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Wenn Weihnachten plötzlich tabu ist

Deutschsprachige Schule in der Türkei streicht Fest der Liebe vom Lehrplan.

Das Istanbul Lisesi ist eine Eliteschule, an der nicht nur auf Türkisch, sondern gleichberechtigt auch auf Deutsch unterrichtet wird. 35 deutsche Lehrer arbeiten dort, sie werden aus Deutschland bezahlt. Und Sie sollen ihre Schüler in deutsche Kultur und ins Brauchtum einführen. So sieht es der Gründungsvertag zwischen der Bundesrepublik und der Türkei vor. Doch ausgerechnet Weihnachten soll nicht erwähnt werden, so eine Anweisung der Schulleitung an die Lehrer. Was ist dran an der Meldung, die seit gestern die Gemüter erhitzt? Redakteur Michael Klein hat die Berichterstattung verfolgt und klärt auf.

ERF Medien: Was ist nach derzeitigem Sachstand nachweislich passiert?

Michael Klein: In der Tat haben die Lehrer per Mail eine Anweisung der türkischen Schulleitung bekommen, das Weihnachtsfest nicht im Unterricht zu thematisieren. Ein geplantes Mitwirken des Schulchores bei der Weihnachtsfeier des Deutschen Generalkonsulates in Istanbul wurde daraufhin abgesagt. Das hatte die Schulleitung dementiert, nachdem es gestern in deutschen Medien gemeldet worden war. Aber der FAZ und der SZ liegen mittlerweile Kopien der entsprechenden Mail vor – die Anweisung ist also definitiv ergangen, das kann niemand leugnen.

ERF Medien: Wie ist eine solche Anweisung in das derzeitige innenpolitische Geschehen in der Türkei einzuordnen?

Michael Klein: Die Schulleitung hat sich diese Anweisung sicher nicht als Schikane ausgedacht. Denn die Schule ermöglicht ein deutsches Abitur und ihre Absolventen erwerben damit eine deutsche Hochschulberechtigung. Das ist ein wesentliches Qualitäts- und Alleinstellungsmerkmal. Beobachter gehen davon aus, dass eine Anweisung von oben vorlag – eventuell sogar von ganz oben. Es ist ganz klar ein politisches Ziel des Präsidenten Erdogan, das Land auf einen stramm konservativen Islam einzuschwören. Da wird der Verweis auf andere Kulturen und Gebräuche natürlich als Liberalismus wahrgenommen, dem die türkische Regierung den Kampf angesagt hat.

Die Politik reagiert, die Kirche schweigt

ERF Medien: Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Beziehungen zwischen der Türkei und Europa angespannt sind, eine solche Anweisung zu geben – war das nicht diplomatisch unklug?

Michael Klein: Diplomatie war damit eher nicht geplant. Ich vermute, die türkischen Behörden haben geglaubt, so etwas ließe sich auf dem internen Behörden-Dienstweg regeln. Dass diese „Ordre de Mufti“ weitere Kreise ziehen könnte, war wohl nicht kalkuliert. 

ERF Medien: Wie hat das politische Berlin bis jetzt reagiert?

Michael Klein: In der Regierung werden inzwischen Stimmen laut, den türkischen Botschafter einzubestellen. Vertreter aller Parteien fordern mittlerweile, die Gehaltszahlungen an die Lehrer der Schule zu überprüfen. Aber ich denke, damit trifft man die Falschen. Der Grünen-Fraktionschef Cem Özdemir, der selber türkische Wurzeln hat, zeigte sich empört über die Anweisung. Und sogar von der Linkspartei gibt es eine Stellungnahme. Die ebenfalls türkischstämmige Linken-Politikerin Sevim Dagdelen sagte wörtlich: „Es zeigt sich, wie weit der islamistische Wahn der AKP mittlerweile geht, wenn selbst Weihnachten an einer Schule zum Tabu erklärt wird, die mit deutschen Steuergeldern gefördert wird.“ Auf jeden Fall dürfte der Vorgang auf europäischer Ebene weitere Argumente liefern, dass die Türkei nicht die Bedingungen für einen EU-Beitritt erfüllt.

ERF Medien: Gibt es schon konkrete Reaktionen von den Kirchen?

Michael Klein: Das wurde den ganzen Vormittag lang erwartet. Aber von Seiten beider Kirchen gab es noch keine Stellungnahme, jedenfalls nicht bis 12.30 Uhr.

ERF Medien: Vielen Dank für das Gespräch.


Stand 19.12.2016 14:00: Nach einer Meldung von Spiegel-Online heißt es nunmehr seitens der Schulleitung, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt habe und in der besagten Schule weiterhin Weihnachten thematisiert werden dürfe.

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