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© Caitlyn Wilson / unsplash.com

27.06.2017 / Reportage / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Annabel Breitkreuz

Wenn Frauen zur Ware werden

Annabel Breitkreuz war undercover in Bordellen. Eine Reportage.

„In diesem Haus ist immer mindestens eine Transe unter den Frauen“, meint die junge Studentin neben mir, während wir auf ein Gebäude zulaufen. Eine Transsexuelle, habe ich richtig gehört? Ja. Das Haus steht im Industriegebiet einer hessischen Kleinstadt und sieht aus wie ein normales, etwas älteres Wohnhaus. Auf den Klingelschildern kleben Namen wie Sommer, König und Förster.

Die Briefkästen sind nicht beschriftet und sehen auch nicht so aus, als wären sie jemals benutzt werden. Wir klingeln und der Türsummer öffnet uns. Im Hausflur steckt sofort eine Frau ihren Kopf aus der ersten Wohnungstür. Ihr Körper ist nur mit einem Handtuch bedeckt. Während sie ihre vielen Locken aus dem Gesicht wirbelt, strahlt sie uns an. Eine bildhübsche Frau, deren Ausstrahlung mich aus den Socken haut. Das hatte ich mir anders vorgestellt.

Was für Menschen befinden sich eigentlich hinter Bordelltüren?

Aber was genau hatte ich eigentlich erwartet? Was für Frauen stellt man sich hinter Bordelltüren vor? Viele haben von Frauen, die sich prostituieren, ein bestimmtes Bilder im Kopf: viel Make-up im Gesicht, mit Lack und Leder bekleidet und ein Körper, der schon "verbraucht" aussieht. Aber welche dieser Klischees entsprechen wirklich der Realität? Was sind das für Frauen, die sich prostituieren?

Ich möchte einen Blick hinter die Kulissen werfen, deshalb schließe ich mich für einen Abend einer christlichen Fraueninitiative an. Gemeinsam mit einer jungen Theologiestudentin besuche ich Frauen in Bordellen und biete ihnen Gesprächsmöglichkeiten, Gebet und Geschenke an. Eine dritte Person bleibt währenddessen im Auto vor der Tür sitzen. „Für den Notfall, falls etwas passiert“, meint die angehende Theologin. „Was soll denn passieren?“, denke ich.

Während ich noch über mögliche Gefahren nachdenke, steigen wir die Treppen zum ersten Stockwerk hoch. Wir klopfen an der Wohnungstür im Obergeschoss und eine Frau Anfang zwanzig öffnet uns die Tür – nur mit Leopardenleggins und BH bekleidet. Auch diese junge Frau strahlt dabei. „Ich hab euch versucht anzurufen. Ich muss zum Arzt, bin aber nicht krankenversichert“, sprudelt es aus ihr heraus. Das Team scheint hier beliebt zu sein. Ich fühle mich weder gefährdet noch unwohl. Anzeichen von Notfällen gibt es keine.

„Das war aber auch schon anders hier. Früher gab es in diesem Haus zum Beispiel eine Hausdame, die uns erst gar nicht reingelassen hat“, erklärt mir eine andere Frau von der Initiative später. Während ich mich an der Wohnungstür mit der netten Italienerin unterhalte, ist eine Überwachungskamera direkt auf mich gerichtet.

Die Italienerin erzählt mir, dass sie schon seit zwei Jahren zum Arbeiten in Deutschland ist: „Mein Cousin wohnte hier und ich brauchte Geld. Dann kam ich und blieb“ Vielleicht ist ihr Cousin einer dieser „Freunde“, die hinter dem Gewerbe stehen. Vielleicht so einer, wie ich ihn vor dem Haus beobachtet habe: Im dicken Auto, mit italienischem Kennzeichen. Nur ein Zufall? Vielleicht.

Letzte Woche scheint hier eine Messerstecherei gewesen zu sein.

Die Theologiestudentin, mit der ich gemeinsam an die Bordelltüren klopfe, erwähnt, dass sie beim letzten Besuch vor einer eingeschlagenen Türscheibe stand. Das sei wohl im Zusammenhang mit einer Messerstecherei passiert. Ich frage die Italienerin, vor deren Tür wir noch immer stehen, ob sie etwas davon mitbekommen habe.

Aber sie kann uns nichts von Bedeutung erzählen: „Ich weiß nicht, was hier passiert. Das ist mir auch egal. Ich will nichts von den anderen Frauen wissen. Ich komme sowieso nur jeden Monat für ein paar Tage“ An den anderen Tagen arbeitet sie in Süddeutschland. Zwischendurch nimmt sie sich eine Auszeit: „Ich kann das hier echt nicht jeden Tag, ich brauche auch mal eine Pause zwischendurch. Ich muss akzeptieren, dass ich nicht so viel kann, wie andere Frauen“ Damit ist die junge Italienerin in einer Luxussituation.

Andere Frauen können sich solche freien Tage nicht gönnen: „Viele finanzieren mit dem Geld die Schulbildung ihres Kindes“, erklärt mir die Teamleiterin der Fraueninitiative. Frauen, die sich prostituieren, reisen oft von Bordell zu Bordell, ohne Pause. Dabei bleiben sie meistens nicht länger als eine Woche in einem Haus.

Ich will wissen, warum das so ist. „Wahrscheinlich, damit keine engen Beziehungen zu ihren Freiern entstehen oder auch aus Sicherheitsgründen, vielleicht aber auch, um den Freiern Abwechslung zu bieten“, bekomme ich als Antwort. Das macht die Arbeit des Teams, mit dem ich unterwegs bin, schwierig. Es gibt wenig Möglichkeiten, Beziehungen aufzubauen, denn sie sehen eine Frau nur selten ein zweites Mal.

Noch immer stehen wir im Flur vor der Haustür. Erst nach rund 15 Minuten erscheint neugierig eine andere Frau im pinken Bademantel hinter der Italienerin. Sie fragt, was wir für unsere Kosmetika haben wollen. „Nichts, das ist geschenkt“ Die Kroatin mustert uns misstrauisch und verschwindet wieder. Sie habe genug davon, einen ganzen Beutel voll. „Das ist nur die starke Außenfassade der Frauen. Aber wenn man richtig mit ihnen ins Gespräch kommt, bröckelt die sehr schnell“, erklärt mir meine Teamkollegin hinterher.

Heute ist in den Bordellen nicht viel los. Das Wetter ist viel zu gut.

Wir fahren in einen anderen Stadtteil. Auf dem Parkplatz steht: „Nur für Mitarbeiter der Bankfiliale und Kunden“. Neben einer Eisdiele, direkt über der Bankfiliale, wohnen auch hier laut den Klingelschildern wieder König und Sommer. Als wir klingeln, mustert uns eine Frau ziemlich verärgert. Sie trägt an ihrem Körper fast nichts außer sehr hohen Schuhen. Mit ihrem selbstbewussten Auftreten schüchtert sie mich ziemlich ein.

Nach einem kurzen Wortwechsel schlägt sie die Tür wieder zu. Hier ist keine Spur von der Offenheit zu spüren, die ich in dem anderen Bordell empfunden habe. Ich fühle mich schlagartig unwillkommen, unwohl und fehl am Platz. Bei der nächsten Tür wird uns erst gar nicht geöffnet, obwohl garantiert jemand im Zimmer ist. „Es ist unwahrscheinlich, dass eine Frau ihr Zimmer verlässt. Damit könnte Sie die Chance auf einen Kunden verpassen. Dafür sind die Mietkosten viel zu hoch“, flüstert mir die junge Studentin zu.

Die Flure des Hauses sind mit rotem Stoff verhängt, an denen Erotikbilder hängen.

Ein Zimmer weiter ruft eine männliche Stimme etwas von Innen und öffnet uns die Tür. Doch anstelle eines Mannes steht eine Thailänderin in rosa Reizwäsche vor mir. Sie nimmt das Geschenk mit dem Bibelvers an. Ich versuche mir meinen verwirrten und überraschenden Blick nicht anmerken zu lassen. Aber ich glaube, die Frau spürt meine Überraschung und schließt die Tür nach kurzer Zeit wieder.

„Die meisten Transen finanzieren sich mit der Prostitution die nächste Operation an ihrem Körper“, erklärt mir die Studentin wieder flüsternd. Ich frage mich, welcher Mann sich wünscht, auf einen halb fertigen Frauenkörper zu stoßen. Doch ich habe nicht lange Zeit, darüber nachzudenken. Ohne, dass wir anklopfen, geht schon die nächste Zimmertür auf. Mir fällt auf, dass ich die Nacktheit der Frauen nicht mehr wirklich wahrnehme. Die Frau mustert mich abschätzig. Unter ihrem Blick fühle ich mich wie ein Mauerblümchen. Das ist eine echt verdrehte Welt hier drinnen, denke ich. Eine Parallelwelt eben.

Auch wenn ich mich nur wenige Stunden in dieser Welt aufgehalten habe, ist mir schnell klar geworden: Die Realität in Bordellen kann ich in keinem bestimmten Bild festhalten. Ich habe Frauen aus den unterschiedlichsten Ländern getroffen, die sich untereinander nicht kennen und sogar in Konkurrenz zueinander stehen. Ich kann Prostituierte genauso wenig in eine Schublade schieben wie Frauen, die an Supermarktkassen arbeiten: Manche begegnen mir freundlich, manche sind erschöpft oder griesgrämig.

Und trotzdem haben Frauen in Bordellen eins gemeinsam: Die schweren Umstände, denen sie ausgesetzt sind. Sie alle leben und arbeiten in dunklen Zimmern, für die sie sehr viel Miete zahlen müssen. Frauen, die sich prostituieren, stehen unter großem finanziellem, zeitlichen und psychischen Stress. Ich habe an diesem Abend erlebt, wie unterschiedlich sie mit diesem großem Druck umgehen.

Auf der Heimfahrt denke ich darüber nach, dass hinter eine Bordelltür normalerweise immer zwei Menschen gehören. Wer sind eigentlich die Männer, die diese Frauen kaufen? Während ich noch überlege, wie ich ins Gespräch mit Bordellbesuchern kommen könnte, werde ich von den beiden Frauen der Hilfsinitiative aus meinen Gedanken gerissen. Ob ich noch Lust auf ein Eis hätte? Nein, danke. Ich brauche dringend ein heißes Bad! 

 

 Annabel Breitkreuz

Annabel Breitkreuz

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Kommentare (3)

Ecki /

Ich habe vor vielen Jahren eine Prostituierte in der Prostitution kennengelernt. Es ging fast immer um Geld und es wurde viel gelogen und getrunken. ich bin mittlerweile mit einer anderen Frau mehr

Irene T. /

Ich habe während meiner Bibelstudium iPrint ein 7Monatiges Praktikum bei der Mitternachtsmission in Heilbronn gearbeitet. Da hatten wir regelmäßig Einsätze im Rotlicht Milieu. War eine spannende mehr

Anna /

Super Beitrag. Ich selbst habe vor ca. 2 Jahren auch mal so einen Abend mitgemacht und finde deine Beschreibungen deshalb super authentisch und nachvollziehbar. Wirklich schlimm, was die Frauen mehr

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