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© Abi Lewis / unsplash.com

19.07.2010 / Ethik / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Wolfgang Hiller

Was macht Leben lebenswert?

Die Frage nach einer Definition von lebenswertem Leben wird in Medizin, Politik und Ethik immer wieder gestellt. Welche Maßstäbe bieten Orientierung?

Wer gesund ist und mit beiden Beinen im Leben steht, macht sich nicht unbedingt Gedanken darüber, ob sein Leben lebenswert ist. Diese Frage stellt sich meistens erst, wenn wir Menschen begegnen, die mit schweren körperlichen und geistigen Einschränkungen leben. Ist dieses Leben lebenswert? Oft kommt dann auch eine theologische Diskussion ins Spiel: Hat Gott gewollt, das Kinder mit Missbildungen geboren werden? Oder sind das Auswirkungen einer Schöpfung, die nicht so ist, wie sie sein sollte? Wolfgang Hiller versucht die Frage aus christlicher Sicht zu beantworten.

Was ist Leben

Was macht Leben lebenswert? - um sich mit diesen Gedanken auseinander zu setzen, muss man zuerst fragen: Was ist Leben? Es gibt eine wirklich unglaubliche Vielfalt von Lebensformen und Lebensarten. Wir schaffen es nur mühsam, einen Überblick über das Gewimmel von Leben zu erhalten. Leben beginnt mit der ersten lebendigen Zelle, weitet sich aus über lebende Organismen, reicht weiter über Pflanzen und Tiere bis hin zu uns Menschen. In der Natur gibt es die verschiedensten Formen von Leben. Alles, was sich als Organismus selbst erhalten und vermehren und in seiner Umgebung auf irgendeine Art und Weise in Kontakt treten kann, ist lebendig.

Leben ist fehlerhaft

Aber auch die Möglichkeit Fehler zu machen, ist Teil des Lebens. Das ist durchaus als eine Folge des Sündenfalls anzusehen. Vor dem Sündenfall war Gottes Urteil über alles Leben ein „Sehr gut“ (1.Mose 1,31)! Erst danach hielten der Tod, Schmerzen, Mühe und Krankheit ihren Einzug (1.Mose 3).

Insofern kann man nicht sagen, dass fehlerhaftes Leben und Missbildungen Gottes ursprünglichem Plan für diese Welt entsprechen – sie sind vielmehr eine Folge des Ungehorsams der ersten Menschen.

Nur tote Materie kann keine Fehler begehen, bzw. hervorbringen. Weil Leben lebensfähig ist, passiert es seit dem Sündenfall, dass es durch Fehlinformationen etc. zu Missbildungen und Deformationen kommt. Die Natur bewertet diese Veränderungen nicht. Auch Gott macht keinen Unterschied zwischen lebenswertem oder unlebenswertem Leben. Leben ist Leben.

Wir Menschen hingegen bewerten (zumindest gefühlsmäßig), ob wir ein Leben als lebenswert oder nicht lebenswert empfinden.

Genau an diesem Punkt wird es schwierig. Wie bewerten wir das Leben? Beurteilen wir den Wert des Lebens nach Tüchtigkeit oder Schönheit oder Gesundheit oder Intelligenz? Dann kommt uns Leben, das nicht nach unseren Idealen funktioniert, als behindertes oder gescheitertes Leben vor. Oft geht damit einher, dass uns dieses Leben weniger wert erscheint.

Trotzdem können wir erkennen, dass jedes Leben einen einzigartigen Wert in sich hat, wenn wir genau hinschauen. Auch das Leben, das nicht unseren Idealen entspricht, hat einen großen Reichtum in sich. Jeder Mensch, auch der, der in seinen Lebensmöglichkeiten eingeschränkt erscheint, bleibt dennoch einzigartig, mit seiner Sehnsucht und Fähigkeit zu leben, zu lieben, geliebt zu werden und zu kommunizieren.

Man kann nicht sagen, dass fehlerhaftes Leben und Missbildungen Gottes ursprünglichem Plan für diese Welt entsprechen – sie sind vielmehr eine Folge des Ungehorsams der ersten Menschen.

Hingabe und Lernbereitschaft

Christen glauben, dass Gott der Schöpfer und Erhalter dieses Lebens ist. Er hat von Anfang an dieses Leben gewollt. Nichts hat er dem Zufall überlassen. Das ist nicht zuerst eine naturwissenschaftliche Aussage, sondern ein Glaubensbekenntnis. Nach den Aussagen der Bibel ist jeder Mensch von Gott geschaffen und dazu berufen, an Gottes Herrlichkeit teilzuhaben (Psalm 139). Gott will schon heute in ihm wohnen und Gemeinschaft mit ihm haben (2.Timotheus 2,4).

Außerdem soll jeder Mensch, ganz gleich wie er auf die Welt gekommen ist, in uns Liebe und Hingabe wecken (Lukas 10,27; Galater 5,14). Jeder Mensch hat zudem Fähigkeiten, die für andere bereichernd sind. Gesunde Menschen können von behinderten Menschen zum Beispiel Einfachheit, Wahrhaftigkeit, Echtheit, die Fähigkeit auf andere einzugehen und einen schlichten und oftmals ansteckenden Glauben lernen.

Jeder Mensch ist ein einmaliges Geschöpf Gottes und hat seinen Wert und seine Würde. Das gilt eben gerade unabhängig von seiner Leistungsfähigkeit oder seinem körperlichen Zustand. Jeder Mensch ist per se von Gott geliebt und in seinen Augen wertvoll (Psalm 139,14; Jeremia 31,3).

Jeder Mensch ist ein einmaliges Geschöpf Gottes und hat seinen Wert und seine Würde.

What would Jesus do?

Christen glauben weiter, dass Gott in Jesus Christus selbst Mensch geworden ist. Die Art und Weise, wie Jesus Menschen angenommen und geliebt hat, ist für uns eine Orientierungshilfe, wie wir mit anderen Menschen umgehen sollen.

Jesus hat sich gerade auf die Menschen eingelassen, die arm, krank, behindert, vom Leben angeschlagen waren. Er hat in ihnen gesehen, wie Gott sie gemeint, gewollt und geschaffen hat. Wer die Evangelien aufmerksam durchliest, kann folgendes beobachten:

  • Jesus war voller Vertrauen darauf, dass unser Leben von Gott geschenkte Gabe ist (Matthäus 6,25-34).
  • Er war überzeugt davon, dass es Gottes Wille ist, dass alle Menschen zu einem erfüllten Leben finden (Johannes 10,10).
  • Er hat jeden und jede in seiner / ihrer Besonderheit wertgeschätzt (Lukas 10,38-42).
  • Er ist Menschen ohne Berührungsängste und Vorurteile begegnet (Matthäus 26,6).
  • Er hat sich grenzüberschreitend gerade denen zugewandt, die wegen ihrer Krankheit und ihrer Behinderung geächtet waren (Markus 7,24-30).
  • Er war kritisch gegenüber einer Bewertung, die Menschen nur nach Leistung und Unversehrtheit beachtet hat (Matthäus 12,15-23; Matthäus 23,23).
  • Er hat sein Leben im Vertrauen und in Treue zum lebendigen Gott gelebt, der Leben verheißt, auch wenn Deformation und Krankheit und Tod das Leben bedrohen (Johannes 16,33).
  • Er hat im Vertrauen auf Gottes Treue auch selbst Sterben und Tod angenommen (Johannes 10,17-18, Matthäus 26,39).

Nun sind wir nicht Jesus. Und wir müssen nicht überspielen, dass wir Vieles nicht verstehen. Manchmal steckt Abneigung und Distanz gegenüber anderen Menschen in uns. Wir halten es nicht aus, ihnen Nähe und Zuneigung zu zeigen.

Aber wir können von Jesus lernen, jedes Menschenleben in seiner Besonderheit, in seiner Geschichte aber auch in seinen Begrenzungen und Deformationen wertzuschätzen. Wir können von ihm lernen, in Menschen ihre Perspektiven und Möglichkeiten und Hoffnungen zu sehen. Wir können entdecken, welche Chancen Gott in Menschen hinein gelegt hat.

So können wir jedem Leben seine Würde und seinen Weg lassen, ganz gleich, wie es auf diese Welt gekommen ist. Wir können jedes Leben achten und wertschätzen und lieben.

Mensch mit Ewigkeitswert

Zu wissen, wie Gott einen Menschen sieht, kann uns helfen, Menschen, die irgendwie „anders“ sind, anzunehmen:

Jeder Mensch ist mit Gott beziehungsfähig und hat Ewigkeitswert. So kann zum Beispiel jeder Mensch, ganz gleich wie er beschaffen ist, in Beziehung mit Gott treten. Gott will zu jedem Menschen kommen und bei ihm wohnen. Das gilt auch Menschen, die in unseren Augen entstellt und nicht lebenstauglich sind. Für uns scheint es manchmal, als ein Mensch mit schweren geistigen Behinderungen in seinen Einschränkungen keinen Kontakt mit Gott haben kann. Aber wissen wir wirklich, wie nahe Gott mit seinem Geist gerade einem solchen Menschen sein kann?

Hier ist es auch wichtig, den Blick über das Leben auf der Erde hinaus nicht zu vergessen. In der Ewigkeit wird dieser Mensch völlig ohne Behinderung sein. Er wird einen neuen Körper erhalten und uneingeschränkt mit Gott und den anderen Menschen in Verbindung treten können (1.Korinther 15,35-50; Offenbarung 21,1-7).

Für uns scheint es manchmal, als ein Mensch mit schweren geistigen Behinderungen in seinen Einschränkungen keinen Kontakt mit Gott haben kann. Aber wissen wir wirklich, wie nahe Gott mit seinem Geist gerade einem solchen Menschen sein kann?

Jeder Mensch ist eine Gabe Gottes

Wenn wir das Leben als Gabe Gottes begreifen, dann können wir auch glauben, dass Gott mit jedem Menschen eine Absicht und ein Ziel hat. Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes und bleibt deshalb trotz unseres medizinischen, psychologischen, philosophischen, soziologischen, theologischen Wissens ein Geheimnis.

Wir sehen, wie verletzbar der Mensch ist, dem Tode ausgesetzt und auf unsere Hilfe angewiesen. Aber wir sehen auch in jedem Menschen seine wunderbaren Talente, die er hat, seine Einmaligkeit, Unvergleichbarkeit und Originalität. Wir sehen seine Gestaltungs- und Ausdruckfähigkeit und seinen Wunsch zu leben.

Jeder Mensch ist irgendwo nicht normal

Wir erkennen, dass Gott in jedem menschlichen Leben sein Ebenbild hinterlassen hat (1.Mose 1,26-27), von Gott gewollt und geliebt ist. Das schließt ein Bewusstsein ein, dass in jedem Menschen Grenzen vorhanden sind und wir alle nicht die Herrlichkeit haben, die wir vor Gott haben sollten (Römer 3,10-12). Vielleicht entdecken wir auch den Größenwahn in uns, dass wir manchmal sein wollen wie Gott.

Deswegen braucht letztlich jeder Mensch eine Neuschöpfung durch Gott. Auch wenn ein Mensch äußerlich gesund und unversehrt ist, ist er innerlich letztlich „krank“. Die Bibel spricht hier von der Sünde, die den Menschen von Gott trennt und die in jedem von uns ist.

Insofern braucht jeder Mensch Heilung und Veränderung. In Jesus wird das möglich. Der Prophet Jesaja sagt über ihn:

„Sein Äußeres war weder schön noch majestätisch, er hatte nichts Gewinnendes, das uns gefallen hätte. Er wurde verachtet und von den Menschen abgelehnt; ein Mann der Schmerzen, mit Krankheit vertraut, jemand, vor dem man sein Gesicht verbirgt. Er war verachtet und bedeutete uns nichts. Dennoch: Er nahm unsere Krankheiten auf sich und trug unsere Schmerzen. Und wir dachten, er wäre von Gott geächtet, geschlagen und erniedrigt! Doch wegen unserer Vergehen wurde er durchbohrt, wegen unserer Übertretungen zerschlagen. Er wurde gestraft, damit wir Frieden haben. Durch seine Wunden wurden wir geheilt!“ (Jesaja 53,2-5).

Fazit

Körperliche Gesundheit und Unversehrtheit garantiert noch lange kein Lebensglück – das ist vielen Menschen auch bewusst. Erst wenn wir uns im Lichte Gottes erkennen, sehen wir wie Gott uns wirklich gemeint und geschaffen hat.

Dann kann ich auch glauben, dass ich kein Produkt des Zufalls bin, sondern von Gott gewollt und von Gott geliebt, wie jeder andere Mensch auch. Niemand ist dann ausgeschlossen, auch nicht Kinder mit Missbildungen.

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Kommentare (4)

Andrea /

Mir ist aufgegangen, dass ich meine Bewertung über die Schmerzen und den Alltag mal wieder ohne Gott gemacht habe. Ich kann nur Danke sagen, dass Gott nicht nachtragend ist.
Herzlichen Dank, für diesen Artikel.

Gudrun Schüler /

Lieber Wolfgang Hiller,
mit Ihrem Beitrag haben Sie mein Innerstes berührt. Das Zitat aus Jesaja über den Schmerzensmann sehe ich plötzlich aus einem neuen Blickwinkel. Danke dafür!

Uschi /

diesen Artikel werde ich meinem Mann ausdrucken, der unheilbar an Krebs erkrankt ist und viel leiden muss.

Gerhard /

Jetzt reicht die Zeit nicht, denn der Beruf wartet. Aber ich werde diesen Artikel noch öfter lesen und die Bibelstellen nachlesen. Danke!

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