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Du wirst uns wieder beleben

Friedhelm Geiß über Psalm 71,20.

Gott, der du uns viel Angst und Not hast erfahren lassen, du wirst uns wieder beleben.

Psalm 71,20

Älter werden ist nicht einfach. In der dritten Lebensphase erscheint mir das Leben nochmals wie ein neues Studium zu sein. Es beginnt damit, dass es immer mehr zwickt und knirscht. Dann steht in der S-Bahn jemand auf und bietet mir den Platz an und bei der Fahrradtour fragt der besorgte Sohn über die Schulter zurück: „Papa, kannst du noch?“

Das Gefühl für die Grenzen der eigenen Kraft wird deutlicher. Aber wenn das alles wäre! Schlimmer sind doch die Rückblicke und die nebelartigen Gedanken, die aufsteigen können: „Und – war‘s das? Was bleibt eigentlich in deinen Händen?“ Und dann wachen Situationen und Erinnerungen auf, die wir längst vergessen und begraben glaubten. Verletzungen und Enttäuschungen durch andere Menschen.

Der Religionsphilosoph und Theologe Romano Guardini (Er lebte von 1885-1968) schrieb ein kleines aber sehr feines Buch mit dem Titel „Die Lebensalter“. Dort beschreibt er zwei Reaktionen auf die Alterskrise: Entweder verdrängen wir das nahende Ende und klammern uns an die vergänglichen Dinge. Daraus entsteht der schlimme Altersmaterialismus, für den Essen und Trinken, Reisen und Wellness, Garten und Fernsehen alles werden. Oder wir akzeptieren das Alter, ohne es gleichgültig oder zynisch zu entwerten. Daraus entwickeln sich wichtige Werte und Haltungen: Einsicht, Gelassenheit, Selbstachtung, Versöhnung mit der Vergangenheit, Überwindung von heimlichem Groll gegenüber den Jungen und allem Neuen.

Romano Guardini trifft in seiner Darstellung einen wichtigen Punkt. Könnte es nicht sein, dass im Alter eigentlich nur zwei Alternativen die Lebenswirklichkeit prägen: Bitterkeit oder Weisheit? Bitterkeit, wenn ein Mensch nicht los-lassen und frei-geben kann und nur schwer oder nicht mehr vertrauen kann, dass Gott auch heute seine Welt und seine Gemeinde nicht aufgegeben hat und seine Geschichte schreibt.

Oder Weisheit, wenn ein Mensch sich mit all seiner Vergangenheit, mit allem Ungeklärten und Verletzendem in Gottes Hände legen kann, in Gott ruhig werden kann und sich nicht mehr daran aufhält. Aus diesen Menschen sprüht eine zuversichtliche Gelassenheit und Dankbarkeit, die ansteckend und wohltuend auf andere wirkt.

Wie gut treffen die Worte des Beters in Psalm 71 diese Situation. Er klagt über die Angriffe von innen und von außen, die er jetzt deutlicher spürt. Sorgen, Zweifel, dunkle Gedanken bedrängen ihn. Und doch – er weiß, wer ihn hält und wer ihn trägt – trotz allem und in allem. Er betet: „Auch im Alter, Gott, verlass mich nicht und wenn ich grau werde. Gott, der du mich viel Angst und Not hast erfahren lassen, du wirst mich wieder beleben.“ So können Sie es nach-beten in Psalm 71 Vers 18 und 20.

Was für ein Gebet – aber auch was für ein Vertrauen? Hier schaut ein Mensch ganz bewusst die Wunden seines Lebens an. Und er weiß sehr wohl, dass zum Leben Licht und Dunkel gehören, Tag und Nacht, Zeiten des Lachens und Zeiten des Weinens. Aber er ist auch gewiss, dass Gott ihn immer wieder neu belebt. Das lässt ihn im Blick auf diese Welt gelassen werden. In allem Chaos und in allen Unverständlichkeiten ist und bleibt Gott der Herr. Das lässt ihn persönlich aufstehen, er muss nicht weiter vergrämt vor sich hin oder in seine Vergangenheit starren, sondern schaut auf, sieht zum Horizont und gewinnt Zuversicht. Und all das, selbst wenn die körperlichen Kräfte schwinden und das Gehen beschwerlicher wird. Was ist das für ein Geschenk, gerade im Alter den lebendigen Gott an meiner Seite zu wissen. Dafür will ich ihm heute danken!

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