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Bedingungslos?

/ Wochenration / Lesezeit: ~ 4 min

Bedingungslos?

Gottes Liebe und eigene Maßstäbe

Ich bin im Moment ziemlich sentimental. Es braucht nicht viel zu passieren und schon fange ich an zu weinen. Nicht aus Trauer, nicht vor Freude oder sonst einer akuten Emotion. Meistens beginnen meine Tränen einfach so zu fließen. Da reicht mir ein schöner Spruch, ein Lied, ein Video oder eine Szene in einem Film. Manchmal fließen die Tränen nur kurz, manchmal fühlt es sich so an, als würden Säcke voller Emotionen hervorgeholt werden und ich lasse alles raus, wenn ich schonmal dabei bin. Das ist gut.

Früher habe ich mich nie getraut zu weinen. Das ist schließlich schwach und ich habe mich damit gebrüstet als Einzige bei Filmen nicht zu weinen. (Übrigens auch laut zu lachen bei Comedians. – fand ich auch uncool. Aber das ist eine andere Geschichte) 

Der Moment 

Jedenfalls saß ich letzte Woche im Gottesdienst und es brauchte nur einen Halbsatz und schon fing ich an zu weinen. Ich konnte mich nicht beruhigen und jedes Lied, jedes Lob Gottes hat es noch schlimmer gemacht. Warum habe ich weinen müssen? Gleichzeitig Überwältigung und Trauer. 

In den letzten Wochen komme ich immer wieder an den Punkt, dass ich Gott einfach nicht verstehe. Nichts Neues, denkst du jetzt vielleicht. Stimmt. Aber der Aspekt ist ein anderer als sonst manchmal. Ich verstehe einfach nicht, wie Gott so gut sein kann. Das ist mir ein absolutes Rätsel.  

Ich fühle mich im Moment unfassbar gesegnet. Ich darf Dinge tun, die mir Spaß machen und die gleichzeitig hoffentlich etwas Gutes bewirken. Ich darf selbst beobachten, wie ich immer mehr lerne und wachsen darf. Ich sehe die gleichen Prozesse bei Menschen in meinem Umfeld und das freut mich so sehr. Ich bin versorgt. Es geht mir gut. … Ich bin so gesegnet! Und ich bin unendlich dankbar dafür. 

Aber dann kommen meine menschlichen Gedanken dazu. Wie kann Gott so gut sein? Dann frage ich mich: „Merkt Gott nicht wie scheiße ich sein kann?“, „Der hört doch meine Gedanken und sieht alles, was ich mache – also auch das richtig Schlimme.“ Dann wünscht sich eine kleine Stimme in mir, dass Gott mich mal so richtig anbrüllt oder mir endlich mal sagt, dass ich kacke bin und nicht immer nur, dass er mich liebt. 
Das klingt erschreckend, wenn ich es so lese und spricht mir doch aus der Seele. 

Woher kommt das? Was steckt hinter diesen Gedanken? Rechtfertigung, denke ich. Es ist demütigend immer wieder festzustellen, dass Gott so viel größer und gnädiger und gütiger ist als ich und mich trotzdem liebt. Egal, was ich tue, er ändert sich nicht. Bevor es mich gab und wenn es mich schon lange nicht mehr gibt, ist er derselbe. Ganz egal, was passiert. Das kann ich mir nicht vorstellen. Da setzt meine Vorstellungskraft völlig aus. Gott ist ja generell nicht in der Zeit und trotzdem können wir mit ihm sprechen und er kennt mich und hat mich geschaffen und das alles lässt mein Gehirn explodieren, wenn ich zu lange darüber nachdenke.  

Jedenfalls bin ich gerecht gesprochen durch Jesus, der für alles, was ich getan habe, tue und tun werde, ans Kreuz gegangen ist. Das muss man erstmal annehmen können. Und da hakt es auch. Gott begegnet mir mit bedingungsloser Liebe und ich möchte ihm am liebsten Bedingungen empfehlen, um das Ganze komplizierter zu machen. Weil ich nicht verstehen kann, dass er mich liebt. 

Dahinter steckt auch Minderwertigkeit. Das ist nun auch keine neue Erkenntnis. Trotzdem stimmt es leider. Auf der anderen Seite erhebe ich mich auch, denn ich behaupte ja es besser zu wissen als Gott. Seine Zuchtmaßnahmen finde ich nicht angemessen. Erschreckend.  

Zurück im Moment 

Als ich also da saß, im Gottesdienst, da habe ich alles auf einmal gefühlt: Alle Liebe Gottes für mich. Aber auch die Demütigung anzuerkennen, dass er viel höher ist als mein Verstand. Ich habe mich gefreut, dass ich nur Gottes Maßstäben genügen muss und nicht mal meinen eigenen. Und ich habe auch getrauert. 

Ich habe getrauert um all die schlechten Gedanken, die ich über mich selbst hatte und habe. Auch um die Zeit und Freude, die mir verloren gegangen sind, habe ich getrauert. Und ich hatte das Gefühl Gott weint mit. Da saßen wir also zusammen und weinten und es war alles ein Feuerwerk der Emotionen mit einer Pointe: Er ist so gut. 

Von der Minderwertigkeit muss ich mich trennen, auch von dem Überheben, dass ich es besser wüsste. Das Bedürfnis nach Rechtfertigung aus mir selbst darf ich auch wegschmeißen. 

Was bleibt? 

Ich bin dankbar. So sehr. Und ich bin geliebt und kann es nicht verstehen. Ich bin gerecht gesprochen. Es passiert mir immer wieder, wenn Leute mir etwas Gutes tun oder zeigen, dass sie mich gern haben, dass ich weinen muss. Auch weil Gott mich segnet, muss ich ständig weinen. Aber ich glaube, das ist okay. Ich wünschte, ich würde mich noch ein bisschen mehr freuen! Das ist mein Gebet. Freudentränen sind okay. Und ich will verstehen, was bedingungslos heißt – in meinem Herzen, nicht bloß im Kopf. 

Übrigens passt das auch gut zu Weihnachten! Gott kommt als Mensch in die Welt. Versteh ich auch nicht. Warum sollte ein Gott, der allmächtig ist, als Baby in die Welt kommen und sich den ganzen Stress antun? Aus bedingungsloser Liebe zu uns Menschen. 
Ich bete, dass Gott dir und mir immer neu offenbart, was dieses Geheimnis für uns bedeutet und es uns ganz tief ins Herz setzt.  

Ich wünsche dir ein frohes Weihnachtsfest! Sei gesegnet! 
 

Dieser Text von Marie Wandelt wurde ursprünglich auf keineinsamerbaum.org veröffentlicht. 

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