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/ Wort zum Tag

Hunger nach Gerechtigkeit

Rainer Kunick über Matthäus 5,6.

Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.

Matthäus 5,6

Meine alte Lehrerin in der 1. Klasse des Gymnasiums machte mich wütend. Sie hatte ihre Lieblingsschüler, denen sie immer gute Noten gab. Es passierte bei jeder Klassenarbeit: Da schrieb einer vom anderen ab, der Abschreiber bekam eine 2, der andere, der sich Mühe gegeben hatte, der zu Haus fleißig sich auf die Klassenarbeit vorbereitet hatte, bekam eine 4, manchmal sogar noch mangelhaft.

Damals wagten wir uns nicht zu beschweren, aber wenn einer mal vorsichtig fragte. „Warum bekomme ich denn ein mangelhaft, wenn Klaus, der doch von mir abgeschrieben hat, ein ‚gut‘ bekommt? Das ist doch ungerecht!“ - antwortete sie: „Im Leben geht es ungerecht zu, warum soll es denn in der Schule gerecht zugehen?!“

Ich weiß noch genau, wie ich als 10-jähriger meine Faust in der Tasche geballt habe, weil diese Aussage gegen mein Gerechtigkeitsempfinden ging. Aber damals konnten sich – jetzt zu Recht undenkbar – die Lehrer und Lehrerinnen das erlauben. Heute – nach einer guten Portion Lebenserfahrung - verstehe ich die Aussage besser und möchte sagen: Herzliches Beileid, ihr Gerechtigkeitsfanatiker, die ihr immer noch meint, dass es auf Erden gerecht zugehen sollte. Recht hat, wer die Macht hat, wer Mehrheiten hinter sich kriegt. Da ist es ist gut, dass Jesus in der Bergpredigt sagt: Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden (Matthäus 5,6).

Jesus preist in der Bergpredigt die selig, mit denen kein Staat zu machen ist, die keine Kandidaten für die nächste Führungsposition in Staat und Kirche sind. Zerbrochene Leute preist er selig, Menschen, denen das Leben viele Striche durch die Rechnung gemacht hat, die zerbrochen sind an dem Versuch, sich selbst zu verwirklichen, sich selbst ins rechte Licht zu rücken. Ihnen will er nahe sein.

Jesu Wort wird schon hier erlebt, aber es weist über die Zeit hinaus. Denen, die Ungerechtigkeit erleiden, die nach Gerechtigkeit hungern, die sollen satt werden. Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, beruht darauf, dass der Mensch, der sich Christus im Glauben zuwendet und sich ihm anvertraut, Gott „recht ist“ und im rechten Verhältnis zu ihm steht. In unser Leben, wo wir uns ungerecht behandelt fühlen, wo wir nicht genug Leistung erbringen können, tritt dann Jesus Christus herein und macht aus uns, die wir uns ungerecht behandelt fühlen, Gerechtfertigte.

Das geschieht nicht durch unsere Leistung, sondern durch die Gnade Gottes. Dafür ist Jesus Christus gestorben und auferstanden. In der Schwachheit des Gekreuzigten wird deutlich, dass er eine Schwäche für uns Menschen hat, die ja gerade seine Stärke ist. Wo alle meinten: Der ist am Ende, steht er von den Toten auf und ist wirkmächtig bei uns. Der Apostel Paulus sagt es in den Versen über die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu am Ende so: Jesus Christus ist uns von Gott gemacht zur Gerechtigkeit (1. Korinther 1,30).

Wenn wir von der Gerechtigkeit leben, die Christus uns schenkt, können wir auch – wenigstens ein stückweit - anderen gerecht werden. Dann werden wir am Leid anderer nicht vorübergehen, dann werden wir für gerechte Verhältnisse sorgen, dann werden wir für gerechte Verteilung von Lebensnotwendigem in der Welt sorgen.

Wenn meine alte Lehrerin noch leben würde, dann würde ich heute zu ihr sagen: Ja, in der Welt geht es ungerecht zu, aber müssen sie sich daran beteiligen, nur weil sie Macht über die Schülerinnen und Schüler haben? Wenn sie Christin sind, die weiß, dass Christus sie durch seine Gnade gerechtfertigt hat, dann werden sie zwar nicht alle Ungerechtigkeit abschaffen können, aber dort, wo sie es können, für Gerechtigkeit sorgen – und vielleicht auch einmal Gnade vor Recht gehen lassen. Bleiben sie den Kindern und Jugendlichen zugewandt und nutzen sie nicht ihre Macht und Willkür aus, denn Christus wendet sich ihnen auch immer wieder zu.

Ihr Kommentar

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Kommentare (2)

Thomas S. /

Danke für die Andacht.
Dieses Wort gilt heute ganz besonders den Menschen in der Ukraine. Lasst uns als Christen für sie beten, dass ihnen schon hier und jetzt Gerechtigkeit widerfahren darf - und mehr

Heinrich D. /

Danke, sehr sehr gute Andacht. Gott segne Sie.