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© Commonwealth Secretariat / flickr.com CC BY NC2.0 (zugeschnitten)

11.09.2017 / Interview International / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Ein geteiltes Land vor der Neuwahl

Nach der Annullierung der Wahl stehen in Kenia im Oktober Neuwahlen an. Bernice Gatere, Leiterin von TWR Kenia, berichtet über die Lage vor Ort.

Vor knapp anderthalb Wochen, am 01. September 2017, wurde die Präsidentschaftswahl in Kenia annulliert. Am 17. Oktober werden daher die Kenianer erneut wählen. Nach Bekanntgabe der ersten Wahlergebnisse war es zu Protesten und gewalttätigen Übergriffen gekommen. Wir haben Bernice Gatere, Leiterin unseres Partners TWR Kenia, zu der aktuellen Lage in Kenia interviewt.

ERF: In Kenia wurde erst am 1. September die Wahl im August annulliert und Neuwahlen angesetzt. Bieten diese Neuwahlen eine Chance, ein deutlicheres Wahlergebnis zu erhalten?

Bernice Gatere: Danke, dass Sie mir die Gelegenheit geben, über die aktuelle Situation in meinem Heimatland zu berichten. Meine persönliche Meinung ist, dass die angesetzten Neuwahlen eine Möglichkeit bieten, ein klareres Wahlergebnis zu erhalten. Ich möchte des Weiteren klarstellen, dass schon das letzte Wahlergebnis sehr klar war. Die Opposition ist mehr wegen dem Wahlprozess vor Gericht gezogen. Sie hatten den Eindruck, dass die Wahlbüros nicht gemäß der Verfassung und der Wahlgesetze gehandelt haben.

Deswegen glaube ich, dass es durch die Klärung dieser Themen vor Gericht ein deutlich klareres Wahlergebnis bei den Neuwahlen geben wird. Auch müssen die Menschen bei den Neuwahlen nur einen Präsidenten wählen und nicht noch fünf andere Posten. Deshalb werden die Menschen damit nicht so überfordert sein, wie sie es Anfang August waren. Auch würde es nicht gut aussehen, wenn die Opposition noch einmal vor Gericht ziehen würde. Daher wird jeder darauf achten, dass alles streng nach dem Gesetz und der Verfassung abläuft.

ERF: Bisher ist es in Kenia noch nie zur Annullierung eines Wahlergebnis gekommen. Waren Sie persönlich überrascht, dass das Gericht diese Entscheidung traf?

Bernice Gatere: Ich muss sagen, ich war sehr überrascht. Denn alle Nachrichten und Kommentare deuteten darauf hin, dass es sehr schwierig ist, eine Präsidentschaftswahl zu annullieren. Es wurde erwartet, dass das Gericht die Sache für den Amtsinhaber entscheiden würde. Vor allem, weil die Lücke zwischen den beiden Kandidaten 1,4 Millionen Wahlstimmen groß war.

Aber es wurde anders gehandhabt als 2013, als es auch schon einmal eine Petition gab. Diesmal ist die Oppositionspartei nicht vor Gericht gezogen, um über die Korrektheit der Wahlstimmen zu streiten, sondern um den Wahlprozess in Frage zu stellen. Es ging vielmehr darum, ob die Wahlgesetze und die Verfassung missachtet wurden. Und das Gericht fand heraus, dass tatsächlich einige Gesetze missachtet worden waren. Es gab Unregelmäßigkeiten, die es ihnen schwermachten, die Wahl anzuerkennen. Aber es war trotz allem eine Überraschung.

Kein Stillstand, aber es liegt Spannung in der Luft

ERF: Was bedeutet es konkret für die Menschen in Kenia, dass jetzt Neuwahlen angesetzt wurden?

Bernice Gatere: Für die Menschen in Kenia bedeutet dieses Ergebnis, dass sie noch einmal wählen müssen. In gewisser Weise ist es gut, dass es nach einer nur so kurzen Zeit stattfindet. Das Wahlbüro hat verkündet, dass die Neuwahlen am 17. Oktober stattfinden werden. Ich denke nicht, dass es schwierig wird für die Menschen in Kenia, noch einmal wählen zu gehen. Ich denke auch, dass die zweite Wahl eventuell eine höhere Wahlbeteiligung haben wird, weil es um wirklich viel geht. Von dem, was ich in den Medien und auch in sozialen Netzwerken erfahre, ist mein Eindruck: Die Leute sind bereit dazu, noch einmal zu wählen. Die Leute, die für den Präsident gestimmt haben und der Ansicht sind, dass er gewonnen hat, sind heiß darauf zu beweisen, dass er tatsächlich die Wahl gewonnen hat. Und die Leute, die für die Opposition gestimmt haben und glauben, dass bei den Wahlergebnissen manipuliert wurde, sind genauso begierig darauf, erneut zu wählen und diesmal zu gewinnen.

Es gibt zwei führende Kandidaten und das Land ist regelrecht geteilt in Bezug auf deren Anhänger. Es ist also ein mit Spannung erwartetes Rückspiel. Zwei Männer werden auf dem Wahlzettel stehen. Einer ist der derzeitige Präsident und Sohn eines früheren Präsidenten und der andere ist der Sohn eines früheren Oppositionsführer. Es ist also eine Auseinandersetzung, die schon bei ihren Vätern begonnen hat und sich bis heute fortgeführt hat. Das Land beobachtet also ganz genau, wie das nun ausgeht.

ERF: Kommt es wegen der Annullierung der Wahl nun zu Verzögerungen bei Regierungsentscheidungen? Wer regiert das Land, solange noch kein neuer Präsident gewählt ist?

Bernice Gatere: Die Wahl wurde annulliert. Das bedeutet aber nur, dass das Land gerade keinen gewählten Präsidenten hat. Doch es gibt immer noch den früheren Präsidenten. Es gibt also immer noch eine Regierung. Kenia ist ein parlamentarisches System und die neuen Ministerpräsidenten, die auch gewählt wurden, werden nun bereits vereidigt. Wir haben außerdem eine Art dezentralisierte Regierung: Wir haben Gouverneure und 47 Bezirke und auch diese Gouverneure wurden bereits vereidigt und können ihre Arbeit normal weiterführen. Auch der Senat wurde schon vereidigt und kann seine Arbeit ganz normal tun, genauso wie die lokalen Bezirksregierungen. Es passiert also viel im Land. Man spürt also vor allem durch die Spannung, die in der Luft liegt, dass es eine Lücke gibt.

Bisher keine Gewalt und keine Proteste

ERF: Schon bei den letzten Wahlen kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. Muss man im Zuge der Neuwahlen mit noch mehr Gewalt und noch mehr Protesten rechnen?

Bernice Gatere: Lassen Sie es mich so sagen: Die Nachricht, dass es Neuwahlen geben wird, wurde am Freitag, den 01. September verkündet. Bis jetzt hat ist es als Resultat der Annullierung noch zu keiner Gewalt gekommen. Es gab Feiern bei der Oppositionspartei, in der Partei des Präsidenten blieb es dagegen bisher sehr ruhig. Dafür danken wir Gott.

ERF: Direkt nach der Verkündigung der Annullierung ist die Börse in Kenia regelrecht zusammengestürzt. Wie sieht aktuell die ökonomische Situation in Kenia aus?

Bernice Gatere: Es stimmt, unsere Börse ist nahezu völlig zusammengebrochen. Der Handel musste eingestellt werden, nachdem die Annullierung bekanntgegeben wurde. Der Hauptgrund dafür ist: Investoren mögen Stabilität und wenn irgendetwas passiert, was bisher noch nie passiert ist, wissen Investoren nicht, wie sie darauf reagieren sollen. Deswegen haben Menschen ihre Anteile verkauft. Der Kenia-Schilling hat an diesem Tag massiv an Wert verloren. Aber seitdem geht es wieder nach oben.

Die Otto-Normal-Verbraucher haben also noch keine wirtschaftlichen Auswirkungen gespürt. Aber Menschen in der Wirtschaft erzählen was ganz anderes. Denn aktuell wird nur wenig investiert. Es wird regelrecht darauf gewartet, was nach der Neuwahl passiert. Das heißt, dass Geschäftsleute gerade tatsächlich eine schwierige Zeit durchmachen.

Wir brauchen Gebet!

ERF Medien unterstützt mit „African Challenge“ Programme in Kenia und Ostafrika , die praktische Lebenshilfe und christliche Werte vermitteln. Außerden haben wir TWR Kenia im Juni Geld zur Vefügung gestellt, damit sie Essen an Notleidende verteilen konnten. In der Radiosendung „Hilfe, mein Nachbar hungert!“ erfahren Sie mehr über die Dürre in Ostafrika und die Unterstützung durch christliche Hilfsorganisationen. Danke für Ihre Gebete und Ihre finanzielle Unterstützung.

ERF: Gibt es konkrete Gebetsanliegen, für die deutsche Christen in dieser Situation beten können?

Bernice Gatere: Wir bitten alle Christen, an der Seite von Kenia zu stehen. Es ist wirklich nicht einfach, in einer Situation zu sein, in der du nicht weißt, was nach den nächsten Wahlen passieren wird. Ob zum Beispiel diese Wahl angenommen wird. Ob es nach der Bekanntgabe der Ergebnisse erneut zu Protesten und Gewalt kommt. Beten Sie bitte für die Situation in Kenia generell, aber auch ganz speziell für die Gemeinden und Christen im Land. Gottes Wort sagt uns: Ihr seid das Salz der Erde und das Licht der Welt. Bitte beten Sie dafür, dass das sichtbar wird in dieser Situation. Dass die Kirchen und die christlichen Leiter die alternative Stimme für das Land sein werden.

Auch in Bezug auf Stammessysteme braucht unser Land Gebet. Denn viele Kenianer wählen nach Stammeszugehörigkeit. Für sie zählt manchmal gar nicht, wie viel ein Kandidat zur Weiterentwicklung des Landes beiträgt oder was er für die Menschen im Land erreicht hat. Sie entscheiden eher nach Stammeszugehörigkeit. Deshalb können Sie auch dafür beten, dass Gott uns von diesem Wahlmuster wegführt und uns dahin leitet, dass wir auf der Basis dessen wählen, was der Kandidat für das Volk geleistet hat oder verspricht zu leisten.

ERF: Wie gehen Sie bei TWR Kenia mit der ganzen Situation um?

Bernice Gatere: Für uns ist es genauso wie für alle anderen eine Hängepartie. Wir sind Gott dankbar, dass wir durch unsere Kurzwellenstationen fähig waren, über die Wahlen Anfang August zu berichten. Wir hatten Reporter in diversen Teilen des Landes und konnten so die Geschehnisse vor Ort verfolgen und darüber berichten. Im Moment bleiben wir auch größtenteils objektiv und aufmerksam. Uns ist wichtig, dass unsere Zuhörer die ganze Geschichte erfahren anstatt einseitige Informationen. Deshalb beten Sie bitte auch für unsere Arbeit, dass wir als objektives Medienhaus agieren und Gott uns gebraucht, um das Land Kenia zu verändern.

ERF: Herzlichen Dank für das Interview.

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

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