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© Jonathan Borba / unsplash.com

30.10.2020 / Kommentar / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Andreas Odrich

Es geht einfach um Rücksicht

Wie wir trotz aller Kritik am zweiten Lockdown mit dem Coronavirus umgehen können.

Eine heftige Debatte hat es am Donnerstag im Bundestag gegeben über den neuen Lockdown, der uns im November erwartet, um in Deutschland die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Die Nerven liegen blank. Die schöne Hoffnung, dass sich das Virus über den Sommer hin erledigt hat und wir ab Herbst alles im Griff haben, ist angsichts der Zahl der Neuinfizierten und der wachsenden Zahl der Intensivpatienten dahin. Was wir jetzt brauchen, ist ein langer Atem – und die Einsicht, dass Rücksicht das bessere Instrument ist als Frust, um durch die Dauerkrise zu kommen, meint Andreas Odrich in seinem Kommentar.
 

Ich habe tausend Gründe, mich über den neuen Lockdown zu ärgern, der in meinen Augen alles andere als „light“ ist. Aber es gibt einen Grund, warum ich mitmache, warum ich Maske trage und mich an die Kontaktbeschränkungen halten will. Darüber haben wir in diesen Tagen in der Redaktion kontrovers diskutiert.

Bei allen Argumenten, die sich gegen den erneuten Lockdown, gegen die zum Teil nicht verständlichen und widersprüchlichen Maßnahmen vorbringen lassen, und bei allen Debatten, die geführt werden müssen, hat mich letztlich ein Argument überzeugt. Und dieses Argument ist in erster Linie kein Sachargument, sondern eine Haltungsfrage. Mich hat überzeugt, was eine Kollegin in die Debatte eingeworfen hat:

„Ich maße mir nicht an, alles über Covid 19 und die Pandemie zu wissen. Ich mag in manchem richtig liegen, und in manchem auch falsch. Aber: Solange ich nicht sicher weiß, was das Virus anrichtet, solange ich nicht abschätzen kann, was es für Spätfolgen hat, solange möchte ich niemand anderen gefährden, und mich selbst ganz ehrlich auch nicht. Und deshalb werde ich mich an die Corona-Regeln der nächsten Wochen halten.“

Solange ich nicht sicher weiß, was das Virus anrichtet, solange ich nicht abschätzen kann, was es für Spätfolgen hat, solange möchte ich niemand anderen gefährden, und mich selbst ganz ehrlich auch nicht.

Die selbstkritische Haltung hat mich überzeugt

Die selbstkritische Haltung, aber auch die Rücksicht, die in diesen Worten steckt, haben mich überzeugt. Nochmals: Ja, es ist so, dass manche Virologen schief liegen und dass sie von Politikern falsch interpretiert werden. Ja, es stimmt, dass die Beschlüsse der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten seit Monaten ohne die Parlamente stattfinden, und dass das dringend anders werden muss.

Ja, ich bin sogar fest davon überzeugt, dass mit dem zweiten Lockdown umsichtige Gastwirte, Konzert- und Theaterleute für etwas bestraft werden, was sie gar nicht verursacht haben. Das alles wirkt nicht stringent und nicht nachvollziehbar und wird wirtschaftliche Folgen haben, und muss debattiert und vor allem anders gelöst werden. Es bleibt aber auch zu konstatieren:  wir sind besser dran als andere Länder um uns herum. Wir kommen offenbar besser mit der Pandemie zurecht, auch das muss ich mir als Kritiker der aktuellen Maßnahmen vor Augen führen.

Kein Blatt vor dem Mund – Maske schon

In dieser Debatte darf kein Blatt vor den Mund genommen werden. Eine Maske in der jetzt herrschenden Situation aber schon. Die Mehrheit der Deutschen tut dies auch. Man trägt Maske selbstverständlich und ohne viel Aufhebens, wie übrigens überall auf der Welt, auch wenn die Brille beschlägt und die Maske beim schneller Laufen das Atmen behindert. Inzwischen ist die Maske zuweilen auch modisches Accessoire geworden, mit Logos und Mustern. Unser Gemeinwesen funktioniert also.

Den anderen lieben wie sich selbst

Die Wurzeln dafür liegen im christlichen Menschenbild. Ich liebe meinen nächsten wie mich selbst und schütze ihn und mich. Dazu lädt Jesus Christus unter Berufung auf Gott ein, der uns diese Fähigkeit geschenkt hat, und von dem diese Liebe ausgeht. Dazu gehört auch, dass wir erkennen, dass unsere Entscheidungen und unser Handeln oft brüchig sind, und deshalb bestimmter Regeln bedürfen, auf die wir uns als Gesellschaft verständigt haben. Ein gutes Beispiel ist die Straßenverkehrsordnung.

Natürlich könnte ich mit 70 km/h durch den verkehrsberuhigten Bereich brettern, ich tue es aber nicht, um andere nicht zu gefährden. Natürlich könnte ich mir die Vorfahrt geben an der nächsten Kreuzung, ich tue es aber nicht, um keinen Unfall zu provozieren.

Ein anderes Beispiel sind unsere Gesundheitsregeln. Natürlich hätte ich auch schon in früheren Jahren meinen Mitmenschen saftig ins Gesicht niesen können, getreu dem Motto, „sollen die sich doch nicht so anstellen, bei dem bisschen Schnupfen, den sie dann kriegen.“ Habe ich aber nicht.

Wir haben es einfach aus Rücksicht und Anstand nicht getan, genauso wenig, wie man in unserer Kultur im Restaurant rülpst, auch wenn einem danach zumute ist. Wir haben uns einfach darauf verständigt, weil wir gemerkt haben, dass uns dies weiterbringt. Und wir wissen, dies hat nichts mit einer diktatorischen Unterdrückung zu tun, es sind nichts anderes als die Regeln des Anstands, die hier greifen.

Leider handeln wir nicht immer konsequent

Ja, es stimmt. An anderen Stellen sind wir nicht so konsequent. An anderer Stelle nehmen wir gern „ein paar Tote in Kauf“, wie man am Donnerstag von einem Retter des christlichen Abendlandes im Deutschen Bundestag als ernst gemeinte Empfehlung hören konnte (obwohl er später sagen wird, dass er da natürlich nur falsch verstanden wurde). Aber so weit hergeholt ist dies nicht. An anderen Stellen sind wir tatsächlich nicht so zimperlich.

Sei es bei den Verkehrstoten, sei es bei den Menschen, die unter erbärmlichen Bedingungen in anderen Ländern unsere Konsumartikel zusammenschustern, damit wir hier unsere kleine bürgerliche Behaglichkeit pflegen können. Und dass Deutschland seine entwicklungspolitischen Ziele noch nie eingehalten hat, und dass auch dies Tote fordert, das interessiert uns in der Regel eher nur am Rande.

Harte Zeiten laden dazu ein, Tugenden zu üben

Mit Corona bietet sich nun die Chance, es anders zu machen. Dabei fällt mir dies nicht leicht. Als Opa habe ich meine Enkel in den letzten Monaten viel zu selten gesehen. Immer wieder gab es Corona bedingt Zeiten, wo wir uns nicht treffen konnten, weil entweder in der Schule ein Verdacht vorlag oder jemand aus der Familie getestet werden musste. Die Vorsicht und Zurückhaltung bei einer Umarmung oder besser Nichtumarmung empfinden wir als Familie als psychologische Bremse und als unsichtbare Wand, die zwischen uns steht.

Wie gut, dass es Videokonferenzen gibt, wie gut, dass wir unseren gemeindlichen Hauskreis, die wöchentliche Austauschrunde mit Menschen aus unserer Kirchengemeinde über Leben und Glauben fortsetzen konnten, auch wenn wir die persönliche Begegnung damit nicht ersetzen konnten. Aber es ist so, durch diesen Winter müssen wir durch. Und das geht am besten mit der oben beschriebenen Rücksicht.

Nicht nur meckern, sondern findig bleiben

Gut, dass sich viele Kirchengemeinden etwas einfallen lassen. Da wird anstellen von Adventsgottesdiensten offenes Singen auf dem Kirchplatz geplant oder adventliche Pilgergänge im Freien. Gemeindebesuchsdienste überlegen sich, wie man vor allem die alten, zurückgezogenen Gemeindeglieder erreicht und ihnen zeigt, dass man sie nicht vergisst. Oder da gibt es die Aktion Weihnachten neu erleben aus Karlsruhe, deren Medienpartner der ERF ist, die versucht, deutschlandweit Menschen über die Weihnachtsbotschaft zu verbinden und ihnen eine menschliche und geistliche Zusammengehörigkeit zu geben.

Es ist wie es ist. Wir stehen vor einer der größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte, und die will durchgestanden sein. Bei allen bitteren Einschränkungen: Mit Debatte, Rücksicht, Fantasie und bei Christen gerne mit Glaubensmut fahren wir auf jeden Fall am besten und werden damit eines Tages aus dieser Zeit weiser herauskommen als wir hineingegangen sind.

 Andreas Odrich

Andreas Odrich

  |  Redakteur

Er verantwortet die ERF Plus-Sendereihe „Das Gespräch“. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und ist begeisterter Opa von drei Enkeln. Der Glaube ist für ihn festes Fundament und weiter Horizont zugleich.

Ihr Kommentar

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Kommentare (4)

Thomas O. /

Den Artikel finde ich sehr hilfreich. Danke dafür!
Ich bin ebenfalls der Meinung, dass besonnenes Handeln viel besser ist als Panik- oder Stimmungsmache (auch von manchen anderen christlichen mehr

Karsten W. /

Danke für diesen Artikel. Ich bin aber zutiefst geschockt zu sehen, wie viele Glaubensgeschwister große Angst vor einer Ansteckung haben oder davor, das sie sterben könnten. Vertraut man nicht auf mehr

Silvya G. /

Amen, ein sehr guter Artikel. Ich bin Pflegefachkraft und stoße momentan auch an meine Grenzen, selbst die alten Eltern die stündlich Nachrichten hören oder sehen haben wenig Einsicht, es ist ein mehr

Christiane G. /

Danke!!!

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