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© Brandi Redd / unsplash.com

17.06.2018 / Porträt / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Sonja Kilian

Ein Engel für Prostituierte

Die Schwedin Elise Lindqist rutschte als Teenager ins Rotlichtmilieu.

In Schweden ist Elise Lindqvist bekannt als „Der Engel im Rotlichtmilieu“. Ihre Kindheit war allerdings alles andere als himmlisch. Elise Lindqvist wird diese dunkle Zeit in ihrem Leben niemals vergessen.

Als junges Mädchen erfährt Elise in ihrem Elternhaus kaum Liebe. Bereits im Alter von fünf Jahren wird sie sexuell missbraucht. Ihre Mutter bietet ihr keinen Schutz. Stattdessen beschimpft sie ihre Tochter als hässlich, dumm und wertlos. Ganz deutlich spürt Elise, dass sie ungewollt ist. Das gibt ihr den ersten tiefen Stich in ins Herz und in ihre Kinderseele.

Als Teenager weg von zu Hause

Als Teenager will Elise nur noch weg von zu Hause. Darum verlässt sie das schwedische Dorf, in dem sie aufgewachsen ist und zieht in die Stadt. Niemand hält sie davon ab. Und so ist Elise erst 14 Jahre alt, als sie beginnt, in einem Café zu arbeiten. „Verrückt!”, erinnert sie sich heute. „Ich war noch so jung, aber ich wollte ein neues Leben. Niemandem Rechenschaft schuldig sein. Endlich keine Mutter mehr in der Nähe, die mir zu verstehen gibt, wie sehr sie mich hasst. Frei sein.” Am Anfang fühlt sich das neue Leben richtig gut an. „Ich wurde geschätzt. Das war ein tolles Gefühl“, erinnert sich Elise.

„Ich war noch so jung, aber ich wollte ein neues Leben. Niemandem Rechenschaft schuldig sein. Endlich keine Mutter mehr in der Nähe, die mir zu verstehen gibt, wie sehr sie mich hasst. Frei sein.” (Elise Lindqvist)

Mit 16 Jahren macht sie Bekanntschaft mit einer freundlichen älteren Frau. Sie nennt Elise „Süße“ und macht dem jungen Mädchen Geschenke wie Make up und hübsche Kleidung. So viel Fürsorge kennt Elise nicht und saugt sie regelrecht auf. „Für meine reife mütterliche Freundin hätte ich alles getan”, sagt sie heute.

Ins Bordell geführt

Eines Tages nimmt die Bekannte Elise mit in ein Bordell. Das Mädchen denkt sich nichts dabei, denn sie vertraut ihrer Freundin völlig. Auch als sie ihren Körper für Sex verkaufen soll, fühlt sie sich dabei sicher. Außerdem gefällt Elise der Gedanke, dass ihr Körper so wertvoll ist. „Das Geld in meiner Hand ist doch der Beweis, dass ich etwas wert bin!”, denkt sie. Allerdings fließt das komplette Geld zu ihrer Freundin, die Elise immer öfter an Männer verkauft und damit viel verdient.

Was sich am Anfang gut angefühlt hat, wird mit der Zeit für Elise zum Alptraum. Statt sich wertvoll zu fühlen, beginnt sie, unter Depressionen zu leiden. Ihren damaligen Zustand beschreibt sie so: „Irgendwann fühlte ich mich beraubt, leer und hässlich, dumm und wertlos – so wie meine Mutter es mir immer vermittelt hat. Ich fragte mich, ob es einen Gott gibt, dem nicht egal ist, ob ich lebe oder sterbe!”

„Irgendwann fühlte ich mich beraubt, leer und hässlich, dumm und wertlos – so wie meine Mutter es mir immer vermittelt hat. Ich fragte mich, ob es einen Gott gibt, dem nicht egal ist, ob ich lebe oder sterbe!” (Elise Lindqvist)

Doch erst als die Situation im Bordell eskaliert, beschließt Elise den Ausstieg. Ein Mann will beim Sex Blut sehen und hält ihr ein Messer an die Kehle. Elise hat Todesangst und flieht aus dem Bordell. Nach dieser Erfahrung entscheidet sie sich, nie wieder zu ihrer älteren Freundin zurückzukehren. 

Elise Lindqvist (links) mit der europäischen Koordinatorin von TWR - Women of Hope Eeva Vähäsarja. (Foto: Liisa Heinänen)
Elise Lindqvist (links) mit der europäischen Koordinatorin von TWR - Women of Hope Eeva Vähäsarja. (Foto: Liisa Heinänen)

Hass und Traumata überwinden

Doch obwohl Elise nicht länger als Prostituierte arbeitet, geht es ihr emotional nicht besser. Sie erinnert sich: „Ich war so tief verletzt nach meinem Leben auf der Straße. Eine Gruppenvergewaltigung und andere traumatische Ereignisse aus meiner Vergangenheit ließen mich nicht mehr los. Ich stolperte von einer gewalttätigen Beziehung in die nächste. Ich konnte nur noch Schmerz und Bitterkeit fühlen.“

„Ich war so tief verletzt nach meinem Leben auf der Straße... Ich stolperte von einer gewalttätigen Beziehung in die nächste. Ich konnte nur noch Schmerz und Bitterkeit fühlen.“ (Elise Lindqvist)

Lange Zeit kämpft Elise mit den Schatten ihrer Vergangenheit. Die Wende kommt, als sie während einer medizinischer Behandlung zum ersten Mal Leute trifft, die sich wirklich für ihre Geschichte interessieren. Sie hören der tief traumatisierten Frau zu und geben ihr einen ungewöhnlichen Ratschlag: Sie sagen Elise, dass sie verzeihen muss um wieder heil zu werden. In erster Linie sich selbst, aber auch den vielen anderen, die ihr Schlimmes angetan haben.

Den Tätern vergeben, die ihr Leben zerstört haben? Elise kann sich das am Anfang kaum vorstellen. Doch sie spürt, dass etwas anders ist bei ihren neuen Freunden. „Es gab zum ersten Mal jemanden, der mir vertraute und mich wertschätzte, ohne mich auszunutzen. Dadurch fasste ich selbst wieder Vertrauen zu anderen Menschen. Es dauerte trotzdem eine ganze Weile, bis ich auch in der Lage war, allen zu verzeihen: zum Beispiel meinen Vergewaltigern oder meiner Mutter, die mich ablehnte”, erkennt Elise heute.   

„Es gab zum ersten Mal jemanden, der mir vertraute und mich wertschätzte, ohne mich auszunutzen. Dadurch fasste ich selbst wieder Vertrauen zu anderen Menschen.“ (Elise Lindqvist)

Es ist noch ein langer Weg, bis sie frei wird von ihren Verletzungen. Doch ihre neuen Freunde sind Christen und stehen ihr bei dem langen Prozess bei. Sie versichern Elise immer wieder, dass sie Gott nicht egal ist, sondern in seinen Augen wertvoll. Sie fühlt sich zum ersten Mal würdevoll und geliebt. Aus Elise wird eine neue Frau: statt hasserfüllt ist sie jetzt voller Liebe.

Eine Seniorin auf dem Straßenstrich

Heute ist Elise Lindqvist 82 Jahre alt. Trotz ihres hohen Alters geht sie regelmäßig auf die berüchtigte Straße Malmskillnadsgatan in Stockholm, die „Reeperbahn Schwedens“. Mitten in der Nacht trifft sie dort Frauen aus der Prostitution, die Hilfe brauchen. Elise bringt „ihren Mädchen“ Kaffee, Kakao, Brötchen und Süßigkeiten mit. Bis in die frühen Morgenstunden steht die alte Dame für Gespräche und zur Beratung bereit. Viele haben ähnlich dramatische Lebensgeschichten wie Elise. Bei ihr finden sie ein offenes Ohr und vor allem jemanden, der aus eigener Erfahrung weiß, wie schwer es ist, aus der Szene auszusteigen.

Verborgene Schätze

Dabei beobachtet Elise, dass viele dieser Frauen sich kaum etwas zutrauen. Das erschwert ihnen, einen neuen Lebensweg einzuschlagen. Doch sie haben Gaben und Fähigkeiten, von denen sie selbst nichts ahnen. Elise will ihnen Mut machen, Neues zu entdecken. Dazu nutzt sie unter anderem die Hörspielreihe „Verborgene Schätze“ der Radiomission TWR. Die wahren Lebensgeschichten von Aussteigerinnen aus der Szene thematisieren zum Beispiel den Umgang mit Gewalt und Drogenabhängigkeit. Und Elise erzählt gerne ihre eigene Geschichte und davon, wie der Glaube an Jesus Christusus einen neuen Menschen aus ihr gemacht hat.


Hörspielreihe für Frauen aus der Prostitution
ERF Medien unterstützt die Hörspielreihe „Verborgene Schätze" der Radiomission TWR. Das Audiodrama beinhaltet 10-minütigeBeiträge mit Lebensgeschichten von Frauen, die einen Weg aus der Prostitution gefunden haben. Auf MP3 Playern und SD Karten wird die Sendereihe an interessierte Frauen verteilt. Erhältlich ist die Serie in den Sprachen  Albanisch, Bulgarisch, Englisch, Rumänisch und Ungarisch. „Hidden Treasures“ (Verborgene Schätze) ist ein Arbeitszweig der weltweiten Fraueninitiative „Women of Hope“.
 

 Sonja Kilian

Sonja Kilian

  |  Redakteurin

Die verheiratete Mutter zweier Töchter liebt inspirierende Biografien. Deshalb liest sie gern, was Menschen mit Gott erlebt haben, schreibt als Autorin darüber und befragt ihre Gäste in Interviews auf ERF Plus.

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Kommentare (1)

Anonym /

Auch ich war bei Prostituierten. Bis heute bedeuten Lustgefühle einen ständigen Kampf. Ich bin Christ und Familienvater. Und diese Artikel ( s.o. ) bewegen mich sehr. Seit der Beziehung zu meiner mehr

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