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Das Ährenraufen und Heilung eines Mannes am Sabbat

Jochen Schenk über Matthäus 12,1–14.

Vorschaubild: Matthäus 12

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Matthäus 12

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„Hat noch jemand Hunger?“, fragt der Gastgeber breit grinsend, nachdem wir schon drei Teller Hauptgang und zwei gut gefüllte Schüsseln Nachtisch hatten. Die Zeichensprache der Gäste schwankt zwischen Backenaufblasen und Scheibenwischer. Worauf der Gastgeber trocken antwortet: „In einer Stunde gibt es ja eh schon wieder Kaffee und Kuchen!“ Bloß nichts mehr essen!

Ich habe viel zu oft das Problem, zu viel zu essen. Fast nie habe ich das Problem, richtig Hunger zu haben. Appetit, Heißhunger, ja. Gelüste, wenn es irgendwo gut riecht. Klar. Aber richtig Hunger? So Hunger, dass ich Ähren ausreißen und Körner essen würde? Freiwillig? Da müsste der Hunger schon groß sein. Oder die Alternativen noch schlechter. Die Jünger von Jesus hatten Hunger. Richtig Hunger. Und sie wussten aus dem Gesetz, dass man sich für den akuten Eigenbedarf auf fremden Äckern bedienen darf. Es war nur verboten, mit einer Sichel auf fremdem Feld aktiv zu werden. Vorräte mitzunehmen war auf den Feldern genauso tabu wie beim Frühstücksbüffet. Aber der Hunger durfte gestillt werden. Auf den Kalender haben sie in dem Moment wahrscheinlich kaum geschaut. Es war ihnen egal, welcher Tag ist. Sie haben sich nicht darum gekümmert, dass da jemand etwas dagegen haben könnte. Die engen Auslegungen des Gesetzes durch die Gesetzeslehrer waren ihnen in dem Moment auch egal. Dabei sagt Jesus drei Verse vorher noch das genaue Gegenteil. Im Matthäusevangelium, Kapitel 11, Vers 28 sagt er zu seinen Jüngern: „Ihr plagt euch mit den Geboten, die die Gesetzeslehrer euch aufgelegt haben.“ Den Jüngern waren die Gesetze nicht egal, sie haben sich abgemüht, ihnen gerecht zu werden. Die guten Gebote Gottes und die Gebote der Menschen obendrauf. Regeln, die das Leben lebbar machen sollen, werden zu Regeln, die das Leben schwer machen.

Jesus befreit die Jünger davon. In der Fortsetzung vom Matthäusevangelium, Kapitel 11, Vers 28 heißt es: „Kommt alle zu mir, ich will euch die Last abnehmen.“ Was für ein großartiger Vers! Wie schön, wenn Menschen das in der Gegenwart von Jesus erleben. Lasten werden leichter, ich kann aufatmen. Es gibt was zu essen. Jesus sieht, was ich brauche. Bei Jesus heißt es nicht: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“ Es heißt: „Zuerst kommen die Grundbedürfnisse und dann alles andere.“

Jesus sieht uns in unserer Bedürftigkeit. Es ist ihm nicht egal, wenn wir leiden. Woran auch immer. Da kommt es dann auch nicht darauf an, wie groß unsere Schuld an der Situation ist. Der Mensch kommt bei Jesus vor dem Gesetz. Die Regeln sind für den Menschen da. Der Mensch kommt nicht erst dann vor, wenn er alle Regeln brav befolgt hat. Jesus legt Gebote unter dem Maßstab der Barmherzigkeit aus. Er zeigt eine große Freiheit mit dem Gesetz. Das wird dadurch aber nicht ausgehöhlt. Nur in dem Sinn, dass sein wahrer Kern zum Vorschein kommt. Jesus zeigt, dass hinter allen Regeln ein Gott der Liebe steckt. Er führt die Jünger und uns zum größten Gebot, zur Summe der Gebote: „Liebe Gott und deine Mitmenschen in höchstem Maße, mindestens so wie dich selbst.“

In drei Sätzen bringt er auch noch die Argumente der Pharisäer zu Fall. Auch bei Davids Männern auf der Flucht wurde der Hunger mit eigentlich verbotenen Broten aus dem Tempel gestillt. Das war ein klarer Gesetzesbruch. Die Priester im Tempel brechen jede Woche das Sabbatgebot und werden doch nicht schuldig. Anschließend holt Jesus nochmal richtig aus und trifft die Frommen da, an ihrer besonders empfindlichen Stelle. Er sagt ihnen auf den Kopf zu, dass sie die Propheten falsch auslegen, in dem Fall den Propheten Hosea. Dort steht im Kapitel 6, Vers 6 ein unglaublicher Satz. Da scheint sich der Gott Israels unmöglich zu machen. Da schreit alles nach Widerspruch. Menschen, die Gott nicht kennen, setzen den Rotstift an. Jetzt haben wir ihn erwischt, jetzt hat er sich wirklich total widersprochen!

Da steht doch ernsthaft, dass ER keine Opfer will. Dabei ist das dritte Buch Mose voll von Opfervorschriften. Dabei geht es aber gar nicht darum, ob man Opfer bringen soll. Gott erwartet von seinem Volk Barmherzigkeit und Treue. Darum geht es. Im Bezug darauf sind die Opfer zweitrangig. Wenn Barmherzigkeit und Treue fehlen, dann kann man sich auch die Opfer sparen. Am Schluss dieser Szene legt Jesus noch eins drauf. Er schont sich und die Pharisäer wirklich nicht. Er nimmt wie selbstverständlich den Titel des Menschensohns, des Gesandten Gottes, in Anspruch. Dass der Menschensohn über dem Sabbat steht. Das konnten die Pharisäer noch akzeptieren. Dass dieser Menschensohn aber vor ihnen steht, das konnten sie nicht glauben.

Vom Feld ging es dann weiter in ihre Synagoge. Ob die Jünger wohl überhaupt genug gegessen haben bei der Aufregung? Jesus hat dafür gesorgt, da bin ich mir sicher. Er lässt sich von den ach so theologischen Diskussionen der ach so Frommen nicht täuschen. Er verliert unsere wahren Bedürfnisse nicht aus dem Blick. Deshalb sieht er natürlich in der Synagoge auch die verkrüppelte Hand. Er sieht aber auch den Menschen, der dahintersteht. Er sieht nie nur unsere Probleme und Nöte oder unsere Schuld. Er sieht uns als ganzen Menschen mit allem, was dazu gehört. Er sieht uns ganz, er sieht uns, als ob es nur uns gäbe.

Was für ein wunderbares Bild benützt Jesus hier, um sich schon wieder gegen diese Plage der Pharisäer zu wehren. Er kümmert sich so um uns wie jemand, der nur ein Schaf besitzt. Das ist sein ein und alles. Wir sind sein ein und alles. Sie sind sein ein und alles. Ich bin sein ein und alles. Was für ein Segen, wenn wir das glauben können!

Was für ein Segen, dass der Mann mit der kaputten Hand Jesus begegnet ist. Der hat seine Hand gesehen, er hat sein Leben gesehen. Was für ein Segen, dass Jesus da war. Sonst wäre er nur den Frommen begegnet. Denen, denen sein Schicksal oft völlig egal war. Die Hand des Mannes war nur interessant, weil sie sie für ihre ach so frommen Argumente gebrauchen konnten. Da muss man sich nicht wundern, wenn so ein Mann eine Gottesvergiftung bekommt. So hat der Psychotherapeut Tilmann Moser seine schlechten Erfahrungen mit falscher Frömmigkeit genannt. Es war eher eine Fromme-Leute-Vergiftung. Wie schrecklich, wenn Menschen in frommen Häusern nicht geholfen wird. Wenn stattdessen die Nase über sie gerümpft wird oder sie unverschämt angeglotzt werden. Dazu braucht man keine verkrüppelte Hand, dazu muss man kein schwerer Alkoholiker sein oder fünf Nasenpiercings tragen. Als Mann lange Haare zu tragen, reicht völlig. Jesus sieht nicht nur auf das Äußere, er sieht unser Herz. Beides kann und will er anrühren. Er wird nicht immer alles und sofort heilen. Aber er will uns zu sich ziehen und wir werden im umfassenden Maße heil. Sie und ich - wir müssen nur unsere Hand nach ihm ausstrecken. Wenn wir uns nach ihm ausstrecken, wird Er unsere Hand ergreifen und unser Leben verändern.

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