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© Junior Reis / unsplash.com

03.04.2021 / Andacht / Lesezeit: ~ 3 min

Autor/-in: Wolf-Dieter Kretschmer

Der Tag danach

Was ich von Karsamstag lerne.

Fassungslos und verwirrt – so lässt sich die emotionale Grundstimmung dieses Tages am besten beschreiben. Ich rede von dem Tag, der als Tag des Kummers und der Klage gilt und heute den Namen Karsamstag trägt.

Der zerplatzte Traum

Gönnen wir uns einen kurzen Blick in die Geschichte. Was war passiert?

Die Jünger des Jesus von Nazareth waren eine Woche vorher unter Hoch- und Jubelrufen mit ihrem Meister in Jerusalem eingezogen. Es schien, als würden neue Zeiten anbrechen. Vielleicht würde er endlich Frieden und Gerechtigkeit bringen, vor allem aber die römischen Besatzer aus dem Land befördern.

Es kam anders. Völlig anders als erhofft. In einer Nacht- und Nebelaktion hatten die Machthaber Jesus verhaftet und an einem Kreuz vor den Toren der Stadt hinrichten lassen.

Bange Fragen machten jetzt die Runde. Warum hatte Gott das zugelassen? Hatte sich der Allmächtige von dem abgewendet, den sie für den Gesalbten hielten? Der, den die alten Schriften als Retter vorhersagten? Würden sie die Nächsten sein, die verhaftet werden würden?

Ihren Hoffnungen und Träumen war es so ergangen wie einem prallgefüllten Luftballon, in den eine Nadel sticht. Mit einem lauten Knall hatte sich alles in nichts aufgelöst.

Wenn das Schicksal zuschlägt

Im deutschen Sprachgebrauch wird der Begriff „Schicksalsschlag“ für ein Ereignis verwendet, das scheinbar aus heiterem über einen nichts ahnenden Menschen hereinbricht. Das Wort setzt sich aus Schicksal und Schlag zusammen. Genauso fühlt es sich an: Man ist geschlagen von schicksalhaften Ereignissen, die einen aus der Bahn werfen.

Karfreitag beschreibt einen solchen Schicksalsschlag, Karsamstag den Tag danach. Damals war das der Tag nach der Kreuzigung Jesu. In seiner Wirkung heute vergleichbar mit dem Tag nach dem Unfall, der niederschmetternden Diagnose, des endgültigen Abschieds, dem jähen Zerbrechen einer Hoffnung oder Liebesbeziehung.

Dieser Tag kann sich anfühlen wie das Dröhnen in den Ohren nach einer Explosion. Oder wie das graue Einerlei eines dichten Nebels, in dem sämtliche Konturen verschwimmen; an dem die Gedanken sich im Kreis drehen und man die Orientierung verliert.

Karsamstag ist auch der Tag, an dem Gott zu schweigen scheint. An dem mich die Frage umtreibt, ob er überhaupt etwas zu sagen hat oder sich einfach nur von mir abwendet und mich meinem Elend überlässt.

Ich kenne in meinem Leben mehr Zeiten, als mir lieb ist, die sich wie Karsamstag anfüllen. Wahrscheinlich geht es Ihnen ähnlich.

Und doch habe ich etwas über diesen besonderen Tag gelernt.

Was mir hilft

Karsamstag ist nicht nur der Tag danach. Er markiert auch das Ende eines Zeitabschnitts.

Im Kirchenjahr wird an den Leidensweg Christi gedacht. Karsamstag ist der letzte Tag der Passionszeit. Ihm folgt Ostersonntag und damit etwas völlig Neues.

Der traurigen Realität von Kreuzigung und Tod stellt das Neue Testament die göttliche Kraft der leibhaftigen Auferstehung Jesu gegenüber.

Was im Kalender eine neue Ära markiert, kann auch in meinen Lebensbezügen Gestalt gewinnen. Der Hoffnungslosigkeit und Trauer meines eigenen Karsamstags, meiner persönlichen Katastrophe kann ein Neubeginn folgen.

Das angemessene Satzzeichen für Karsamstag ist deshalb nicht der Punkt, sondern der Doppelpunkt, dem an Ostern ein Ausrufezeichen folgt.

Was lerne ich über diesen Tag?

Wenn Karfreitag für das schiere Entsetzen steht, dann ist Karsamstag der Moment des betäubten Innehaltens, an dem Angst, Verzweiflung und Wut mich verwirren und lähmen.

Die Erfahrung von Karsamstag gehört zum Leben dazu. Mein verzweifelter Schrei „Warum?“ ist in Ordnung. Ich brauche nicht so zu tun, als sei ich stark. Ich kann in meiner Kraft- und Hoffnungslosigkeit ehrlich sein.

Die Bibel beschreibt Gottes Geschichte mit den Menschen. Theologen haben dafür einen besonderen Begriff geprägt. Sie sprechen von der Heilsgeschichte.

Im Zentrum dieses Geschehens stehen Leiden, Sterben und die leibhaftige Auferstehung Jesu von den Toten. Damit gehört die Erfahrung des Karsamstags, – die Totenruhe, das scheinbare Schweigen Gottes und die menschliche Verzweiflung – zu den Kernerfahrungen eines Christen.

Aber es gibt noch etwas, das bei aller Trauer nicht vergessen werden darf: Karsamstag ist die notwendige Voraussetzung für das, was danach kommt. Ostern und damit der Jubel über die Auferstehung Jesu.

Karsamstag lässt sich mit der Ouvertüre zu einer gewaltigen symphonischen Komposition vergleichen, die sich am Ostersonntag entfalten wird. Das neue, bessere Leben, das von Gott kommen und die wunderbare Gewissheit, dass dem Tod die Macht genommen werden wird.

Mit dieser Hoffnung, ja, Gewissheit, kann ich zuversichtlich auf Ostern zu leben.
 

 Wolf-Dieter Kretschmer

Wolf-Dieter Kretschmer

  |  Leiter Redaktion Theologie/Verkündigung

Der Theologe, Autor und Redakteur verantwortet die Verkündungssendungen, leitet die Redaktion Theologie und das Seelsorgeteam. Er ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Ihr Kommentar

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Kommentare (4)

Carmen L. /

Dank Jesus. Ewiges Leben, Lob und Dank

Waltraud W. /

Diese Auslegung hat mir sehr bewusst gemacht, dass ich den Karsamstag nicht so einfach übergehen kann, dass dieser Tag sogar ein Dreh-und Angelpunkt ist zwischen dem schrecklichen Geschehen an Karfreitag und der Osterfreude am Sonntag. Vielen Dank für den informativen Beitrag.

Brigitte D. /

Vielen Dank Herr Kretschmer, eine sehr hilfreiche geistliche Würdigung dieses Tages!

Helga H. /

Mein Weg ohne meinen Mann, wird mir doch immer wieder hart!

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