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Treffpunkt Kathedrale

Jürgen Werth über Lukas 10,39

Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu.

Lukas 10,39

In der Mitte des 19. Jahrhunderts verabredet sich eine Frau mit ihrem Cousin in Canterbury. In England also. Weil das ziemlich genau in der Mitte zwischen ihren beiden Wohnorten liegt und gut mit dem Zug zu erreichen ist. Sie wollen sich bei der Kathedrale treffen. So haben sie das per Brief verabredet. Sie ist pünktlich. Aber er kommt und kommt nicht. Während sie wartet, spricht sie ein freundlicher Mann an und bietet ihr an, ihr die Kathedrale zu zeigen. Er ist ungeheuer kenntnisreich und kann interessant erzählen, doch die Frau ist in Gedanken nur bei ihrem Cousin. Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen! Am Ende der Führung gibt ihr der Mann seine Visitenkarte. Die steckt sie achtlos in die Manteltasche. Erst auf dem Rückweg im Zug nimmt sie sie zur Hand. Und liest: Charles Dickens. Einer der bedeutendsten Schriftsteller ihres Landes, Autor des Weltbestsellers „Oliver Twist“, hat ihr die Kathedrale von Canterbury gezeigt - und sie hat ihn im Grunde gar nicht wahr genommen, weil sie mit ihren Gedanken ganz woanders gewesen ist.

Da ging’s ihr wohl ein bisschen wie Martha in dieser eindrucksvollen Geschichte aus dem Neuen Testament.

Die schafft und schuftet, um es Jesus und seinen Leuten, die zu Besuch gekommen sind, so angenehm wie möglich zu machen. Doch Jesus erwartet eigentlich etwas anderes. Und das tut Maria, Marthas Schwester. Die sitzt und lauscht jedem Wort von Jesus, so als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt! Sie ist ganz Auge, ganz Ohr. Denn sie weiß längst, dass seine Worte eine ungewöhnliche Vollmacht haben. Sie gehen tiefer, hellen auf, erklären Zusammenhänge. Sie trösten. Sie stärken. Sie korrigieren. Nein, eigentlich sind das gar keine menschlichen Worte, das weiß Maria. Eigentlich sind das göttliche Worte. Und wenn dieser Jesus schon einmal vorbei schaut, dann will ich mir keins dieser Worte entgehen lassen.

Maria ist ganz und gar bei Jesus. Sie lauscht und sie staunt. Während Martha für Jesus arbeitet. Und schwitzt.

Da platzt Martha der Kragen. Und sie beschwert sich bei Jesus. Und der?

Schaut Martha liebevoll und verständnisvoll an. Und sagt dann:

„Martha, Martha, du mühst dich um Dinge, die im Grunde nicht so wichtig sind. Wichtig ist nur eins. Und das hat – Entschuldigung! – Maria verstanden. Und ich werde sie davon nicht abbringen.“

Ich glaube nicht, dass Jesus hier eine falsche Alternative anbietet, dass er sagen will: Sitzen und Sinnen ist immer und grundsätzlich besser als Schaffen und Schuften.

Jesus sagt hier wohl vielmehr: „Es kommt auf die Umstände an. Auf die Situation. Mal ist Arbeiten angesagt. Mal Stillsitzen. Aber immer ist es wichtiger, einen Termin mit mir zu haben als einen Termin für mich.“

Heute sagt er das zu mir. Zu uns. Und ich will ich mir Zeit nehmen für ihn. Ich will ihm zu Füßen sitzen. Wenigstens ein paar Minuten. Ich will mich von seiner Liebe beschenken lassen. Ich will mir seine Fürsorge gefallen lassen. Und dann diese Liebe, diese Fürsorge in meinen Alltag tragen.

Jakob Kroeker, ein russlanddeutscher Theologe, schrieb 1912 in seinem Buch "Allein mit dem Meister“: "Wer Menschen mit Ewigem dienen will, muss von Gott aus zum Menschen kommen. Schöpferische Kräfte gibt's nur im Umgang mit dem Schöpfer. Auch der treueste Jünger Jesu ist in sich keine lebendige Quelle. Das ist nur der Herr selbst. Wer schweigen kann, wenn Gott redet, wird durch Wort und Tat reden können, wo andere schweigen."

Immer wieder will ich Maria sein, um danach auch wieder als Martha in dieser Welt tätig zu sein. Für ihn und für die Menschen, zu denen er mich schickt.

Wer nie Maria ist, kann auf die Dauer auch nicht Martha sein.

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