/ Anstoß - Gedanken zum Tag
Gott hat keine Lieblinge
Jörg Dechert über Römer 11,16.
Ist die Wurzel heilig, so sind auch die Zweige heilig.
Jetzt wird’s gleich etwas kompliziert, aber es gibt auch etwas Wichtiges zum Mitnehmen – versprochen. Es geht um’s Thema „geistliche Überheblichkeit“. Die soll es ja auch unter gläubigen Menschen geben, auch wenn sie sich manchmal in prächtige Gewänder kleidet.
Wir gehen rund 2.000 Jahre zurück in die Vergangenheit, ins römische Weltreich. Der gebildete jüdische Theologe Saulus hat eine Gottesbegegnung und kommt zum Glauben an Jesus Christus. Er wird – sprichwörtlich – vom Saulus zum Paulus. Er verbreitet in den römischen Provinzen die Gute Nachricht, dass Gott in Jesus Christus jedem Menschen mit Gnade begegnet, der sich darauf einlässt.
Viele lassen sich überzeugen, haben selbst Gottesbegegnungen, werden selbst Christen. Und damit steht die Frage im Raum: Was bedeutet das nun für die Juden? Waren sie nicht im Alten Testament die, von denen Gott gesagt hatte: „Ihr seid mein Volk“? Manche der frischgebackenen Christen meinen: Die Juden haben Jesus gekreuzigt, also hat Gott mit ihnen Schluss gemacht, und jetzt sind wir sein Volk“.
Paulus widerspricht. In seinem Brief an Christen in der damaligen Welthauptstadt Rom vergleicht er die Juden mit einem Ölbaum, dessen Wurzel die großen Glaubenshelden des Alten Testaments sind: Abraham, Isaak, Jakob, und so weiter. Und so wie die Wurzel den ganzen Ölbaum trägt und versorgt – dürre Zweige inklusive – so hängt auch die Zugehörigkeit zu Gott am Ende an dessen Versprechen „Ihr seid mein Volk“. Paulus wörtlich im Römerbrief Kapitel 11 Vers 16:
Wenn die Wurzel des Ölbaums Gott geweiht ist, sind auch die Zweige ihm geweiht.
Das heißt: Gott nimmt seine Versprechen nicht zurück und er gibt seine Menschen niemals auf.
Und Paulus schreibt den Christen gleich mit in den Stammbaum: Gottes Gnade gilt allen Menschen, in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft. Niemand kann sich etwas darauf einbilden. Gott hat keine Lieblinge.
Ihr Kommentar
Kommentare (7)
@Leo le: das ist zumindest nicht MEINE Absicht, Gottes Gnade für irgendjemanden einzuschränken. Und den Titel des Anstosses finde ich sehr zutreffend.
Allerdings handelt es sich um ein … mehrMissverständnis wenn wir denken, UNSERE Meinung spiele letztlich eine Rolle. Wenn Gott sich in der Bibel und in Jesus Christus tatsächlich offenbart hat, ist es nach eigenen Aussagen entscheidend, ob der Mensch an Jesus Christus glaubt (deshalb missionieren Christen auch seit 2000 Jahren).
Was mit den Menschen geschieht, die nicht von Jesus Christus gehört haben, wird Gott entscheiden (und da bin ich sicher, dass Er gerecht und richtig entscheidet).
In der Bibel lese ich, dass diejenigen, die das Evangelium gehört haben und sich bewusst gegen Jesus Christus entscheiden, sich quasi selbst von Gottes Gnade ausgeschlossen haben (zB Joh 3,16-21.36).
Die Gnade ist per definition gratis bzw. unverdient. Folglich kann sich niemand darauf etwas einbilden.
Bezüglich GottesBild ist meine bescheidene Meinung, dass wir ein wenig eine Ahnung bekommen können, wenn wir die Bibel lesen. Schlussendlich werden alle überwältigt sein, wie gut und weise und gerecht und wunderbar Gott ist - und einige werden es bereuen, dass sie Gottes Gnadenangebot ausgeschlagen haben. Ich wünsche deshalb allen, dass sie die Gnade Gottes persönlich annehmen und zu Gottes Neuer Welt gehören.
Ja, das hören die Christen nicht gern, und beschränken so ihr GottesBild (das sie ja nicht haben sollten !), dass Gottes Gnade auch die erreicht, die noch nichts von Jesus Cristus gehört haben. - Amen
Ich habe Ihre Zeilen gelesen und empfinde sie sehr bereichernd und aufbauend, Danke!!!
Tatsächlich ist es nicht ganz so einfach wie es der ERF Vorsitzende hier sagt.
Und warum weicht er von dem Kontext ab?
Hier ist nicht die Rede von dürren Zweigen, sondern von aufgrund Unglauben … mehrherausgebrochenen (abgehauen Luther 17) Zweigen!
Und die Rolle des Menschen, sowohl des Menschen des AT Israels wie des Menschen seit Jesu Kommen wird in dieser Frage plötzlich ausgeblendet.
Wir sollen uns vor Überheblichkeit hüten- das ist richtig, aber nicht in dem Sinne, dass wir denken, dass Menschen (seien es Juden oder alle Menschen) automatisch gerettet wären, sondern dass wir im Glauben bleiben und an der Güte Gottes festhalten.
@Carola: Das ist eine gute Frage.
In meinem "Anstoß" habe ich klargestellt, dass Gottes Herz für seine Menschen unparteiisch ist. Gottes Liebe gilt allen ("Also hat Gott die Welt geliebt..." - … mehrJohannes 3,16), und es gibt niemanden, auf den sich seine Gnade nicht erstrecken kann oder erstrecken will.
Aber - und darauf beziehen Sie sich letztlich in Ihrer Frage - es ist Gott, von dem diese Gnade ausgeht, nicht die Menschen. Seine ausgestreckte Hand der Versöhnung ist Jesus Christus. Sich auf diese Gnade einladen, die Christus verkündigt und verkörpert - das führt Menschen nach Hause zu dem Gott, der sie liebt. Andere Wege sind nicht da nicht "zielführend". Man kann das theologisch "Absolutheitsanspruch" nennen.
Was mir in der Auslegung von Römer 11 neu wichtig geworden ist: Jeder und jede kann und darf diese Hand Gottes ergreifen, da gibt es für Gott keine Menschen erster und zweiter Klasse. Und da stehen manchmal gerade die "Frommen" - von den Pharisäern in den Tagen Jesu über die Adressaten von Paulus in Rom bis hin zu manchen Christinnen und Christen heute - in Gefahr, andere Menschen aus unserer begrenzte Perspektive heraus für Gott vorzusortieren. "Lasst es lieber", sagt Paulus, "seid dankbar, dass Gottes Gnade euch gilt - und versucht nicht an Gottes Stelle zu entscheiden, wem sie noch zu gelten oder nicht zu gelten hat."
Jesus sagt aber auch im Gleichnis von den bösen Weingärtnern "Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als Letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn … mehrscheuen. ... Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg. Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.“ Warum zählt Jesu Wort bei Ihnen so wenig?
Ich finde geistliche Überheblichkeit auch sehr verwerflich, aber beim Hören dieser Auslegung kam mir diese Aussage Jesu spontan in den Sinn: keiner kommt zum Vater, als durch mich! Wie passt das zu … mehrder Auslegung? Und wenn man sich auf Jesu Aussage bezieht, bekommt man immer wieder den Vorwurf des Absolutheits-Anspruchs zu hören.