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Jeden Tag

Annette Lapp über Matthäus 28,20

Können Sie gut allein sein? Ich persönlich genieße es sehr. Es kommt aber auch eher selten vor. Mit Familie, Kindern und Beruf kann ich nicht oft nur für mich entscheiden, was ich mit meiner Zeit anfangen will. Zu wissen: Ein paar Stunden oder sogar ein ganzer Tag liegt vor mir. Und nur ich kann mir überlegen, was ich damit tun möchte. Herrlich! Spazierengehen. Stundenlang die Nase in ein gutes Buch stecken. Oder auch mal einen Film ansehen. Keiner der mich stört, keiner, der was von mir möchte. Das tut mir richtig gut.

Allein zu sein hat aber auch eine andere Seite. Mir sind schon einige einsame Menschen begegnet. Ein älterer Herr, körperlich eingeschränkt, der sein Haus kaum verlassen kann. Der Pflegedienst kommt zwei Mal am Tag. Kinder hat er nicht. Eigentlich ist da keiner, der nach ihm fragt, mal anruft oder einfach vor der Tür steht. Als ich das eines Tages doch tue, öffnet er mir mit gleichgültigem Gesicht die Tür. Ich erkläre, dass ich ihn besuchen möchte und etwas Zeit mitgebracht habe. Ich bleibe etwa eine Stunde. Als ich mich verabschiede, hat sich sein Gesicht verändert. Mit einem Lächeln auf den Lippen sagt er auf Wiedersehen. Mein Herz ist schwer und leicht zugleich. Ich weiß: Das hat ihm gutgetan. Andererseits wird er jetzt wieder lange allein sein.

Ich vermute: Wir Menschen brauchen beides: Gesellschaft und allein sein. Wissen: da gibt es eine Gemeinschaft, zu der ich gehöre. Und die mir gleichzeitig Freiheit lässt, wenn ich mal Ruhe brauche. Viele finden das in der Familie. Manche suchen ihr Leben lang danach.

Jesus und seine Jünger waren etwa drei Jahre lang sehr viel zusammen. Eine Gemeinschaft, die zusammengehörte. Miteinander auskommen musste. Freunde waren sie nicht unbedingt, aber es gab etwas, das sie verband: Jesus hatte sie gerufen. Das war bestimmt nicht immer leicht. Gleichzeitig gut für jeden zu wissen: Ich gehöre dazu.

Die Bibel erzählt an mehreren Stellen, dass Jesus sich immer wieder von der Gruppe entfernt hat. Um allein zu sein. Ruhe zu finden. Zu beten. So hat er Kraft gesammelt für die Zeit mit der Gruppe.

Nachdem Jesus gestorben ist, müssen die Jünger mit einer ganz neuen Situation klarkommen. Schließlich war Jesus der Mittelpunkt, der ihre Gruppe zusammengehalten hat. Er erscheint seinen Jüngern nach der Auferstehung. Sagt ihnen, was sie jetzt tun sollen: Davon erzählen, was sie mit Jesus erlebt haben. Und dann sagt er diesen Satz: Ihr sollt wissen: Ich bin immer bei euch, jeden Tag, bis zum Ende der Welt.

Verrückt eigentlich, denn kurz darauf verlässt er sie. Aber sie haben Kraft bekommen und spüren seine Nähe. Auch wenn sie ihn nicht mehr sehen. Und sie fangen an, anderen von ihm zu erzählen. Der Anfang der Kirche. Gemeinschaft von Menschen, die alle wissen: Wir gehören zusammen. Und wir gehören zu dem, den wir nicht mehr sehen. Der aber trotzdem immer da ist.

Vielleicht ist das Geheimnis des Alleinseins: Ich weiß, ich gehöre dazu. Ich weiß, ich bin geliebt. Ich weiß, es gibt diese Kraftquelle. Auch wenn ich sie nicht immer sehe. Und dann kann ich es gut aushalten, Zeit mit mir selbst zu verbringen. Weil Jesus mein Ankerpunkt ist, der nie in Frage steht.

Ich bin jeden Tag bei dir, sagt Jesus. Egal, ob du dich gerade von der Gemeinschaft anderer Menschen erdrückt fühlst. Dich nach Ruhe sehnst. Oder darauf wartest, dass endlich mal wieder jemand an deiner Tür klingelt. Ich bin jeden Tag bei dir. Egal, ob du mit anderen zusammen lachst, oder ob du alleine weinst. Ich bin jeden Tag bei dir. Ich kenne jeden Moment deines Lebens und jeden Winkel deiner Seele. Und deshalb brauchst du auch keine Angst vor dir selbst zu haben. In mir bist du verankert.

Gleichzeitig stellt Jesus uns in die Gemeinschaft. Ich bin bei euch, das heißt: Ihr gehört zusammen. Also geht miteinander um, wie ich mit euch umgehe. Liebevoll. Verständnisvoll. Lasst keinen allein, der das nicht möchte. Aber gebt einander die Freiheit, euch auch einmal zurückzuziehen. Ihr müsst nicht aneinander klammern, denn ihr habt ja immer noch mich. Jeden Tag, bis an das Ende der Welt.

Ich denke noch einmal an den älteren Herrn, den ich besucht habe. Ich habe ihm ein Heft mit Bibelversen mitgebracht. Ich hoffe, er liest es. Ich hoffe, er spürt, dass Jesus ihn nicht allein lässt. Behält etwas zurück von dem, was ich versucht habe, ihm zu bringen. Und ich hoffe, dass mich auch jemand besucht, wenn ich mal alt und allein bin.

Bis es so weit ist, genieße ich die Ruhe, wenn die Kinder einmal ausgeflogen sind. Und freue mich, wenn sie wiederkommen. Was für ein Geschenk, wenn man zusammengehört!

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Anstoß

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Kommentare (1)

Leo F. /

Schön - manfrau kann spüren, dass Sie die Grenze kennen wo Alleinsein negativ wird und wir Menschen brauchen, auch wenn Ihre Umstände es gar nicht zulassen, dass Sie zu lange alleine sind. - Wie mehr