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Ein bitteres Ende

Vom Scheitern in Afghanistan.

„Nichts ist gut in Afghanistan!“ mit diesem Satz hatte die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, vor mehr als zehn Jahren für Schlagzeilen gesorgt. In diesen Tagen hat dieser Satz traurige Aktualität bekommen.

Die Taliban haben erneut die Macht in Afghanistan übernommen. Dabei hat 20 Jahre lang eine Staatengemeinschaft unter Führung der USA versucht Armee und Demokratie in Afghanistan zu stärken. Gelungen ist das aus vielen Gründen nicht. Dazu zählen Fehleinschätzungen des Westens, Korruption und die Unterstützung der Taliban aus Nachbarstaaten.

Am Ende bleibt die bittere Erkenntnis, dass Billionen von US-Dollar und vor allem Menschenleben sinnlos geopfert wurden, für einen Kampf, der wohl nie zu gewinnen war. Saskia Klingelhöfer spricht mit Horst Kretschi über die Gründe für das Scheitern des Afghanistan-Einsatzes.

ERF: Es war 2001 nach den Terroranschlägen vom 11. September. Die USA haben damals unter anderem die Taliban als Drahtzieher des weltweiten Terrors ausgemacht. Als Konsequenz marschierten zunächst US-Truppen in Afghanistan ein. Der Einsatz bekam den Namen „Enduring Freedom“. Aus der dauerhaften Freiheit ist für die Menschen in Afghanistan jedoch nichts geworden. Die Taliban haben am Wochenende die Macht in Afghanistan wieder übernommen. Woran liegt das?

Horst Kretschi: Das hat mehrere Gründe, die ich hier nur kurz und auch nicht komplett darlegen kann. Zu den Gründen zählen unter anderem die Staaten, die an Afghanistan angrenzen, aber auch die politischen Verhältnisse in Afghanistan selbst und das Agieren der internationalen Politik. Konkret: Vor allem Pakistan hat den Taliban Rückzugsmöglichkeiten geboten und die Islamisten im Grunde offen unterstützt.

Der Iran hat den Taliban Waffen geliefert, weil die ja gegen den gemeinsamen Erzfeind USA zu Felde zogen und die Taliban waren auch nie völlig aus Afghanistan verschwunden. Sie haben, wo sie konnten, ihr Regime durchgesetzt. Weshalb es auch seit einigen Jahren schon einige Millionen Binnenflüchtlinge in Afghanistan gibt. Die Anwesenheit der internationalen Kräfte hat im Grunde nur kaschiert, wie schlecht es wirklich war.

ERF: Wieso konnte die Staatengemeinschaft da nicht mehr ausrichten?

Horst Kreschi: Da kommen wir zu den innenpolitischen Verhältnissen und dem politischen Agieren der Staatengemeinschaft. Die afghanische Armee und Polizei konnten nie auf das Niveau gehoben werden, dass wir aus westlichen Staaten kennen. Korruption hat da eine Rolle gespielt. Aber auch mangelnde Bildung und Angst unter den Armeeangehörigen.

Am Ende war da auch der Frust über einen maroden Staat und Eliten, die sich nur selbst bereichert haben. Deshalb konnte die afghanische Armee auch so einfach überrollt werden. Der Vormarsch der Taliban hätte nur verhindert werden können, wenn die Staatengemeinschaft, allen voran die USA, noch mehr Geld und Menschen investiert hätten, doch dazu war man nicht bereit.

Im Gegenteil, als die Entscheidung gefallen war sich aus Afghanistan zurückzuziehen, war das der Anfang vom Ende der „dauerhaften Freiheit“. Bitter ist jetzt wohl vor allem die Erkenntnis, dass alle Opfer, die zum Beispiel auch Militärangehörige der Bundewehr in Afghanistan gebracht haben, völlig nutzlos erscheinen. 20 Jahre, Billionen von US-Dollar und Euro und vor allem Menschenleben sinnlos geopfert für einen Kampf, der wohl nie zu gewinnen war.

ERF: Was bedeutet die Machtübernahme durch die Taliban?

Horst Kretschi: Es ist kein Geheimnis: Für viele Menschen in Afghanistan bedeutet es nichts Gutes. Vor allem für Frauen und Mädchen wird es schwer. Die Freiheiten und die Gleichbehandlung wie in den letzten 20 Jahren wird es nicht mehr geben. Die Taliban haben angekündigt ein islamisches Emirat errichten zu wollen.

Dort würde das islamische Recht der Scharia Anwendung finden und das nimmt keine Rücksicht auf Menschenrechte und Werte, die wir im Westen für selbstverständlich halten. Zu befürchten ist auch, dass es denen sehr schlimm ergehen wird, die in den letzten zwei Jahrzehnten den ausländischen Truppen geholfen haben. Die Ortskräfte haben schon vor Wochen darum gefleht, beim Abzug der Truppen mitgenommen zu werden. Vergeblich.

Nun sollen ein paar Hundert, wenn möglich, noch gerettet werden. Und auch wir sind betroffen, denn deutsche Politiker haben immer wieder betont: „Unsere Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt.“ Und da ging es um den internationalen Terror. So gesehen müssen auch wir uns wieder mehr Sorgen machen.

ERF: Was können wir in dieser Lage tun, um den Menschen dort zu helfen?

Horst Kretschi: Die Lage ist sehr verzweifelt. Das ist an allen Stellen spürbar und Hoffnung scheint es keine zu geben. Und dennoch gibt es Optionen des Handelns. Zunächst wäre da die Möglichkeit bei den politischen Entscheidungsträgern hier Druck zu machen, dass sie dann auch zu ihrem Wort stehen und den Menschen in Afghanistan, die das wollen hier die Grenzen öffnen. Oder zumindest außerhalb Afghanistans in Sicherheit bringen. Mal ehrlich, wer von uns wollte in so einem Land leben?

Und das Zweite ist vielleicht das Erste: Beten! Für die Menschen dort in Afghanistan, dass ihr Leben bewahrt wird und Entscheidungsträger hier, damit so ein Fiasko nicht wieder vorkommt. Es braucht viel Weisheit und Weitsicht in solchen Situation und daran hat es meiner Meinung nach an zu vielen Stellen gemangelt.

ERF: Vielen Dank für das Gespräch.

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Kommentare (1)

Ulrich H. /

Ich finde den Ausspruch von Margot Käsmann auch 10 Jahre später immer noch nicht richtig, sondern selbstgerecht und simpel. Genausogut könnte man sagen "Nichts ist gut in der Evangelischen Kirche", mehr