14.05.2020 / Bericht
Zwischen Wahrheit und Illusion
Wie Verschwörungstheorien unsere Demokratie gefährden.
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„In jeder Verschwörungstheorie steckt Wahrheit,“ sagt der Theologe Harald Lamprecht, er ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der evangelischen Landeskirche Sachsens. Die Kunst ist es, das Wahrscheinliche vom Absurden zu trennen – damit Corona-Verschwörungstheorien nicht mehr Vernichtungspotential entwickeln als das Virus selbst. Regina König hat mit Harald Lamprecht gesprochen.
„Es gibt tatsächlich Verschwörungen, und eine Verschwörungstheorie als solche ist durchaus legitim. Es gab ja den Abgasskandal und wir haben gesehen, dass Geheimdienste systematisch unsere Mails überwachen, das hätte vorher auch niemand für möglich gehalten, bevor das enttarnt wurde. Also, einen solchen Verdacht zu haben, ist zunächst legitim.“
„Verschwörungen gibt es tatsächlich!“
Ja, es gibt sie wirklich: Verschwörungen. Und warum sollte nicht auch Corona das Produkt böser Mächte sein? So könnte Software-Milliardär Bill Gates das Virus entwickelt haben, um mit einem Impfstoff Reibach zu machen. Oder war das Virus geplant als Biowaffe? Vielleicht ist es auch in die Welt gesetzt, damit Regierungen Grundrechte aushebeln und so mehr Kontrolle über ihre Bevölkerung gewinnen. Der Verdächtigungen sind viele, und das ist nicht erstaunlich, sagt der Theologe. Denn Zeiten der Unsicherheit sind bester Nährboden für Verschwörungstheorien.
Das ist ihr eigentlicher Punkt: sie reagieren auf Unsicherheit, und die ist jetzt in Corona-Zeiten mit Händen zu greifen. Das Virus ist neu, es ist hoch infektiös. Und so entsteht eine Unsicherheit.
Mit Gottvertrauen immun sein gegen Verschwörungstheorien
Auch manche Christen schenken Verschwörungstheoretikern ihr Vertrauen: „Das wundert mich, denn eigentlich haben wir es als Christen gar nicht nötig, uns solchen Verschwörungsideologien anzuhängen, denn wir haben ja ein Vertrauen auf Gott, das uns helfen sollte, mit solchen Unwägbarkeiten umzugehen. Also eine wesentliche Funktion, die Verschwörungstheorien erfüllen, brauchen wir als Christen in dem Sinn nicht, weil wir ja eine Stärkung aus dem Glauben beziehen.“
Doch wie kann ich unterscheiden zwischen Wahrheit und Fake-News, zwischen Verschwörungstheorie und echten Bedenken? Das ist gar nicht so einfach, sagt Harald Lamprecht, denn Verschwörungstheorien vermengen Wahrheit und Illusion: „Der Übergang von dem einem zum anderen ist nicht immer klar zu ziehen. Da geht es letztendlich um Wahrscheinlichkeiten und um die Frage: für wie wahrscheinlich halte ich eine bestimmte Sache? Am besten, man zerlegt die einzelnen Informationen und überlegt: was könnte stimmen und wo wird es absurd?“
Corona – ein Biokampfstoff?
Kann es zum Beispiel sein, dass Corona als Biokampfstoff in einem Labor in Wuhan entwickelt worden ist? Harald Lamprecht nimmt die einzelnen Bausteine dieser Theorie auseinander: „Das Labor in Wuhan gibt es wirklich. Dass dort auch vorher an SARS-Viren geforscht wurde, ist auch wahr. Dass dort möglicherweise an Biowaffen gearbeitet wird, ist möglich – aber eher unwahrscheinlich. Dass das Virus dort gezielt hergestellt worden ist als Biowaffe, kann man wiederum als unwahrscheinlich bezeichnen, denn zum einen gibt es Forschungen zur Struktur des Virus, die das als unwahrscheinlich darlegen, zum anderen ist Corona als Waffe absolut ungeeignet, weil es sich gar nicht steuern und kontrollieren lässt.“
Verschwörungstheorien zersetzen unser Vertrauen
Bei aller Absurdität, die solchen Theorien anhaftet: auf die leichte Schulter sollte man sie nicht nehmen, warnt der Theologe, denn sie besitzen Sprengkraft, die schlussendlich unsere Demokratie gefährden kann. „Ein Grundproblem aller Verschwörungstheorien ist, dass sie Vertrauen zerstören. Der Plot heißt: `Traue niemandem. Du wirst belogen. Da gibt es Mächtige, die im Hintergrund die Fäden ziehen und eine Illusionswelt aufbauen.` Das Kernproblem ist also der Verlust von Vertrauen. Das zerstört auch auf lange Sicht die Demokratie, denn sie lebt davon, dass wir Vertrauen in unsere Institutionen haben.“