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© rw.studios / Unsplash.com

23.05.2020 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Lotterleben vs. Beauty-Wahn

Was die Corona-Zeit mich über den Umgang mit meinem Körper gelehrt hat.

 

 

Und weg ist das letzte M&M aus der Packung. Hatte ich es endlich geschafft, während der Arbeit auf Süßes zu verzichten, hat Corona mir jetzt einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht. Denn Homeoffice heißt auch, dass der Weg zur Süßigkeitenschublade kürzer geworden ist.

Ein bisschen erinnert mich die Zeit der Kontaktsperre ja ans Hausarbeitenschreiben früher: Bis in die Puppen aufbleiben und tagsüber beständig auf einen winzigen Laptopbildschirm starren, während man verzweifelt versucht, kein Fast Food in sich reinzustopfen. Es ist egal, ob man geschminkt oder ungeschminkt ist, die Haare frisch gewaschen sind oder nicht. Vielleicht startet man sogar im Blümchenschafanzug in den Tag. Hauptsache, der tägliche Arbeitsberg schrumpft.

Nein, ganz so schlimm ist es bei mir natürlich nicht. Tatsächlich trage ich immer – schon allein für die etlichen Videokonferenzen – anständige Klamotten und statt Fast Food probiere ich zigtausend neue Rezepte aus. Aber ich muss ehrlich zugeben: Corona macht etwas mit meiner Körperwahrnehmung. Denn die ist auf einmal deutlich legerer als vorher: Verstrubbelte Frisur, Augenringe – egal! Sieht man über die schlechte Laptopkamera sowieso nicht. Und die Bikinifigur – die kann plötzlich auch warten. Diesen Sommer trägt man Coronabauch.

Verstrubbelte Frisur, Augenringe – egal! Sieht man über die schlechte Laptopkamera sowieso nicht. Und die Bikinifigur – die kann plötzlich auch warten. Diesen Sommer trägt man Coronabauch.

Vom Beauty-Junkie zum Gammel-Look

Nein, besonders lustig ist diese Zeit nicht. Dafür ist die Erkrakung Covid-19 viel zu ernst. Und trotzdem bringen mich diese seltsamen „Nebenwirkungen“ der Pandemie ins Nachdenken: Ich frage mich, was ich aus der Lockdown-Erfahrung über mich und mein Körperempfinden lernen kann. Mir wurde nämlich in den letzten Monaten klar, dass ich vieles, was ich an Aufwand in Bezug auf mein Äußeres betreibe, vor allem für andere mache.

Natürlich fühle auch ich mich mit gestylten Haaren besser, aber wenn mich niemand sieht, darf aus einem Bad Hair Day auch mal ne ganze Bad Hair Week werden. Dabei verwundert mich selbst, wie mich dieser Zustand entspannt. Der rausgewachsene Ansatz, die paar Kilo zu viel auf der Waage, all das scheint plötzlich mein Selbstwertgefühl nicht mehr zu mindern. Immer öfter denke ich „So bin ich eben“ statt vorm Spiegel die unordentlichen Locken in Form zu zwingen.

Der Alltag in der Krise lässt mich seltener in den Spiegel schauen, weil ich mich weniger von anderen beobachtet und bewertet fühle. Es regt sich die leise Frage in mir: Habe ich mich immer nur hübsch gemacht für die anderen? Und was sagt das eigentlich über mich?

Immer öfter denke ich „So bin ich eben“ statt vorm Spiegel die unordentlichen Locken in Form zu zwingen. Der Alltag in der Krise lässt mich seltener in den Spiegel schauen, weil ich mich weniger von anderen beobachtet und bewertet fühle.

Zum ersten Mal überhaupt fühle ich mich weniger eitel als mein Mann, für den das Thema „Frisör“ unverhofft zum Reizthema wird. Aber die Frisörläden sind ja nun wieder auf. Was ein Glück! Mir erscheint die Diskussion um deren Öffnung irgendwie lächerlich und banal. Ich frage mich: Haben wir als Gesellschaft keine größeren Probleme? (Auch wenn ich nichts gegen einen baldigen neuen Haarschnitt hätte.) Selbst der Kauf von Schönheitsprodukten scheint mir plötzlich weniger notwendig, selbst mit einem heißen Bad oder einer Gesichtsmaske verwöhne ich mich seltener, obwohl ich sonst, was das angeht, ein absoluter Junkie bin. Zeigt mir Corona etwa, was wirklich wichtig ist?

Was bin ich mir selbst wert?

Doch da ist auch die andere Seite des Lotterlebens. Ich gehe später ins Bett, esse ungesünder und nutze meine Arbeitspausen nur selten, um einen Spaziergang zu machen. Dabei ist Bewegung bei mir dank abgesagter Sportkurse gerade sowieso schon echte Mangelware. Ich lebe im Krisenmodus: Aufstehen, arbeiten, essen, schlafen. Und langsam wird mir bewusst: Mein Beauty-Verzicht hat nicht unbedingt etwas damit zu tun, dass ich durch Corona endlich erkannt habe, dass mein Selbstwert nicht von meinem Aussehen abhängt.

Von wegen! Zu einem Teil ist es pure Faulheit, wenn ich meine Haare nur noch einmal die Woche wasche, und zu einem Teil bin ich es mir einfach nicht wert, nur für mich das volle Beauty-Programm durchziehen. Das teure Parfüm auftragen, wenn niemand außer mir es riecht – was für eine Verschwendung! Den Ansatz färben, wenn kaum einer die grauen Strähnen bemerkt – rausgeworfenes Geld! Die neue Zufriedenheit mit meinem Look ist ein Gutteil Augenwischerei.

Das teure Parfüm auftragen, wenn niemand außer mir es riecht – was für eine Verschwendung! Den Ansatz färben, wenn kaum einer die grauen Strähnen bemerkt – rausgeworfenes Geld! Die neue Zufriedenheit mit meinem Look ist ein Gutteil Augenwischerei.

Ich erinnere mich an die Worte des Apostels Paulus: „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört?“ (1. Korinther 6,19). Gut, Paulus spricht hier Christen in einer anderen Lebenslage an. Die Korinther pflegten nämlich einen recht ausschweifenden Lebensstil, quasi „Sex, Drugs and Rock'n'Roll“ zu biblischen Zeiten. Aber mich gehen zu lassen, nur weil ich gerade nicht unter Leute komme? Auch das passt nicht wirklich dazu, dass mein Körper ein Tempel des heiligen Geistes ist.

Aber was könnte dieser Begriff „Tempel des heiligen Geistes“ für mich bedeuten? Für meinen Umgang mit mir selbst und meinem Aussehen? Inwieweit ist „Tempelpflege“ wichtig, notwendig, erlaubt? Und was darf sie eigentlich kosten?

Selbstfürsorge in der Krise

Wichtig ist erstmal eines: Unseren Körper und seine Bedürfnisse wahrnehmen. Gott hat uns nicht als reine Geistwesen geschaffen, sondern als Menschen mit einem Körper. Hunger, Durst, Schlaf – das alles sind Grundbedürfnisse, die wir nicht nur stillen sollten, sondern auch stillen müssen, wenn wir gesund bleiben wollen. In Zeiten einer weltweiten Pandemie ist es sogar noch entscheidender, dass wir diese körperlichen Bedürfnisse nicht dauerhaft zurückstellen.

Und wer wie David sagen kann: „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele“ (Psalm 139,14), der gönnt seinem Körper auch darüber hinaus Gutes. Der verwöhnt sich mal mit einem besonderen Essen oder einem heißen Schaumbad. Das ist auch in Krisenzeiten wie diesen sinnvoll. Denn sich selbst etwas Gutes zu tun, entspannt uns. Auch wenn es banal erscheinen mag, kann ein persönliches Verwöhnprogramm doch helfen, Zukunftsängste für eine Weile zur Seite zu legen. Selbstfürsorge ist daher gerade jetzt wichtig.

Sich selbst etwas Gutes zu tun, entspannt uns. Auch wenn es banal erscheinen mag, kann ein persönliches Verwöhnprogramm doch helfen, Zukunftsängste für eine Weile zur Seite zu legen.

Zu Comic-Shirts stehen, aber nicht zu den grauen Haaren?

Gleichzeitig möchte ich die Zeit ohne viele Außenkontakte auch nutzen, mal ehrlich zu überlegen, wo Selbstfürsorge endet und Schönheitskult beginnt. Zwar bin ich nie eine der Frauen gewesen, die ungeschminkt gar nicht erst aus dem Haus gehen. Doch ich merke jetzt in der Rückschau, wie stark ich mich manchmal von dem leiten lasse, was andere über mich denken. Da ziehe ich zum Beispiel meine Lieblings-T-Shirts nur deshalb nicht an, weil ich mich frage, was die Kollegen dann denken werden.

Sicherlich trägt ein Comic-Shirt nicht unbedingt dazu bei, bei einer Präsentation ernst genommen zu werden. Aber verbiegen sollte ich mich eben auch nicht. So wie ich innerhalb meiner Wohnung zu meinem eigenen Stil stehe, sollte ich das auch außerhalb dieser tun. Natürlich immer im Rahmen dessen, was im Büroalltag noch angemessen ist.

Damit steht für mich allerdings auch fest: Die grauen Strähnen werde ich weiterhin übertünchen, denn die mag ich nicht, auch dann nicht, wenn nur ich meine Haare sehe. Dafür jedoch will ich im Joballtag zukünftig selbstbewusster zu dem Chaos auf meinem Kopf stehen, das sich Locken nennt. Und mal Lippenstift auftragen, selbst wenn mein Ehemann dann bei jedem Kuss das Gesicht verzieht aus Angst, dass selbiger abfärben könnte.

Wie viel ist genug?

Das große Thema bei mir bleiben jedoch die Ausgaben. Ich liebe Seifen, Badebomben, Gesichtsmasken und Co und ich habe etliches davon in diversen Schränken – und das nicht allein im Bad. Zu Beginn der Pandemie, als Seife plötzlich zur Mangelware wurde, habe ich gescherzt, dass ich mit meinen Seifenvorräten sämtliche Nachbarn und Freunde auf Monate hin versorgen könnte. Leider ist das nicht übertrieben. Ich habe schlicht zu viel. Und ich kaufe weiter nach, was das eigentliche Problem ist.

Gut, manche Menschen sammeln Briefmarken oder Münzen, ich eben Seifen. Die sind wenigstens ein nützlicher Gebrauchsgegenstand. Aber es stellt sich schon die Frage: Stimmen meine Prioritäten? Rechtfertigt der Wert der Selbstfürsorge es, soviel Geld letztlich den Abfluss hinunterzuspülen? Denn auch wenn ich sparsam mit all diesen Produkten umgehe, sie kosten Geld und manchmal täte es ein günstigeres Produkt aus der Drogerie eben auch.

Für mich selbst habe ich entschieden, dass ein bisschen Luxus ab und an okay ist und ich zudem in hochwertige Produkte investieren will. Das bin ich mir wert. Gleichzeitig will ich mich davon freimachen, jedes neue Produkt austesten zu wollen. Ich muss nicht alles haben. Ich will frei sein, auch mal etwas nicht zu kaufen. Ganz bewusst führe ich daher Buch über meine Wellness-Ausgaben und frage mich immer wieder: Kann ich mir das leisten und ist es mir den Preis wirklich wert, gerade mit Blick auf andere Wünsche und Ausgaben?

Ich will mich davon freimachen, jedes neue Produkt austesten zu wollen. Ich will frei sein, auch mal etwas nicht zu kaufen. Ganz bewusst führe ich daher Buch über meine Wellness-Ausgaben und frage mich  Kann ich mir das leisten?

Die Entscheidung fällt je nach Situation unterschiedlich aus, aber ich lerne dazu und setze mir bewusst ein monatliches Budget, das ich mal überschreite, oft aber auch unterschreite. Für die Zeit der Pandemie habe ich dieses sogar weiter gekürzt, denn mir ist in diesen Tagen neu bewusst geworden: Auf die eigene Schönheit zu achten ist wichtig, aber angesichts einer weltweiten Krise möchte ich meine Zeit und mein Geld lieber in anderes als Gesichtsmasken und Seifen anlegen.

Denn es ist doch so: Auch einen tatsächlichen Tempel für Gott würde ich weder verkommen lassen noch dafür vergoldete Türknäufe kaufen. Genauso möchte ich mit Maß und Mitte den Körper pflegen, den Gott mir anvertraut hat, und dabei auch lernen, zu mir zu stehen – mit oder ohne Schminke.
 

4 Fragen zum Weiterdenken

  1. Wo machst du dich eher für andere hübsch als für dich selbst? Möchtest du das nach dem Lockdown weiterhin tun?
  2. Wo neigst du dazu, Grundbedürfnisse zu vernachlässigen? Was könnte dir helfen, diese in Zukunft mehr im Blick zu behalten?
  3. Wie kannst du Selbstfürsorge üben? Was tut dir gut, um auch mal zu entspannen?
  4. Wo übertreibst du es in puncto Körper- und Schönheitskult? Wo gilt es Prioritäten zu verändern?
     
 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

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