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© Miguel Bruna / unsplash.com

07.06.2012 / Bibel und Theologie / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Hanna Willhelm

Ein Gott der Liebe und des Zorns

Die Bibel beschreibt Gott sowohl als liebevollen Vater wie auch als zornigen Richter. Lässt sich die Spannung zwischen diesen Bildern lösen?

Eine anstrengende Woche liegt hinter mir. Endlich habe ich Zeit, mit Gott darüber zu reden. Nach einer Weile merke ich, wie ich in seiner Gegenwart ruhiger werde. Die Gemeinschaft mit Gott tut mir unendlich gut und gibt mir wieder neue Kraft. Vielleicht hat der Prophet Elia so das sanfte Sausen erlebt, in dem ihm Gott begegnet ist. (1. Könige 19,1-13).

Ganz anders folgende Situation: Ich lese einen biblischen Roman über den Propheten Jeremia. Der Inhalt ist nicht leicht zu verdauen: Gott kündigt dem Volk Israel ein Gericht an, das mit den Gräueltaten so manches Bürgerkrieges heute vergleichbar ist (vgl. z. B. Jeremia 13). Es schüttelt mich bei dem Gedanken, wie es den Juden damals ergangen sein muss.

Hat Gott ein doppeltes Gesicht?

Zwei Bilder von Gott, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Auf der einen Seite der liebevolle, fürsorgliche Gott und auf der anderen der zornige, richtende. Der Versuch, beide zusammenzusehen, bringt meinen Glauben an seine Grenzen. Es fühlt sich an wie ein schmerzhafter Spagat. Lässt sich diese Spannung auflösen?
 

Standartantworten dazu tendieren meist in eine der folgenden zwei Richtungen:

  1. Das eine Gottesbild entspricht eher dem Alten und das andere dem Neuen Testament. Da Christen auf der Basis des Neuen Testamentes stehen, ist der strafenden Gott für sie nicht mehr relevant.
  2. Gottes hartes Durchgreifen erklärt sich mit seiner Heiligkeit und seiner Liebe zu einer lebensschaffenden Gerechtigkeit. Er gibt den Menschen Zeit zur Umkehr, aber wenn sie sich nicht zu Recht weisen lassen, müssen sie die Konsequenzen tragen.

Antwort 1 ist angesichts der Offenbarung oder den Endzeitreden von Jesus meines Erachtens wenig überzeugend. Antwort 2 ist mir schon eher einsichtig. Trotzdem löst sie für mich nicht die Frage, warum Gottes Gericht manchmal so hart und – im Blick auf die Hölle – so endgültig sein muss. Was also tun?

Ein Gott, der zu mir passt

Wahrscheinlich entscheiden sich die meisten von uns unbewusst für eines der beiden Bilder. Je nach Persönlichkeit und Prägung sehen wir in Gott tendenziell mehr den liebevollen Vater oder den gerechten Richter. Auch unsere Umgebung und unsere aktuellen Lebensumstände beeinflussen unsere Wahl: Momentan spielt die fürsorgliche Vaterrolle in Predigten und Liedern die dominante Rolle und scheint daher auch das vorherrschende persönliche Gottesbild der Christen in den deutschsprachigen Ländern. Vielleicht ist diese Entwicklung dem Umstand geschuldet, dass wir in einer „vaterlosen“ Gesellschaft leben. Der einzelne ist stark auf sich selbst zurück geworfen und muss sich seine Identität selbst erschaffen. In einer solchen Situation wächst die Sehnsucht nach einem starken und schützenden Gott, der mich in meinem zerbrechlichen Ich so annimmt, wie ich bin. Christen in Ländern mit Verfolgung tendieren vermutlich stärker dazu die Heiligkeit und die Gerechtigkeit Gottes betonen, weil sie in einer Gesellschaft lebten, die ihnen wegen ihres Glaubens nicht wohlgesonnen ist. In einem solchen Umfeld sehnt man sich nach einem Gott, der den ungerechten Zuständen ein Ende bereitet und die Schande gutmacht, die einem angetan wurde.

Zu diesen Faktoren kommt der Umstand, dass es uns Menschen grundsätzlich schwer fällt, komplexe Bilder oder Situationen auszuhalten, ohne nach einer eindeutigen Lösung zu suchen. Das macht sich auch in anderen Lebensbereichen wie in der Politik oder in Beziehungen bemerkbar. Wir wünschen uns in der Regel Lösungen, die alle Unklarheiten beseitigen: Ein Politiker soll ein eindeutiges Statement für oder gegen das Betreuungsgeld machen. Ein Erziehungsbuch soll uns ein Patentrezept an die Hand geben, wie wir mit unseren ausgeflippten Teenagern wieder klar kommen.

In Bezug auf unseren Glauben haben wir dementsprechend den Wunsch nach einem eindeutigen Gottesbild, das wir anderen und uns selbst gut erklären können. Darüber hinaus sollte dieses Bild von Gott möglichst auch für die Allgemeinheit attraktiv und einsichtig sein. Schließlich will Gott doch die Menschen retten und sie nicht von sich wegstoßen, weil er ihnen unheimlich ist.

Grenzerfahrung des Glaubens

Man kann natürlich versuchen, anstößige Stellen zu erklären oder abzuschwächen. Aber meiner Meinung nach behalten sie dennoch einen Beigeschmack. Und wenn ich aufrichtig gegenüber mir selbst, anderen und der Bibel sein will, bleibt mir nach meiner Erfahrung nur übrig zuzugeben, dass manche biblische Aussagen über Gott harte Brocken sind. So sehr ich mir wünschte, dass es die eine theologische Erklärung gäbe, bei der alle Puzzlestücke an ihren Platz fielen und ein anziehendes Bild von Gott übrig bliebe – es wird ein solches Bild nie geben. Zumindest nicht, solange wir auf dieser Seite des Vorhangs stehen. (1. Korinther 13,9-13).

Das anzuerkennen ist vielleicht der erste Schritt weg von einem Schubladendenken, bei dem wir Gott behandeln, als ob er eine mathematische Gleichung wäre, für die man eine Lösung findet, wenn man es nur lange genug versucht. Wir müssen es (neu?) lernen, die Spannung zwischen einzelnen Aspekten in Gottes Wesen auszuhalten, auch wenn uns das gegen den Strich geht und nur schwer auszuhalten ist. Vielleicht ist das für uns Christen heute in Westeuropa und Nordamerika eine besonders große Herausforderung.  Denn wir kommen aus einer Zeit, die mit Hilfe der Apologetik alle Fragen zu lösen versuchte (Moderne), und leben in einer Gegenwart, die stark von dem Wunsch nach Harmonie getrieben ist (Postmoderne).

Schmerz, Glaube, Hoffnung und Liebe

Ein biblischer Text, der die Spannung zwischen dem liebenden und dem zornigen Gott auf existenzielle Art aufgreift und stehen lässt, ist ein Gebet Jeremias. Der Prophet hat vielleicht wie kein anderer unter der Unverständlichkeit Gottes gelitten hat. Sehr persönlich drückt er sein Ringen darüber im 3. Kapitel der Klagelieder aus. Ein Ausschnitt daraus zeigt beispielhaft, wie nahe Vertrauen und Unverständnis im Glauben manchmal beieinander liegen und wie wir um ersteres immer wieder kämpfen müssen:

„Ich bin der Mann, der viel gelitten hat unter den zornigen Schlägen des Herrn. Ich kann um Hilfe schreien, so viel ich will – mein Rufen dringt nicht durch bis an sein Ohr. Das ruhige Leben hat er mir genommen; ich weiß nicht mehr, was Glück bedeutet. Ich habe keine Zukunft mehr, vom Herrn ist nichts mehr zu erhoffen!

An all dieses rastlose Elend zu denken ist Gift für mich und macht mich bitter. Ich will mich an etwas anderes erinnern, damit meine Hoffnung wiederkommt: Von Gottes Güte kommt es, dass wir noch leben. Sein Erbarmen ist noch nicht zu Ende, seine Liebe ist jeden Morgen neu und seine Treue unfassbar groß. Ich sage: Der Herr ist mein Ein und Alles; darum setze ich meine Hoffnung auf ihn.

Alle Gefangenen in unserem Land wurden getreten und misshandelt; unter den Augen des höchsten Gottes wurden sie um ihr Recht gebracht; Unschuldige wurden verurteilt – und das soll der Herr nicht gesehen haben? Wer sonst spricht ein Wort und es geschieht? Geschieht nicht alles auf seinen Befehl?“ (Klagelieder 3).
 

Jeremia scheint in seinem Gebet keinen Ausweg aus seiner Verzweiflung gefunden zu haben. Sein Ringen zieht sich durch die weiteren Kapitel des Buches, der letzte Vers endet mit der Frage, ob Gott das Volk Israel endgültig verworfen habe. Vereinzelt blitzt aber immer wieder auch ein Hoffnungsschimmer auf – trotz allem Unverständnis.

(K)ein neues Bild von Gott

Ein Blick auf das nach reformierter Tradition zweite Gebot kann uns helfen, es neu als Gottes Aufgabe für uns zu verstehen, dass wir ihn eben nicht völlig verstehen können: „Du sollst dir kein Gottesbild anfertigen. Mach dir überhaupt kein Abbild von irgendetwas im Himmel, auf der Erde oder im Meer.“ (2. Mose 20,4; GN). In diesem Gebot geht es nicht nur darum, irgendwelchen primitiven Völkern ihre Götzenbilder aus Ton, Holz oder Gold madig zu machen. Stattdessen brauchen wir Menschen immer wieder die Erinnerung daran, dass wir vorsichtig sein müssen mit dem Gottesbild, das in unserem Kopf herumgeistert – unabhängig vom Jahrhundert, in dem wir leben. Der Bund der Reformierten Gemeinden in Deutschland schreibt zum Bilderverbot unter der Überschrift „Gott ist nicht zu fassen!“ deswegen: „dass Gott für uns Menschen nicht zu fassen ist und nicht auf bestimmten, menschliche Perspektiven festgelegt werden darf. Bilder an den Wänden erscheinen dabei gegenüber den Bildern in den Köpfen zweitrangig.“

Wer merkt, dass sein Gottesbild zu einseitig geworden ist oder dass er innerlich ständig versucht, die unterschiedlichen Facetten auf einen Nenner zu bringen, dem helfen folgende Fragen vielleicht weiter:

  1. Konzentriere ich mich beim Lesen in der Bibel oft auf einen Aspekt in Gottes Wesen und blende die anderen bewusst oder unbewusst aus?
  2. Warum sind mir die anderen Aspekte Gottes unangenehm oder lehne ich sie sogar ab?
  3. Wo sind meine persönliche Lebenserfahrung, meine theologische oder politische Einstellung und die Erwartungen unserer Gesellschaft oder der Gemeinde die Messlatte dafür, wie meiner Meinung nach Gott sein darf oder nicht?
  4. Was kann ich tun, um mein Denken von Gott zu erweitern und darin auch den Seiten von ihm Raum zu geben, die mir Mühe machen?
     

Möglicherweise sind das Gebet, Bibellesen und der Austausch mit anderen Christen die stärksten Hilfsmittel, die wir haben, um nicht von der einen oder anderen Seite unseres Gottesbildes vom Pferd zu kippen. Denn in all diesen Elementen begegnen wir Gott oder erfahren etwas über ihn und können so unser Denken über ihn erweitern oder korrigieren.

Mit persönlich ist es darüber hinaus wichtig geworden, dass ich Gott zu vertrauen lerne, auch wenn ich viele Fragen an und über ihn habe. Das biblische Dreiergespann „Glaube, Hoffnung, Liebe“ sind mir dabei eine Hilfe: Ich glaube Gott, indem ich ihm vertraue, auch wenn ich ihn nicht verstehe. Ich hoffe auf Gott und auf seine Zukunft für mich, auch wenn mir heute vieles verwirrend und unklar erscheint. Ich liebe Gott, weil er sich genau das von mir wünscht und er mich zuerst geliebt hat.
 

Welche der unterschiedlichen Facetten, mit denen die Bibel Gottes Wesen beschreibt, bereitet Ihnen besonders Mühe? Wie versuchen Sie, einem einseitigen Gottesbild in ihrem Herzen und Ihren Gedanken entgegenzuwirken?

 Hanna Willhelm

Hanna Willhelm

  |  Redakteurin

Hanna Willhelm ist Theologin und Redakteurin im Bereich Radio und Online. Sie ist fasziniert von der Tiefe biblischer Texte und ihrer Relevanz für den Alltag. Zusammen mit ihrer Familie lebt die gebürtige Badenerin heute in Wetzlar und hat dabei entdeckt, dass auch Mittelhessen ein schönes Fleckchen Erde ist.

Ihr Kommentar

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Kommentare (9)

herbert r. /

Danke für den Text. Vielleicht könnte man das "primitiv" bei den Völkern weglassen und von Stammesreligionen/Naturreligionen sprechen?

Nutzer /

Hey! Das stimmt!

Patrick B /

Hallo,
in der Schrift wird so viel über den Zorn Gottes geschrieben, dass man nicht sagen sollte, es sei keine Wesensbeschreibung Gottes. Sicherlich sollten wir den Zorn Gottes nicht mit den eines mehr

vivitml /

Danke. ganz recht. Liebe ist Gottes Wesen. Zorn ist nicht seine Wesensart, aber seine "Erziehungsmethode". Wir lieben unsere Kinder, trotzdem können nicht alles durchgehen lassen.

Thomas /

Ist dieser Artikel nicht selber postmodern? "Ich sehe keine Lösung, und möchte das als Lösung sehen." Klar ist: ich kann nicht alles verstehen. Aber: "Ich will nicht etwas tun, ohne es meinem Freund mitzuteilen" - ist das nicht auch wahr, und ein Versprechen, dem wir glauben dürfen?

Brigitte /

Hallo, ich habe diesen Artikel mir angesehen, möchte jetzt aber auch nicht sagen, was darin richtig oder falsch ist. Das kann ich wahrscheinlich auch gar nicht, wir sind ja alle fehlerhafte Menschen mehr

Yvonne B /

Vielen Dank für diese guten Gedanken. Vielen Christen fällt es heute tatsächlich schwer anzunehmen, dass Gott souverän beides ist: strafend aus Seiner Gerechtigkeit und liebend aus Seiner mehr

Lydia H /

Verehrte Frau Hanna Willhelm,
sie trffen den Nagel auf den Kopf. Dieses Thema gib auch mir keine Ruhe.

Klaus H /

Ich habe mich vor einigen Tagen genau mit dem Thema beschäftigt und bin auch auf keinen Nenner gekommen. Ihr Beitrag wurde mir hier zur Gebetserhöhrung. Während des Lesens wurde mir ein Punkt im mehr

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