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© Paige Cody / unsplash.com

16.04.2020 / Interview / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Regina König

Familienfrust statt Familienfrieden?

Wie Familien die gemeinsame Zeit und Enge aushalten und gestalten können.

Seit bald drei Wochen leben Familien durch das Corona-Kontaktverbot auf engem Raum zusammen - da können die Nerven schon mal angespannt sein. Wie Familien am allerbesten durch die Corona-Krise kommen und wie das Miteinander gelingen kann, darüber hat Regina König mit der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Dr. Christa-Maria Steinberg gesprochen. Auch in ihrem Ruhestand ist sie aktiv in der Beratungsarbeit für das Evangelisationsteam Sachsen und berät ehrenamtlich Hilfesuchende.

Papa ist zu Hause – Familie und Homeoffice

ERF: Sie haben in der Beratung auch mit jüngeren Leuten zu tun. Da werden dann auch Familien dabei sein. Väter und Mütter mit ihren Kindern leben jetzt ja auch schon seit mehreren Wochen auf engem Raum nahe beieinander und gehen sich womöglich auch schon seit geraumer Zeit auf die Nerven. Wird Ihnen das in den Gesprächen gespiegelt?

Steinberg: Für viele Väter, die jetzt Homeoffice machen müssen oder gar nicht zur Arbeit gehen dürfen, ist das eine völlig neue Erfahrung, die Kinder den ganzen Tag um die Ohren zu haben. Und ich freue mich total für Mütter und Kinder, weil viele sich das schon immer gewünscht haben, dass Papa mal ein bisschen mehr zu Hause ist. Da sehe ich übrigens eine riesen Chance dieser ganzen Zeit. Auf einmal ist die Familie wieder das einzige, was unsere Kinder auffangen kann.
 

ERF: Papa ist zu Hause - das ist natürlich der Blickwinkel des Kindes. Aber Sie haben ja schon anklingen lassen, dass manche Väter damit nicht so ganz zu Recht kommen.

Steinberg: Naja, es ist für die Väter unwahrscheinlich nervig und sie kriegen Krach mit ihrer Frau, die ihnen die Kinder fern halten sollen, damit sie in Ruhe arbeiten können. In solchen Fällen gebe ich den Tipp, so mit dem Partner umzugehen, wie man auch mit seinem Arbeitskollegen umgeht. Dass ich mit meinem Partner so höflich kontrolliert umgehe wie mit den Arbeitskollegen, das macht man ja in der Regel nicht. So wie der Partner alles abkriegt, so würde man nie mit einem Arbeitskollegen umgehen. Aber wenn man jetzt in dieser angespannten Situation mal damit anfängt, auch den Partner freundlich und wertschätzend zu behandeln, kann diese Zeit gelingen.


ERF: Und wenn beide Eltern berufstätig sind und im Homeoffice arbeiten müssen, haben Sie da auch Beispiele?

Steinberg: Ich empfehle, einen guten Tagesplan zu machen und den Alltag mit Struktur zu bewältigen. Während der Schulzeit war das ja nicht so schwierig, weil die Schulkinder ordentlich zu schaffen hatten und sehr viele Hausaufgaben gekriegt haben, wie ich gehört habe. Jetzt in den Ferien müssen wahrscheinlich beide Eltern ein bisschen auf Arbeitsstunden verzichten, sodass sie sich mit der Betreuung abwechseln können. Sie müssen sich absprechen, wer wie viele Stunden weg ist, wer wann was alleine mit den Kindern macht und was man zusammen macht. Ich glaube das muss jetzt alles besprochen werden.

Finanzielle Ängste nicht mit den Kindern besprechen

ERF: Und dazu kommt ja auch: Nicht wenige sind jetzt in Kurzarbeit und dadurch häufig zu Hause. Die finanziellen Ängste kommen also noch dazu. Wie geht man mit solchen Ängsten und dann auch mit der vielen freien Zeit in der Familie um? Hilft es, das auch vor den Kindern ganz offen zu kommunizieren?

Steinberg: Ich denke, man sollte seinen Kindern keine finanziellen Sorgen machen. Die kleinen Herzchen werden davon zu sehr belastet und kennen doch die Lösungsmöglichkeiten nicht. Das ist natürlich ein riesiges Problem, und wenn jemand Jesus nicht kennt und nur dieses menschliche Sorgen- Karussell, dann sind das schon wirklich schwere Sorgen. Da kann ich nur raten: Es gilt auch für solche richtig schweren Sorgen der Spruch aus 1. Petrus 5,7, dass wir uns nicht sorgen sollen, sondern unsere Sorgen auf Gott werfen sollen. Und ich glaube, dass es auch eine Chance dieser Zeit, das zu trainieren.

Struktur ist das A und O

ERF: Sie haben schon anklingen lassen, dass Struktur das A und O ist. Wie könnte so eine Struktur für einen Tag aussehen?

Steinberg: Das ist sehr abhängig vom Alter der Kinder. Die Kleinen wachen früh auf, da muss weiterhin um 8 Uhr gefrühstückt werden. Aber die Großen schlafen ein bisschen länger aus, da könnte man sagen, Frühstück zwischen acht und halb zehn. Ab halb zehn macht jeder Schularbeiten, wie es ja die letzten Wochen gewesen ist, oder hilft mit im Haus. Mutter muss ja nicht alleine putzen, alle helfen mit. Dann gibt es gemeinsames Mittagessen. Danach macht jeder etwas für sich und dann machen alle einen gemeinsamen Spaziergang. Am Abend guckt die Familie zusammen einen Film an oder spielt etwas. So würde ich das einteilen.

Gemeinsame Mahlzeiten - Chancen zum tieferen Gespräch

ERF: Nun kann es ja auch sein, dass ich mich im Kreis der Familie unverstanden fühle und der andere gar nicht zu mir durchdringt oder ich zu ihm. Wäre das jetzt vielleicht auch eine Chance, um wirklich tiefe Gespräche zu führen oder ist die Lage schon angespannt genug, sodass man das eher umgehen sollte?

Steinberg: Ein tiefes Gespräch ergibt sich von selbst, das kann man nicht planen. Ich als Therapeutin kann das natürlich, aber zu Hause geht das nicht. Wenn man zu einem Pubertierenden sagt: „Komm  her, wir wollen mal reden“, dann haut er sofort ab, das ist ja klar. Ich denke, da macht die Herzenshaltung der Eltern viel aus. Ob sie wirklich entspannt sein können, auch wenn das Kind nun vier Stunden hintereinander am PC spielt, oder ob dann die allgemeine Familienspannung ins Unerträgliche steigt, dann ist natürlich gar kein Reden mehr möglich.

Aber was eine Chance ist, sind zum Beispiel die vielen gemeinsamen Mahlzeiten. Diese Zeit kann man nutzen, um entspannt zusammen zu sein, noch ein bisschen länger sitzen zu bleiben und sich aneinander „heran pirschen“, ohne dass gleich jeder vom anderen irgendwas erwartet.

Was tun, wenn die Wut hochkriecht?

ERF: Auch gerade jetzt ist immer wieder im Gespräch, dass in manchen Familien Gewalt zum Thema werden könnte. Ist die Gefahr wirklich sehr greifbar?

Steinberg: Die Frage ist total berechtigt. Wenn man nicht genügend rausgeht und sich eingesperrt fühlt, besteht da schon ein großes Risiko. So mancher hat ja auch ein Paket aus der Vergangenheit zu tragen, das ihn sowieso schon belastet.
 

ERF: Wenn ich spüre, da kriecht die Wut in mir hoch, gibt es da aus Ihrer Erfahrung heraus Verhaltensregeln? Was mache ich dann am besten?

Steinberg: Darüber sprechen wir viel in der Sprechstunde. Rausgehen ist natürlich gut. Im Wald gegen Bäume treten, Tannenzapfen schmeißen, Steine werfen, laut schreien hilft. Auch sich ausarbeiten ist eine gute Hilfe, zum Beispiel im Garten etwas umgraben, Tennis oder Squash spielen. In der Klinik hatten wir einen Boxsack für die Kinder.

Das sind alles Möglichkeiten, um die Wut rauszulassen. Das kann ich nur befürworten. Ja zu der Wut sagen und sie nicht runterschlucken oder sich dafür schämen. Aber sie kontrolliert rauslassen und zwar nicht gegen die arme Partnerin, die nichts dafür kann, oder gegen den Fünfjährigen, der nervt, aber eigentlich auch nichts dafür kann.
 

ERF: Vielen Dank für dieses Gespräch.


Dieser Text ist ein Auszug aus der Reihe Das Gespräch bei ERF Plus.

 Regina König

Regina König

  |  Redakteurin

Für ERF Plus in Mitteldeutschland unterwegs. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder.

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