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/ Bibel heute

Der Dienst des Timotheus

Michael Oberländer über 1. Timotheus 4,12–5,2.

Niemand verachte dich wegen deiner Jugend; du aber sei den Gläubigen ein Vorbild im Wort, im Wandel, in der Liebe, im Glauben, in der Reinheit. Fahre fort mit Vorlesen, mit Ermahnen, mit Lehren, bis ich komme. Lass nicht außer Acht die Gabe in dir, die dir gegeben ist durch Weissagung mit Handauflegung des Rates der Ältesten.[...]

1. Timotheus 4,12–5,2

Ach, wie unbeholfen ich mich damals insgeheim gefühlt habe! Ich hatte Theologie studiert und bekam mit 32 Jahren meine erste Gemeinde anvertraut. Viele gestandene Christinnen und Christen sahen mich erwartungsvoll an. Was sollte ich ihnen sagen?

Viele von ihnen waren schon länger auf dem Glaubensweg als ich an Jahren zählte. Lebhaft erinnere ich, wie gut mir damals die Worte des Paulus getan haben: Niemand verachte dich wegen deiner Jugend.

Nun, verachtet wurde ich ganz bestimmt nicht – ich kam mir eher in meinen eigenen Augen etwas überfordert vor. Timotheus ist es offenbar ähnlich ergangen. Ganz sicher war auch er kein Jugendlicher oder junger Erwachsener mehr. Mitte Dreißig, Anfang Vierzig wird er gewesen sein, als sein väterlicher Freund und Mentor Paulus ihn wieder einmal für seinen Gemeindedienst ermutigt. Als weiser Ratgeber lenkt er den Blick des Timotheus weg von dessen eigener Befindlichkeit.

Mir scheint, dass der Apostel Paulus seinem geistlichen Ziehsohn sagt: Timotheus, nicht auf dein Alter, sondern auf dein Verhalten kommt es an. Auch in deinen verhältnismäßig jungen Jahren kannst du viel bewirken. Was Gott in dich hineingelegt hat, wozu er dich beauftragt hat, soll deine Mitchristen prägen. Auftrag und Autorität hast du von deinem Herrn und Gott – DAVON soll dein Charakter, dein Leben und Dienen geprägt sein.

Vorbild sein

Paulus macht es sehr konkret: Vorbild bist du nicht durch deine Jahre; ein gutes Beispiel für andere bist du zuerst durch deine Worte. Interessant, dass Paulus mit den Worten beginnt, die Timotheus von sich gibt. Das erste, das wir von einem Menschen hören, sind in aller Regel Worte.

Wie spricht er über andere Menschen? Worüber redet sie am liebsten? Welche Klangfarbe haben seine Worte? Sind sie positiv gestimmt oder nehmen sie eine allgemeine negative Stimmung auf? 

Was Worte bewirken, erleben wir tagtäglich in Nachrichtenmeldungen und Sozialen Medien. Sie schaffen und beeinflussen Meinungen, sie stellen Menschen in ein günstiges oder in ein fragwürdiges Licht. Das gibt es auch in unseren Kirchen. Wie schnell ist ein abfälliges Wort über Christinnen und Christen anderer Konfessionen und Traditionen gesagt. Wie rasch ist ein Mensch durch unbedachtes Gerede verurteilt oder abgewertet. Das ist heute nicht anders als zu der Zeit der ersten Christen.

Schon Timotheus wird daran erinnert, auf seine Worte zu achten und sie vorbildlich zu gebrauchen; aufbauend, wegweisend, ermutigend. Das gilt übrigens bis heute den älteren Christinnen und Christen genauso wie den jüngeren. Das gilt unabhängig davon, ob sie viel Verantwortung tragen oder nicht.

Wie rede ich? Was bewirken meine Worte bei anderen Menschen? Vorbild im Wort kann jede und jeder sein!

Dazu gehört als zweites der Lebenswandel. Auch darin soll Timotheus beispielhaft vorangehen. Als Verantwortlicher für eine Gemeinde ist er besonders auf dem Präsentierteller, wird aufmerksam beobachtet. Wie lebt und gestaltet er seinen Alltag und seine Aufgaben? Unterstreicht er mit seinem Leben seine Worte oder streicht er sie durch? 

Diese Frage betrifft niemals nur die Verantwortlichen der Kirchen. Als Christinnen und Christen werden wir von unseren Mitmenschen sehr aufmerksam wahrgenommen. Was sehen sie an mir?

Der Apostel Paulus ist weit entfernt davon, bloße Formalitäten oder frommen Perfektionismus zu erwarten. Ihm geht’s darum, dass Worte, Lebenswandel, Glaube und ein reines Leben eine Mitte haben, von der sie ihre Kraft und inneres Leben beziehen. Darum schreibt er seinem Mitarbeiter Timotheus:

Sei ein Vorbild in der Liebe. 

Wie wichtig dem Apostel Paulus immer wieder dieser eine Punkt ist: die Liebe. Hier weiß ich mich persönlich angesprochen. Die Worte, die ich anderen Menschen sage, mögen wahr und richtig sein. Aber sind sie auch liebevoll? Spüren Menschen in ihnen die Liebe Jesu, die in aller Wahrheit um sie wirbt? Oder verbreite ich pure Richtigkeiten?

Ich habe es schon selbst erlebt, wie ach so richtige Worte ohne Liebe tief verletzen. Selbst bin ich auch schon der Versuchung erlegen, mit lieblosen Worten wie mit Skalpellen einem Streitgegner glatt die Seele zu zerschneiden. Es hat mich schon manches Mal erschreckt, wie geschickt ich darin sein kann. Mit Liebe hingegen lassen sich auch unangenehme Worte sagen und werden angenommen. Die Liebe haucht allem, was haupt- und ehrenamtlich Tätige in unseren Kirchen tun, Wärme und Leben ein. Frommer Lebenswandel ohne Liebe verbreitet eisige Kälte. Christlicher Lebensstil mit Liebe lässt Menschen aufatmen und sich öffnen.

Glaube ohne Liebe wird zur Rechthaberei. Glaube mit Liebe verlockt andere Menschen, sich dem Gott der Liebe anzuvertrauen. Ein moralisch reines Leben ohne Liebe lässt einen Menschen ideal erscheinen – und macht ihn letztlich doch nur einsam. Ein reines Leben mit Liebe, mit dem Mut, zu Licht und Schatten in sich selbst zu stehen, ermutigt andere, ihre eigenen seelischen Brüche anzusehen und mit Gottes Hilfe gute Wege zu suchen.

So soll Timotheus mit Liebe und Wahrheit seinen Mitchristinnen und -christen auf ihrem Weg helfen. Dann werden sie ihm gerne zuhören, wenn er aus der Heiligen Schrift liest, sie ermahnt, ermutigt und lehrt. So entfaltet sich die Begabung, die Gott in ihn hineingelegt hat. So wird er die Menschen, die ihm anvertraut sind, und sich selbst auf dem Weg zum Ziel Gottes halten.

Großartige Aussichten! Auch für mich, für Sie! So gesehen wird es selbstverständlich, mit Älteren klar und doch achtungsvoll zu reden. Auf diese Weise werden die Jüngeren respektvoll und fürsorglich an die Hand genommen. So angesprochen fühlen sich die älteren Frauen ehrerbietig wie Mütter behandelt und die jüngeren Mädchen und Frauen mit Anstand angesehen.

In meinen Jahren in Diakonie und Gemeindedienst habe ich erfahren, wie gut der Rat ist, den der Apostel Paulus seinem geistlichen Ziehsohn Timotheus gibt. Ich fahre gut damit, wenn ich ihn auch heute noch beherzige.

Übrigens: die Christinnen und Christen meiner ersten Gemeinde haben es mir sehr leicht gemacht. Herzlich und mit viel Vorschussvertrauen haben sie mich aufgenommen und „machen lassen“. Niemand hat mir jemals meine Jugend vorgehalten. Heute bin ich fast doppelt so alt wie damals. Heute will ich es mit den jungen und kreativen Verantwortlichen in meiner Kirche auch so halten. Als älter Gewordener will ich weitergehen auf dem Weg der Liebe, die erträgt, glaubt, hofft, duldet und nie der Jugend oder des Alters wegen auf einen Menschen herabsieht.

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Kommentare (4)

Vera /

@Hartmut + Hans-Rainer, ich finde es sehr schade, daß Sie sich tief verletzt fühlen. Es gibt so viele Menschen, die sich im Laufe der Jahrhunderte von einer Sprache, die sie ausschließt (oder mehr

Rosemarie L. /

Diese Predigt hat mich besonders angesprochen und guten Ansporn gegeben. Danke dafür

Hartmut B. /

@Hans-Rainer P. - Ich stimme Ihnen voll zu. lassen Sie uns an unserem Glauben festhalten und auch andere Menschen davon überzeugen. Die Kirche als Institution und mit ihrem "Bodenpersonal" hat sich mehr

Hans-Rainer P. /

Mich hat es seelisch verletzt, dass Sie immer wieder "Christinnen und Christen" sagen. Da kommt mir jedesmal das Wort der Schrift "Stellt euch nicht dieser Welt gleich" in den Sinn.