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02.01.2008 / / Lesezeit: ~ 3 min

Autor/-in: Elke Allaert

„Das kann man nicht spielen“

»Wir kriegen so viel Kraft von oben!«, sagten die Eltern des kleinen Steve. Sie sagten es nicht irgendwo und nicht irgendwann: Steve war vor Kurzem gestorben und sie sagten diesen getrosten Satz nach der Beerdigung ihres jüngsten Kindes.

Lucas war ein paar Mal im Hausbibelkreis gewesen. Geblieben bis zum Schluss, kaum was gesagt, aber voller Fragen. Die stellte er, als alle anderen weg waren.

Eines nachts hatte er einen Traum: Er stand in einem Raum mit vielen Duschen. Aber aus jedem Wasserhahn den er aufdrehte, kam nur schmutziges Wasser heraus. Er merkte dass die Quellen, die er in seinem Leben anzapfte, ihn nicht „sauber“ machten. Die letzte Dusche erst gab sauberes frisches Wasser. Lukas erkannte was sein Traum bedeutete: Dass bei Gott eine Dusche mit sauberem Wasser war. Er wurde Christ.

Kurz darauf brachte er seine Frau Lucy mit. Mit gesenktem Kopf schoss sie an mir vorbei ins Wohnzimmer. Saß da mit ihrem Kind auf dem Schoß und schwieg. Mühsam bastelte ich aus den paar Brocken flämisch die ich damals erst konnte, eine Frage. „Was sagt Sie?!“ herrschte Lucy ihren Mann im plattesten Westflämisch an. Ich war verzweifelt und Lucas sichtlich verlegen.

Dennoch blieb es nicht bei diesem Besuch. Aus einfachen ländlichen Verhältnissen kamen die beiden, hatten in irgendeinem kleinen Dorf gewohnt und waren mit ihren drei Kindern und einem schmalen Gehalt in eine Siedlung der belgischen Armee gezogen.

Im Hausbibelkreis waren wir wie eine Familie: vom Wehrpflichtigen, über den „einfachen“ Soldaten bis zum (Unter-)Offizier hockten alle zusammen in dem immer enger werdenden Wohnzimmer, sangen christliche Lieder, lasen in der Bibel, tranken Kaffee und sagten „Du“. Am nächsten Morgen war es dann wieder „Herr Leutnant“, aber das musste so sein und alle verstanden das.

Es waren aber nicht die Inhalte der Bibelstunden, sondern die Atmosphäre, das sagten die meisten. Und der Tag kam, als auch Lucy Christ wurde. Sie brauchte gar nichts erklären. Ihr offener strahlender Blick im Vergleich zu dem bei unserer ersten Begegnung waren der größte Kontrast, den ich in meinem Leben gesehen habe.

Inzwischen waren zwei weitere Babys angekommen. Das jüngste war gerade zehn Monate alt als es passierte. Lucas war auf Manöver, Klein-Steve saß auf dem Schoß seiner Mutter und hörte plötzlich auf zu atmen. Voller Angst rannte Lucy mit dem Baby zum Nachbarn, der mit den beiden ohne viel zu fragen, ins Krankenhaus raste.

Aber es war zu spät. Steve war in den Armen seiner Mutter gestorben und der Vater sicherte gerade irgendwo im Gelände den europäischen Frieden. Der Nachbar bekam noch Ärger, weil er einen Toten transportiert hatte. Uns liefen kalte Schauer über den Rücken. Würden die beiden jetzt, wo die Familien ihnen vorwarfen, der Tod des kleinen Babys sei bestimmt die Strafe, weil sie die (katholischen) Kirche verlassen hatten und jetzt bei „den Protestanten“ seien, ihren jungen Glauben wegwerfen?

Dann kam der Tag der Beerdigung. Ein winziger weißer Sarg mit Goldbeschlag. Wir sangen „Der Herr ist mein Hirte“ und weinten. Die feindseligen Blicke der Familie bohrten sich in unseren Rücken. Dann gab es wie üblich noch Kaffee und belegte Brote. Während Omas und Opas, Tanten und Onkel herzzerreißend heulten und einander in den Armen lagen, waren Lucas und Lucy ganz ruhig und bedienten sogar die Gäste. Auf unsere erstaunten Fragen antworteten sie: „Wir verstehen es auch nicht, wir kriegen so viel Kraft von oben. Wir sind uns so sicher, dass wir unser Baby im Himmel wiedersehen werden. Das tröstet uns, wir können es gar nicht beschreiben.“ Die Familien waren erbost und warfen ihnen vor, sie hätten ihr Kind gar nicht geliebt. Sie bekam dieselbe Antwort.

Mit dem kleinen Steve wurde „das Weizenkorn" in die Erde gelegt. Und wie es die Bibel verheißt: Es blieb nicht allein. Zuerst wurden Lucas´ Eltern und zwei Brüder Christen. Wer weiß wen wir im Himmel noch alles wiedertreffen, der auch sagt:

„Das muss echt sein: Am Tag an dem Dein Kind beerdigt wird so ruhig und getrost zu sein, das kann man nicht spielen.“

*Alle Namen wurden geändert

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