Navigation überspringen

/ Wort zum Tag

Soll ich meines Bruders Hüter sein?

Jürgen Werth über 1. Mose 4,9

Ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient.

Philipper 2,4

Soll ich meines Bruders Hüter sein?

1. Mose 4,9

Mancher Bibelvers hat’s zum Sprichwort gebracht. Zum Beispiel dieser: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ Ausgesprochen vom Urmenschen Kain, nachdem er seinen Bruder Abel umgebracht hat. Ausgesprochen, als ihn der Schöpfer zur Rede gestellt hat: „Wo ist dein Bruder Abel!“ „Keine Ahnung!“, lügt Kain. Und dann kommt eben dieser Satz: „Soll ich meines Bruders Hüter sein!“

Eine dunkle, geheimnisvolle Geschichte ist das. Eine, die viele Fragen aufwirft. Kain und Abel, dieses Ur-Brüderpaar hatte Gott ein Opfer gebracht. Jeder seins. Der eine von seinem Vieh. Der andere vom Ertrag seiner Felder. Das Viehopfer, das von Abel, hatte Gott angenommen, das Feldopfer, also das von Kain, nicht. Warum eigentlich nicht? Das bleibt geheimnisvoll. Auch die Reaktion von Kain. Der hatte Abel daraufhin erschlagen. Nicht im Affekt, nein, kalt und geplant. Der erste Mord der Menschheitsgeschichte ist das. Und die erste Ausrede. Nein, nicht die erste. Adam hatte zuvor schon alle Schuld am klassischen Sündenfall auf Eva geschoben. Und die wiederum auf die Schlange.

Jedenfalls sehen wir betroffen und erschrocken, wie Gottes gute Schöpfung mehr und mehr aus den Fugen gerät. Am Ende ist der eine nicht nur nicht der Hüter des anderen. Er ist sein Feind. „Der Mensch ist des Menschen Wolf!“ schreibt der englische Philosoph Hobbes im 17. Jahrhundert in Anlehnung an ein uraltes lateinisches Sprichwort. Der französische Philosoph und Autor Jean-Paul Sartre geht drei Jahrhunderte später noch einen Schritt weiter: „Die Hölle, das sind die anderen.“

Begonnen aber hat alles damit: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“

Später, viel später, lange nach Kain, schreibt Gott seinen Menschen ein Gebot ins Stammbuch, das das Zusammenleben auf eine neue, andere Grundlage stellen soll: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (3. Mose 18) Paulus schreibt noch ein paar Jahrhunderte später, dass in diesem Gebot alle anderen Gebote zusammen gefasst sind. (Römer 13, 9)

Liebe deinen Nächsten, achte ihn! Sei Hüter und nicht Wolf! Hüter und schon gar nicht Hölle! Sei Hüter. Vielleicht auch Be-hüter. Und stell dich darauf ein, dass du oft wohl nicht Ver-hüter sein kannst. Gib die anderen frei, so wie der Schöpfer seine Menschen freigegeben hat. Damals. So wie er sie heute frei gibt. Immer wieder. Er ist der gute Hirte. Er ist der Vater des verlorenen Sohnes. Lässt ihn gehen und nimmt ihn wieder auf, als er endlich zurück kommt.

Ein Freund hat mir einmal erzählt, sein Vater habe ihm immer wieder gesagt: „Egal, was ist, mein Junge, egal, was du angestellt hast, egal, was dir passiert ist - komm nach Hause!“ So ein Vater möchte ich auch sein. So ein Menschenhüter. Kein Übervater, kein Überbehüter, der anderen vor lauter Fürsorge die Luft zum Atmen nimmt. Und manchmal sogar die Würde.

Ein Mensch mit offenen Türen möchte ich sein. Mit Türen, durch die man hinein kommen kann, durch die man aber, wenn man mag, auch wieder heraus schlüpfen kann. Ja, ich will so ein Hüter meiner Schwestern und Brüder sein, meiner Kinder, meiner Kollegen. Ich will die Welt hüten. Weil ich selbst behütet bin. Vom guten Hirten.

In einem Lied habe ich das einmal so beschrieben:

„Menschen, die Menschen erschließen,
Menschen zum Menschsein befrei‘n,
die auch mit Worten nicht schießen,
Menschen, die groß sind und klein.

Menschen wie offene Türen,
Menschen, bei denen es taut,
die dicht ans Feuer dich führen.
Menschen, auf die man vertraut.

Menschen wie Menschen,
aus Liebe gemacht.
Menschen wie Menschen,
im Himmel erdacht.
Menschen wie Menschen,
von Gott zur Welt gebracht.“

Sie möchten noch tiefer in die Bibel eintauchen? Wir empfehlen unsere Sendereihe:

Anstoß

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.