07.04.2018 / Andacht

Von Gott verlassen

Im Moment der größten Verzweiflung suchte Jesus ausgerechnet Gottes Nähe. Eine Andacht.

Manchmal habe ich das Gefühl, als ob ich Gott egal wäre. Es scheint ihn gar nicht zu kümmern, wie es mir geht oder was mich beschäftigt. Das macht sich gerade dann besonders bemerkbar, wenn es mir nicht gut geht und ich mir sein Eingreifen erhoffe. Ich fühle mich dann verlassen und verzweifelt. Aber ich will sehen und erkennen, dass ich Gott nicht egal bin. Selbst, wenn ich vom Kopf her weiß, dass Gott bei mir ist, brauche ich auch emotionale Gewissheit. Kennen Sie das auch?

Wenn es mir wirklich dreckig geht, ist das schlimmste eine Verharmlosung oder Verleugnung meines Leidens. Denn zwischen meiner konkreten Situation und den Zusagen Gottes existiert ja tatsächlich ein Widerspruch. Dennoch: Überraschen sollten mich Rückschläge und Schwierigkeiten nicht. Jesus hat seinen Jüngern nie ein einfaches und unkompliziertes Leben versprochen. Im Gegenteil: Mehrmals weist er darauf hin, dass Christen aufgrund ihres Glaubens leiden werden.

Was also notwendig ist, ist eine Änderung der Perspektive. Dabei hilft mir Jesus selbst. Er kennt das Gefühl der Verborgenheit Gottes aus eigener Erfahrung. Als er am Kreuz hing, war er völlig verlassen. Nicht einmal mehr Gott war an seiner Seite. Matthäus 27,46 beschreibt dieses Ereignis folgendermaßen: „Gegen drei Uhr rief Jesus mit lauter Stimme: »Eli, Eli, lama asabtani?«, das bedeutet: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«“. Es erscheint paradox: In dem Moment, wo Gott sich von Jesus abwendet – im Moment der allergrößten Verlassenheit also – wendet sich Jesus an wen? An genau den Gott, der ihn verlassen hat. Der Theologe Hans-Joachim Eckstein bringt es auf den Punkt: „Mitten in seiner Klage und Anklage gegenüber dem verborgenen Gott vertraut er sich zugleich dem in seiner Offenbarung entzogenen liebenden Vater an.“

Nicht vernünftig Argumente helfen, sondern der Blick auf Jesus

Mich inspirieren und ermutigen diese Verse. Denn sie zeigen mir, dass Gott auch solche existenziellen Anklagen aushält. Ich darf Jesus meine Verzweiflung, meinen Schmerz und meine Wut anvertrauen. Vor Gott muss ich nicht verharmlosen oder verleugnen, wie es mir geht. Er weiß das alles. Außerdem darf ich mir sicher sein, dass Gott meine Verzweiflung, Ängste und Wut versteht. Jesus hat all das am eigenen Leib und Geist durchgemacht. Die Gott-Verlassenheit am Kreuz muss für ihn, der immer in liebender Gemeinschaft mit Gott gelebt hat, sogar noch viel schlimmer gewesen sein als für mich.

Und zuletzt: Gott leidet dadurch auch mit mir. Das hat er in und durch das Sterben Jesu am Kreuz bewiesen. Die Frage nach Leid und Schmerz wird nicht rational beantwortet, sondern in und durch die Person Jesu. Mir helfen keine vernünftigen Argumente, sondern der Blick auf Jesus. Denn nicht nur hat er vorgelebt, wie man mit der Spannung aus Verlassensein und Zuwendung Gottes umgeht. Dadurch, dass er in mir und mit mir lebt, werden seine Erfahrungen für mich persönlich spür- und erlebbar. Darin liegen Verständnis und Mitgefühl genauso verborgen wie Trost und Ermutigung. Wenn also demnächst wieder einmal der Leidens-Blues zuschlägt, will ich zum Kreuz schauen. Und genau wie Jesus im Vertrauen zu dem rufen, von dem ich mich eigentlich verlassen fühle.

Autor/-in: Claas Kaeseler

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