/ Bibel heute
Jesu wahre Verwandte
Wolf-Dieter Kretschmer über Matthäus 12,46–50.

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Matthäus 12
Als er noch zu dem Volk redete, siehe, da standen seine Mutter und seine Brüder draußen, die wollten mit ihm reden. [...] (Mt 12,46-50; LUT)
bibleserver.comJesus ist ein gefragter Mann.
In meinem Leben kenne ich Phasen, in denen es turbulent zugeht. Ich habe alle Hände voll zu tun und erlebe, dass meine Arbeit von anderen geschätzt wird. Das ist ein sehr gutes Gefühl.
Jesus muss es ähnlich ergangen sein. Seit dem Beginn seines öffentlichen Wirkens ist er ein allseits gefragter Mann. Die Leute hören ihm gerne zu, denn das, was Jesus zu sagen hat, ist in jeder Hinsicht bemerkenswert. Seine Botschaft inspiriert und ist voller Kraft, irgendwie gehaltvoller als das, was man von den Gesetzeslehrern gewohnt ist.
Woran das wohl liegt? Mir hilft an dieser Stelle eine kleine Gedankenbrücke: Wenn das Wort Gottes nur im Kopf bleibt, mag das allerhand interessante theoretische Erkenntnisse hervorbringen. Auf mein Leben hat das aber keinen Einfluss. Aber wenn das Wort Gottes aus dem Kopf ins Herz vordringt, gewinnt es an Bedeutung. Es hat auf einmal mit mir und meinem Leben zu tun. Jetzt entfaltet Gottes Wort seine volle Wirkung.
Genauso stelle ich mir die Predigten von Jesus vor. Kraftvoll, lebensnah, herausfordernd und hilfreich. Kein Wunder, dass die Leute aus allen Ecken des Landes herbeiströmten, um diesem außergewöhnlichen Lehrer zu lauschen.
Die Gerüchteküche brodelt.
Weil Jesus das, was er verkündigt, mit Taten unterstreicht, ist die Wirkung seiner Botschaft umso nachhaltiger. Kranke, die mit Jesus in Kontakt kommen, erleben Heilung. Dabei spielt es keine Rolle, welches Leiden die Menschen plagt. Jesus heilt ausnahmslos alle, die sich ihm zuwenden.
Aber wo Außergewöhnliches geschieht, treten bald Kritiker und Verschwörungstheoretiker auf. Im Evangelium nach Markus wird von ersten Stimmen berichtet, die Jesus Unfassbares unterstellen. Im Markusevangelium, Kapitel 3, Vers 22, lese ich von einer haarsträubenden Behauptung seitens einiger Jerusalemer Theologen, die sagen: »Er ist vom Teufel besessen. Nur weil er vom Obersten der Dämonen die Macht bekommen hat, kann er Dämonen austreiben.«
Das sind harte Vorwürfe, die aber nicht recht zu dem passen, was die Leute tagtäglich erleben. Dementsprechend brodelt die Gerüchteküche. Woher nimmt Jesus die Inspiration? Woher die Macht, Menschen einfach so zu heilen? – Ich kann mir vorstellen, dass zu dieser Zeit in vielen Haushalten bei Tisch die Frage im Raum steht: Wer ist dieser Jesus?
Kein Wunder, dass man sich in der Familie von Jesus Sorgen macht. Wohin soll das alles führen? Was wird noch geschehen? Steht Ärger mit den Behörden ins Haus? Maria, die Mutter von Jesus und seine Geschwister machen sich auf den Weg, um mit Jesus zu reden.
Familie ist wichtig.
Als sie ihn endlich gefunden haben, stehen sie vor einem Problem: Wie sollen sie angesichts der Menschenmenge zu Jesus vordringen? Das Haus, in dem Jesus lehrt, ist brechend voll mit Zuhörern. Also schickt man jemanden vor, der Jesus informiert: „Deine Mutter und deine Geschwister stehen draußen. Sie wollen dich sprechen.“
Entgegen der damals üblichen Gepflogenheit, in der der Familie größte Bedeutung zugemessen wird, lässt sich Jesus nicht unterbrechen. Im Gegenteil. In den Versen 48 bis 50 werden diese Worte von ihm überliefert: Doch Jesus fragte zurück: »Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Geschwister?« Dann zeigte er auf seine Jünger: »Das hier sind meine Mutter und meine Geschwister. Denn wer den Willen meines Vaters im Himmel tut, der ist für mich Bruder, Schwester und Mutter!«
Im für damalige Rabbiner üblichen Lehrstil, greift Jesus das Anliegen auf und macht daraus eine Frage, die er seinen Zuhörern stellt. Er bezieht sie ein. Sie sollen sich Gedanken machen: Wer ist meine Mutter, wer meine Geschwister?
Jesus wartet nicht auf mögliche Antwortversuche. Er macht klar, was ihm wichtig ist: Jeder, der sich nach dem Willen des Vaters im Himmel richtet, ist Bruder, Schwester und Mutter. Was Jesus hier tut, finde ich bemerkenswert. Er macht seine Zuhörer auf jemanden aufmerksam, an den niemand gedacht hat, der aber zur Familie gehört: Jesus spricht von seinem Vater im Himmel. Mit anderen Worten, Jesus sagt indirekt, dass zu seiner Familie nicht nur Mutter und Geschwister gehören, sondern auch Gott, den er als Vater im Himmel bezeichnet.
Dazu gehören ist alles.
Mich spricht dieser Bibelabschnitt besonders an. Das liegt daran, dass mein Bruder und ich als Halbwaisen aufgewachsen sind. Unser Vater ist nämlich früh verstorben. Für uns war Familie besonders wichtig. Die tragischen Umstände des Unfalltodes meines Vaters haben meine Mutter, meinen Bruder und mich zusammengeschweißt. Es war ein bisschen so, wie in der Familie von Jesus, in der Joseph vermutlich auch früh verstorben ist.
Meine Eltern haben mir von Anfang an Gott als Vater im Himmel lieb gemacht. Heute empfinde ich das als ein großes Geschenk, denn die Vorstellungen mancher von Gott als einem drohenden Richter, der nur darauf wartet, mich zu bestrafen, diese Gedanken sind mir fremd. Es ist eher andersherum. Ich habe früh gelernt, dass Gott sich mir liebevoll als Vater im Himmel zuwendet. Folglich zeichnet den, der sich an dem orientiert, was Gott, der Vater im Himmel will, etwas Besonderes aus. Der oder die gehören nämlich zur erweiterten Familie dazu.
Was ich lerne.
Im heutigen Bibeltext aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 8, Verse 46 bis 50 entdecke ich ein paar wertvolle Punkte:
Erstens. Jesus wird mir vorgestellt als jemand, der kraftvoll in das Leben von Menschen hineinspricht. Den Worten verleihen seine Taten Nachdruck.
Zweitens. Wo Gott wirkt, sind bald Menschen zur Stelle, die sein Handeln hinterfragen und mit abwegigen Behauptungen kleinreden wollen. Widerstand ist normal. Und das sogar dann, wenn der Widerspruch aus frommen Kreisen erklingt.
Drittens. Auch wenn die Herkunftsfamilie für mich von großer Bedeutung ist, Jesus erweitert mein Denken. Er schließt all jene ein, die nach dem Willen Gottes fragen und diesen dann auch tun.
Viertens. Der Bibeltext fragt mich, welche Rolle ich einnehme. Bin ich einer der Neugierigen? Vielleicht ein verunsicherter Zuhörer, den die verschiedenen Meinungen über Jesus irritieren? Oder habe ich das Verlangen, die Worte von Jesus aufzunehmen, zu verstehen und in meinem Leben zur Geltung zu bringen? Wenn das der Fall ist, dann gehöre ich zur Familie von Jesus dazu. Und das ist das Wichtigste überhaupt!
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