Er liebte seine Frau und seine Kinder über alles. Als streng gläubiger Moslem war er aber auch davon überzeugt, dass die Kinder nach der Scharia islamisch erzogen werden müssten. Aus diesem Grund war er mit seiner Frau aneinander geraten. Sein muslimisches Umfeld hat ihm geraten, die Frau zu verlassen und die Kinder mitzunehmen. Das ist in interreligiösen Ehen ein allgemein bekanntes Problem.
Was mache ich mit einer solchen Situation, in der eine Ehe besteht und der Mann aufrichtig seinen Willen bekundet, diese Ehe aufrecht zu erhalten? Ich habe ihm geraten, seine Frau zu akzeptieren wie sie ist, auch als Christin. Erstens ist ihr von der Scharia zugestanden, dass sie Christin bleiben darf und zweitens versteht es sich von selbst, dass eine Mutter ihre Kinder erziehen darf. Wenn er seine Frau ihre mütterliche Aufgabe mit bestem Wissen und Gewissen erfüllen lässt, hat er die Scharia nicht übertreten und die Kinder behalten ihre Mutter und ihren Vater.
ERF Online: Wie hat der Mann reagiert?
Hanna Josua: Er war glücklich. Er hatte die Scharia nie so ausgelegt und wollte alles daran setzen, dass die Frau und die Kinder bei ihm bleiben können. An dieser Stelle habe ich an der islamischen Scharia angeknüpft und habe überlegt, wo ich das Herz dieses Mannes ansprechen kann, ohne ihn zu verlieren.
Die Frage nach Gott im Familienalltag
ERF Online: Der Glaube spielt also doch eine Rolle, selbst wenn die Ehe an sich gut ist und die Partner versuchen, sich in ihrer Überzeugung stehen zu lassen?
Hanna Josua: Die Frage ist, wie ernst die einzelnen Partner ihren Glauben nehmen. Ein gläubiger Moslem ist zum Beispiel davon überzeugt, dass Jesus nicht gekreuzigt worden ist. Er glaubt, dass an Jesu Stelle ein Mensch getötet wurde, der ähnlich aussah. Wenn ich diese Glaubensaussage als gläubiger Moslem ernst nehme und meine Frau an Karfreitag in die Kirche geht, um dem Tod Jesu zu gedenken, steht das meiner Überzeugung diametral entgegen.
ERF Online: Das heißt, eine solche Ehe gelingt nur dann problemlos, wenn beide Partner der Religion gegenüber gleichgültig sind?
Hanna Josua: Entweder das oder man glaubt ganz allgemein an einen Gott und definiert nicht näher, wie dieser Gott in meinem Leben und in dem meiner Familie wirkt. Das trifft auf die Mehrheit der Gesellschaft heute zu.
ERF Online: Glauben Sie, dass die Zahl der interreligiösen Ehen zunehmen wird?
Hanna Josua: Ja. Wenn ich die Statistiken richtig deute, dann sind etwa 40% der muslimischen Bevölkerung unter 20 Jahren und ein weiterer großer Teil zwischen 20 und 40 Jahren. Auf der anderen Seite gibt es sehr viele selbstständige alleinstehende, deutsche Frauen, die irgendwann einmal heiraten möchten. Auch mehr als die Hälfte der Asylbewerber sind männlich, von denen viele keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Das heißt, sie sehen sich der Frage ausgesetzt, eine Deutsche zu heiraten, wenn sie in Deutschland bleiben möchten.
Hier kommt eine Situation auf uns zu, auf die viele Eheberatungsstellen noch nicht vorbereitet sind. Entweder versucht man, die Dinge zu idealisieren oder man sagt von vorneherein, dass es nicht klappt und somit ist die Sache gelaufen. Aber wir haben es an dieser Stelle mit Fakten zu tun. Und wir haben mit Menschen zu tun, die uns aufsuchen und Hilfe möchten.
Es gibt zwei Möglichkeiten, als Seelsorger darauf zu reagieren. Entweder ich sage: Du bist sowieso ein gescheiterter Mensch und deine Ehe ist zum Scheitern verurteilt. Damit habe ich weder dem Hilfesuchenden noch der Gesellschaft etwas Gutes getan. Oder ich versuche Anhaltspunkte und Anknüpfungspunkte zu finden, wie ich ihm und seiner Familie helfen kann, so dass eine konstruktive Lösung gefunden wird. Das wirkt sich auch wieder positiv auf die Gesellschaft aus.
ERF Online: Vielen Dank für das Gespräch!
Ihr Kommentar
Kommentare (3)
Die moderne "Dame von heute" möchte etwas erleben und erlebt es oft als "unhipp", einen Mann aus der eigenen Gemeinde zu erwählen. *Gähn*, wie langweilig!
Dann bucht frau doch lieber 2 Wochen … mehrJamaika oder Elfenbeinküste und erlebt Summerfeeling pur. Die Freundinnen werden erblassen vor Neid, wenn sie die Geschichten vom Sonnenutergang an der Strandbar hören, wo dann der exotische Mann mit in's Spiel kam.
Tja und wie so oft, endet die Sache dann im Hotelbett und es werden dadurch Bindungskräfte aktiviert, die auch wieder zuhause "mehr" wollen.
Die harte Wahrheit findet hinter weichgespülten Kulissen statt.
Wobei das nicht heißen soll, daß es nicht interkulturell funken und ein Leben lang funktionieren kann.
Doch meistens steckte die Abenteuerlust primär dahinter, wenn es um solche Geschichten geht.
Ich finde es gut, dass zu diesem Thema geschrieben wird. Allerdings würde ich nicht alles in einen Topf werfen. Ich denke, interreligiöse Ehen stehen doch vor ziemlich anderen Herausforderungen als … mehrinterkulturelle Ehen. Obwohl natürlich auch beides zusammenkommen kann.
Mein Mann ist Afrikaner und überzeugter Christ (wie ich). Wir können, was den Glauben betrifft, viel voneinander lernen.
In anderen Bereichen gibt es natürlich auch Reibungspunkte.
Etwas irritierend finde ich, dass bei diesem interviewten Paar die interkulturelle Ehe als gut funktionierend gezeigt wird, bei Beziehungen außerhalb der eigenen christlichen Konfession (sprich … mehrevangelisch-katholisch) aber bereits irgendwie von "interreligiös" und "abraten" die Rede ist. Also Frauen, sucht euch Männer in eurer Gemeinde und nicht im Cluburlaub. Wobei so manche christliche Gruppierung mit Sicherheit heute auch bereits konfessionell gemischt sein wird.