10.11.2011 / Bericht
Schöner shoppen oder gerecht einkaufen?
Wie viel Gewissen kann und will ich mir leisten? Eine kritische Selbstreflektion über Fairtrade, mein Gewissen und den schnöden Mammon.
1,18 Euro am Tag. So viel verdient eine Näherin aus Bangladesch, die für H&M T-Shirts herstellt. Hinzu kommen unerträgliche Arbeitsbedingungen: Schimmel am Arbeitsplatz, sie muss 250 Shirts pro Stunde produzieren und hat sicher keinen Urlaub. Solche Zustände finden wir überall auf der Welt. Sie betreffen nicht nur die Mode-Herstellung, sondern besonders Lebensmittel wie Kaffee, Kakao, Orangensaft, Bananen, Honig. All das, was wir täglich konsumieren.
Dennoch gebe ich zu: Ich habe bisher kaum Fairtrade-Produkte gekauft. Erst ein ausführlicher Artikel in einer Zeitschrift brachte mich zum Nachdenken: Wenn schon ein Autor, der allem Anschein nach kein Christ ist, das Thema für wichtig hält, wie kann es mir als Christ so gleichgültig sein? Habe ich nicht erst recht eine Verantwortung gegenüber meinen Mitmenschen, mich für Gerechtigkeit einzusetzen? Doch was mich am meisten über mich selbst wundert: Warum habe ich kein schlechtes Gewissen, wenn ich bei H&M einkaufe?
Ist Fairtrade wirklich fair?
Vielleicht liegt es daran, dass ich mir unsicher bin, ob Fairtrade überhaupt etwas nützt. Ist es nur eine Masche, mich als Käufer dazu zu bringen, teurere Produkte zu kaufen und im Endeffekt verschwindet es in dunklen Kanälen, nur landet es nicht bei dem armen Bauern oder Orangenpflücker? Ist der Verbraucher hinterher nicht wieder der Dumme?
Meine Recherchen belehren mich eines Besseren. Das Unternehmen TransFair e.V. verkauft nämlich gar keine Produkte. Es vergibt lediglich ein Siegel an die Firmen, die sich verpflichten, klare Vorgaben einzuhalten. Das heißt: Die Arbeiter bekommen einen festen Mindestlohn, werden kranken-, renten- und arbeitslosenversichert. Zusätzlich erhält die Firma eine Sozialprämie, mit der sie zum Beispiel bessere Arbeitsgeräte oder einen Speisesaal für die Angestellten anschaffen können. Durch diese besseren Bedingungen wird nicht nur die Armut in Ländern wie Kenia, Mexiko oder China bekämpft, sondern auch der Teufelskreis, der daraus folgt: Kinderarbeit, Prostitution, die Flucht in Elendsviertel von Großstädten.
Fairtrade ist anscheinend sinnvoll. Es ist ein Mittel, die Armut zu bekämpfen. Warum kaufen dann nicht alle Christen fairtrade? Die einen vielleicht, weil sie sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt haben. So ging es mir schließlich auch. Bei den anderen ist es vielleicht das, was ich erschrocken bei mir selbst feststellen musste: mein abgestumpftes Gewissen.
Gesellschaft ohne Gewissen
Ich bin von klein auf in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der Shoppen ein Hobby ist und friedliche Bürger zu Tieren mutieren, wenn es darum geht, sich im Discountern den letzten Flachbildschirm aus dem Angebot zu sichern. Ich glaube, dass hier das Gewissen ganz unbemerkt abstumpft. Schließlich war das erste Argument, das mir gegen Fairtrade-Produkte einfiel: Ich kann es mir nicht leisten. Die Sachen sind viel zu teuer. Vor allem die Kleidung. Wer kann sich schon einen Pullover für 100 Euro kaufen?
Doch wenn ich ganz ehrlich bin: Ich könnte es. Ich könnte es, wenn ich mir statt drei eben nur noch einen Pullover im Jahr kaufen würde. Wenn ich auf Luxusartikel verzichten würde, wie die Spiegelreflexkamera, die ich mir schon so lange wünsche, den nächsten Urlaub oder Kleinigkeiten wie das dritte Parfum. Oder den Besuch beim Fastfood-Restaurant. Dinge, die nicht lebensnotwendig sind, sondern einfach nur Spaß machen. Doch darauf möchte ich nicht verzichten. Ich gestehe es: Ich hänge am schnöden Mammon. Meine Nächstenliebe geht nur so weit, wie ich mich nicht selbst einschränken muss. Das ist vor allem eins: erschreckend!
Würde Jesus fairtrade kaufen?
Ich frage mich, was Jesus an meiner Stelle tun würde. Die Bibel ist zum einen ganz klar, was den Lohn eines Arbeiters angeht: „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert“, sagt Jesus in Lukas 10,7. Und Jeremia warnt: „Weh dem, der sein Haus mit Sünden baut und seine Gemächer mit Unrecht, der seinen Nächsten umsonst arbeiten lässt und gibt ihm seinen Lohn nicht“ (Jeremia 22,13). Ausbeutung wird von der Bibel in jeder Form verurteilt. Zwar beute ich niemanden direkt aus und ich trage auch keine Schuld an den schlechten Arbeitsbedingungen der Dritte-Welt-Länder. Doch bin ich – jedenfalls mittlerweile – Mitwisser. Und damit frei in meiner Entscheidung, faire Produkte zu kaufen, oder diese Hilfe zu verweigern. Ich kann damit etwas bewirken, auch wenn es H&M nicht juckt, wenn ich ein T-Shirt weniger bei ihnen kaufe.
Eine andere Bibelstelle macht besonders deutlich, welche Rolle der Konsum für mich als Christen spielen sollte. Matthäus erzählt von einem reichen Mann, der zu Jesus kommt und fragt, was er tun soll, um ins Reich Gottes zu kommen. Jesus antwortet ihm ganz schlicht: Halte die Gebote. Das tut er bereits, macht der Reiche Jesus klar und fragt, was er sonst noch machen muss:
„Jesus sprach zu ihm: ‚Wenn du vollkommen sein willst, so geh hin, verkaufe deine Habe und gib den Erlös den Armen! Und du wirst einen Schatz im Himmel haben. Und komm, folge mir nach!‘ Als aber der junge Mann das Wort hörte, ging er betrübt weg, denn er hatte viele Güter.“ (Matthäus 19,21f).
Jesus oder der Mammon
Die Geschichte macht mir zwei Dinge bewusst. Erstens, dass ich selbst reich bin. Früher dachte ich bei der Bibelstelle immer an Firmenchefs, Stars, die nur Gucci und Prada tragen oder Politiker, die sich in die Taschen wirtschaften. Aber eigentlich bin ich der Reiche. Denn ich gehöre zu dem geringen Teil der Weltbevölkerung, die einen Fernseher, eine warme Wohnung und einen vollen Kühlschrank besitzen.
Zweitens macht die Geschichte klar, dass ich ein Problem habe. Ich hänge an meinem Besitz wie der Reiche aus dem Beispiel. Es ist ja nicht so, dass ich nicht gerne Geschenke mache oder spende. Das macht mir sogar Spaß. Aber meinen vollständigen Besitz aufgeben? Könnte ich das? Wäre ich dazu in der Lage, wenn es mich schon Überwindung kostet, ein paar Euro mehr für ein Fairtrade-Produkt zu bezahlen?
Ein Fazit
„Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“, sagt Jesus in Matthäus 6,24. Beides geht nicht. Doch sein Herz an nichts anderes als an Gott zu hängen, bleibt in unserer Konsumgesellschaft eine lebenslange Herausforderung. Ich möchte mich ihr stellen, auch wenn es schwer ist. Vielleicht fange ich damit an, mein Einkaufverhalten zu verändern. Das geht sicher nicht immer, gerade dann, wenn jemand Kinder hat und jeden Cent zweimal umdrehen muss. Dann sollte die Verantwortung für die Familie natürlich an erster Stelle stehen. Dennoch kann man bei kleinen Dingen anfangen. Bei fair gehandeltem Kaffee oder Tee, oder einem Fairtrade-Kleidungsstück im Jahr. Und das nicht, um mein Gewissen zu beruhigen oder mich besser zu fühlen. Sondern weil Jesus es auch tun würde. Weil er nicht auf sein Portmonee schauen würde, sondern auf den Menschen, der für genau dieses Produkt gearbeitet hat. Und weil ihm dieser Mensch seinen Lohn wert ist.
Mehr Infos zum Thema Fairtrade: www.fairtrade-deutschland.de