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© Priscilla du preez / unsplash.com

15.03.2019 / Kommentar / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Oliver Jeske

Einander Wertschätzung geben

Sexualität: Vom entspannten Umgang zwischen Mann und Frau.

Ich hatte meine Klassenlehrerin selten so sauer erlebt. Da lagen sie vor uns aufgeschlagen, unsere Sachkundebücher mit dem Foto von der nackten Familie in der Gemeinschaftsdusche. Und wir Viertklässler kamen aus dem Gackern und Kichern nicht mehr heraus. Beinahe wäre die Unterrichtsstunde geplatzt.

Schon Kinder wissen „was passt“

Eines habe ich aus diesem Erlebnis gelernt: Bereits Kinder haben einen feinen Kompass dafür, „was passt“ – was angemessen ist im Bereich des geschlechtlichen Miteinanders. Die ganze Familie unter der Dusche? Okay, aber bitte nicht für jedermann sichtbar!

Für Erwachsene wird es nicht leichter zu entscheiden, was angemessen ist. Dabei muss es gar nicht um Sexualität und feste Beziehungen gehen. Meine persönliche Erfahrung ist: Wir blenden viel zu sehr aus, dass wir uns im Alltag immer auch als sexuelle Wesen begegnen – als Männer und Frauen, so wie Gott uns eben geschaffen hat.

Zurück zum Kavalier der alten Schule

Ich glaube, ich habe einen sensiblen Sensor für dieses Thema, weil mein eigener Vater das war, was man einen Kavalier der alten Schule nennt. Bei ihm habe ich gelernt, einer Dame die Tür aufzuhalten und ihr in die Jacke zu helfen. „Ritterlichkeit“ ist für mich kein angestaubter Begriff.

Neu aktuell wurde er durch Erfahrungen meiner Frau, als unser erstes Kind geboren war. Sie wäre manchmal froh gewesen, wenn ihr jemand geholfen hätte, den Kinderwagen in den Nahverkehrs-Bus zu heben. Stattdessen musste sie sich nicht selten alleine durchkämpfen.

Vieles ist verloren gegangen an selbstverständlichem Umgang zwischen Männern und Frauen. Doch es liegt mir fern, zu lamentieren oder alles auf den Gender-Wahn zu schieben. Also greife ich stattdessen weiter an der Garderobe zur Jacke meiner Kollegin – und glauben Sie mir: In 46 Jahren abzüglich meiner Kinderzeit ist es mir erst einmal passiert, dass mir eine Frau ins Gesicht gesagt hat: „Danke, das kann ich selbst!“ Was ich auch gar nicht bezweifle. Aber ich denke, Sie verstehen mein Anliegen.

Praxistest Partnerschaft

Natürlich müssen sich diese Grundsätze auch in der Partnerschaft bewähren. Ich bin seit 19 Jahren glücklich verheiratet. Die Begegnungen mit meiner Frau leben von den vielen kleinen und manchmal auch großen Gesten, durch die wir uns gegenseitig deutlich machen: Ich schätze und liebe dich, auch in deiner Andersartigkeit.

Und zum Mannsein gehört aus meiner Sicht dann aber nicht nur die aufgehaltene Tür, sondern auch der Griff zur Spülbürste in der Küche.

Die Begegnungen mit meiner Frau leben von den vielen kleinen und manchmal auch großen Gesten, durch die wir uns gegenseitig deutlich machen: Ich schätze und liebe dich, auch in deiner Andersartigkeit.


Vieles im Umgang miteinander als Mann und Frau übernehmen wir bewusst oder unbewusst von unseren Eltern. Doch was ist, wenn es diese klassischen Beziehungen nicht mehr gibt? In Berlin, wo wir leben, ist die sogenannte Patchwork-Familie beinahe schon die Normalität. Über 50 Prozent aller Haushalte sind von Singles bewohnt. Dahinter verbergen sich auch freiwillige Lebenskonzepte. Jesus und Paulus waren auch Singles, als Protestanten vergessen wir das manchmal sehr schnell. Aber es stecken auch oft Einsamkeit und gescheiterte Beziehungen dahinter.

Hinter Patchwork-Familien verstecken sich nicht selten Jugendliche, die vom Ideal der großen lebenslangen Liebe träumen. Von der guten Begegnung zwischen Mann und Frau. In ihr Herz ist aber oft ein nagender Zweifel eingepflanzt, ob es die tatsächlich gibt. Sie starten nicht selten mit diesen Hypotheken in ihre eigene Beziehung. 

Hinter Patchwork-Familien verstecken sich nicht selten Jugendliche, die vom Ideal der großen lebenslangen Liebe träumen.

Lisa … oder Patrick?

Ein Schlüsselerlebnis dafür war für mich im letzten Jahr die Begegnung mit Lisa. Ihr Pastor hatte mir von ihr erzählt: eine junge Frau, die als Teenager drei Jahre lang als Junge gelebt hat. In dieser Rolle hat sie die Christen, die sie damals kennengelernt hat, getäuscht. Sie lebte immer in der Angst: Wenn alles auffliegt, verliere ich meine neu gewonnenen Freunde. Irgendwann konnte sie ihre Maskerade nicht mehr aufrecht erhalten. 

Ich habe mich mit Lisa zu einem Interview getroffen. Ich begegne einer hübschen jungen femininen Frau, die inzwischen Soziale Arbeit studiert. Die Fotografie von Patrick, dem 14-jährigen „Kerl“, der sie mal war, passt so gar nicht zu dem Eindruck, den sie mir vermittelt.

Lisa erzählt mir von ihrem Mangel an Liebe, den sie als Kind empfunden hat. Sie sucht das, was ihr fehlt, bei Jungs und wird enttäuscht. Schließlich geht sie Beziehungen zu Mädchen ein. Aus Lisa wird „Patrick“. „Heute“, sagt Lisa, „bin ich ein neuer Mensch, eine ganze Frau dank Jesus.“

Dem Gefühl, dass sie sich selbst nicht annehmen konnte, setzt sie heute den Gedanken entgegen: „Ich bin schön, so wie ich bin. Weil Gott mich geschaffen hat.“

Wenn Beziehung nicht gelingt

Von Lisa habe ich gelernt: Gott hat ein weites Herz für Menschen, die es momentan nicht schaffen, Beziehung so zu leben, wie es Gottes guter Schöpfungsordnung entspricht. Manchmal trägt und erträgt uns Gott mit unseren seelischen Narben, auch im Bereich von Beziehung und Sexualität. Und er gibt niemanden auf, der sich nach heilsamer Beziehung sehnt.

Gott hat ein weites Herz für Menschen, die es momentan nicht schaffen, Beziehung so zu leben, wie es Gottes guter Schöpfungsordnung entspricht.


Am Ende unseres Interviews bin ich selbst mit meinem Kavaliers-Anspruch etwas aus dem Tritt geraten. Ich habe Lisa intuitiv viel zu kräftig die Hand gedrückt. In die Jacke brauchte ich ihr nicht zu helfen, es war Hochsommer. Vielleicht werde ich das bei anderer Gelegenheit nachholen.

Würde als Ebenbild Gottes

Ich merke: Lisa – und viele andere Lisas auf dieser Welt auch – haben ein Recht, als Frauen wertgeschätzt zu werden. Genauso wie ich mir wünsche, als Mann wahrgenommen zu werden. Denn meine Sexualität gehört zum Kern meiner Identität.

Und wenn manche Geschlechterrollen nicht mehr so klar verteilt sind und bestimmte Konventionen nicht mehr gelten? Dann gilt trotzdem: Gebt einander Wertschätzung, weil jeder Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist und in sich Würde besitzt! Auf diese Weise kann ich mit dem heißen Eisen Sexualität durchaus gelassen umgehen.

Gebt einander Wertschätzung, weil jeder Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist und in sich Würde besitzt!

 Oliver Jeske

Oliver Jeske

  |  Redakteur

Sprachlich Hannoveraner, seit einem Vierteljahrhundert in Berlin zu Hause, liebt er Jesus, Tanzen mit seiner Frau, Nordsee-Spaziergänge mit seinen Söhnen und leckeren Fisch. Von Gott ist er fasziniert, weil der ihn immer wieder überrascht und im wahrsten Sinne des Wortes beGEISTert.

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Kommentare (1)

Morselli /

Ich finde es etwas wohlfeil, als Kronzeugen eine einzige Person mit Trans-Hintergrund anzuführen, deren Befragung dann letztlich nur die im Artikel implizierte Meinung bestätigt, Phänomene wie mehr

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