/ Bibel heute
Die Verteidigungsrede des Paulus
Der Bibeltext Apostelgeschichte 22,1-22 – ausgelegt von Peter Plack.
Ihr Männer, liebe Brüder und Väter, hört mir zu, wenn ich mich jetzt vor euch verantworte. Als sie aber hörten, dass er auf Hebräisch zu ihnen redete, wurden sie noch stiller. Und er sprach: Ich bin ein jüdischer Mann, geboren in Tarsus in Kilikien, aufgewachsen aber in dieser Stadt und mit aller Sorgfalt unterwiesen im väterlichen Gesetz zu Füßen Gamaliels, und war ein Eiferer für Gott, wie ihr es heute alle seid.[...]
Das war heftig! Gerade noch so ist Paulus der Lynchjustiz durch einen aufgebrachten Mob entgangen. Hätten ihn die römischen Soldaten nicht fürsorglich in Schutzhaft genommen, wäre es wohl aus gewesen mit ihm. In anderen Gegenden dieser Erde erleiden Christen bis heute ein solches Schicksal. Bei uns nicht – seien wir froh und dankbar dafür und beten wir für unsere verfolgten Geschwister im Glauben.
Und ich sage es klar und deutlich: Unser Bibelwort rechtfertigt nicht den Antisemitismus, der in Deutschland leider wieder Raum gewinnt. Das Gebot der Nächstenliebe, sogar der Feindesliebe verpflichtet uns Christen dazu, Meinungsverschiedenheiten friedfertig und mit Respekt für Andersdenkende auszutragen.
Worauf ich hinaus will: Wir sind als Christen in Deutschland nicht von Gewalt bedroht, aber wir leben zunehmend in nachchristlichen Zeiten. So nähern wir uns von der anderen Seite her der gesellschaftlichen Lage, in der Paulus seinen Glauben bezeugt hat. Der Wind der öffentlichen Meinung steht uns entgegen und ich spüre es, wenn ich mit Bekannten und Kolleginnen ins Gespräch kommen, die nicht aus meinem gemeindlichen oder kirchlichen Umfeld sind. Ich erlebe diese Auseinandersetzung vor allem in zwei Themenfeldern: Zum einen geht es um die Kirche als Organisation. Veraltete obrigkeitliche Strukturen, schlechtes Finanzmanagement und Missbrauchsskandale nennen meine Gesprächspartner häufig. Ich gebe mir Mühe, es mir geduldig anzuhören, bedauere das Zutreffende und versuche, Übertreibungen und Verallgemeinerungen abzumildern.
Nicht jeder Priester ist ein Kinderschänder und die Kirche schmeißt unser Geld nicht einfach so zum Fenster raus. Und ich finde, selbst wer unter uns der verfassten Kirche den Rücken gekehrt hat, sollte nicht einfach so in eine generelle Kritik mit einstimmen. Auch kleinere Organisationsformen haben ihre Tücken und machen ihre eigenen Fehler.
Etwas mehr Fingerspitzengefühl brauche ich, wenn es um persönliche Enttäuschungen im Umgang mit der Kirche geht. Ich nehme sie ernst und versuche, selbst ein besseres Bild abzugeben, als jemand anderes es konnte, ohne in Schimpf- oder gar Hasstiraden mit einzustimmen.
Das hört sich klein und unscheinbar an, wenn ich es mit dem kraftvollen Glaubenszeugnis von Paulus vergleiche, aber ich habe erlebt, dass dieser Versuch wichtig und nicht umsonst ist. Mein Gegenüber kommt häufig ins Nachdenken, kann die Sachverhalte und seine Erlebnisse differenzierter ansehen und sich ein genaueres Urteil bilden. Und ja, ein paar Leute sind so auch zu uns in den Gottesdienst oder in den Gesprächskreis gekommen.
Zum anderen geht es darum, was meine persönliche Spiritualität mit Jesus Christus zu tun hat. Der Glaube ist nicht tot, aber es fragt sich, woran jemand glaubt. „Weck die Kraft, die in dir steckt!“ könnte ein Werbespruch für die gegenwärtige spirituelle Welle sein. Das klingt einladend und aufbauend, ist aber eine Überforderung. Manchmal steckt da nämlich nichts in mir, was mich weiterbringt. Ich erlebe es als befreiend, wenn ich mein Vertrauen auf Jesus Christus setzen kann. Jesus holt mich aus meiner Verzweiflung und Resignation heraus. Er ermutigt mich kraftvoll, endlich den nächsten Schritt zu tun. Jesus schenkt mir innere Ruhe, wenn mir die Dinge über den Kopf wachsen. Ich führe dazu in meinem Bekanntenkreis spannende Gespräche. Kann die Kraft zum Guten, die in mir steckt, nicht von Gott da hineingelegt worden sein? Ist diese Kraft eine Wirkung des Heiligen Geistes, den wir an seinen guten und kraftvollen Wirkungen erkennen? Ist es nicht ermutigend und befreiend, auch in mir Jesus Christus als meinen Freund und Wegbegleiter zu entdecken? Das sind einige der Fragen, die ich in solchen Gesprächen als Anregung weitergebe.
Das führt selten zu einer ungeteilten Zustimmung. Viel ist schon erreicht, wenn wir respektvoll und offen miteinander im Gespräch bleiben. Ich finde, wir sollten einander die Zeit lassen, die wir brauchen. Nicht bei jedem geht die Lebenswende hin zum Glauben an Jesus Christus so plötzlich und dramatisch wie beim Apostel Paulus. Bei ihm war die Zeit des intensiven Nachdenkens über den Glauben eben danach statt vorher.
Was ich für mich mitnehme aus dem Glaubenszeugnis von Paulus, das Sie gehört haben: Paulus redet so, dass seine Zuhörer verstehen, was er meint. Er ist ehrlich und bleibt bei seinen eigenen Erfahrungen mit Jesus Christus. Er übertreibt nicht und verallgemeinert nicht. Er will nicht Zustimmung um jeden Preis und lässt die Punkte, die bei seinen Zuhörern auf Ablehnung stoßen können, nicht weg. Er bleibt bei aller Klarheit verbunden mit der Liebe Gottes, die sich nicht verbittern lässt. Das Ziel ist nicht, bei aller nötigen Klarheit unbedingt rechthaben zu wollen, sondern auf mancherlei Weise etliche für den Glauben an Jesus Christus zu gewinnen – und die anderen in Frieden ziehen zu lassen. Oder besser noch: Sie nicht aufgeben, sondern sie ins Gebet einschließen und mit ihnen weiter im Gespräch bleiben.
Denn Gottes Liebe in Jesus Christus hat einen langen Atem – mit mir und mit den Menschen, denen ich begegne!
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